© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Panzerschlacht: Vor 55 Jahren entkam Stalin einer Niederlage
Cannae fand nicht statt
von Alexander Beermann

Im Juli 1943 gelang es der Roten Armee erstmals, die Deutsche Wehrmacht, noch dazu bei günstigen Wetterverhältnissen vernichtend zu schlagen. Die große deutsche Sommeroffensive, "Unternehmen Zitadelle" genannt, richtete sich gegen die für einen Angriff bereitgestellten Kräfte der Roten Armee. Die besten deutschen Divisionen wurden in diesem Unternehmen aufgerieben. Die Schlacht von Kursk wurde bisweilen als "Waterloo der deutschen Panzertruppe" bezeichnet. Mit Skepsis haben deshalb bislang viele Historiker die These des ehemaligen Feldmarschalls von Manstein betrachtet, der nach dem Krieg in seinen Memoiren "Verlorene Siege" die Sommeroffensive der Wehrmacht im Raum Kursk als "verschenkten Sieg" beschrieben hat.

Doch inzwischen scheinen die Archive der ehemaligen Sowjetunion ihm recht zu geben. Die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte brachte die Sowjets an den Rand der Niederlage, und hätte die Schlacht noch zwei Tage weiter getobt, wäre zumindest ein Teilsieg der Wehrmacht kaum ausgeblieben. Das operative Ziel des "Unternehmens Zitadelle" war es, den russischen Frontvorsprung im Raum Kursk abzuschneiden und die Rote Armee in einer großen Vernichtungsschlacht entscheidend zu besiegen.

Die Heeresgruppe Mitte, mit Generaloberst Models 9. Armee als Schwerpunkt, sollte von Norden mit drei Panzerkorps nach Kursk vordrängen, wo dann die Vereinigung mit der aus Süden vorstoßenden Heeresgruppe Süd erfolgen sollte, die unter Mansteins Befehl stand. Wäre der Plan gelungen, hätten fünf russische Armeen ausgeschaltet werden können, darunter die gesamten strategische Panzerreserven der Sowjetunion.

Als am 5. Juli 1943 6.000 Panzer, 4.000 Flugzeuge und mehr als zwei Millionen Männer in einem gigantischen Zusammenstoß zweier Heere aufeinander stießen, war dies der Anfang der entscheidenden Schlacht des Ostfeldzuges. Die strategischen Reserven der beiden Seiten waren eingesetzt, und sowohl Hitler als auch Stalin schienen alles auf eine Karte gesetzt zu haben. Hitler wollte unbedingt die Initiative an der Ostfront zurückgewinnen, um sich danach der im Westen anbahnenden Invasion zu widmen. Dazu setzte er 33 Divisionen ein, davon 16 Panzerdivisionen. Die Generäle waren nervös, denn die Panzerwaffe war gerade im Umbau begriffen, und neue Panzermodelle, darunter der "Tiger", technisch noch nicht ausgereift. Dazu kam, daß die Verluste von Stalingrad durch Frontverkürzungen und Ersatz gerade erst einigermaßen aus-geglichen waren. Vergebens plädier-ten die Generäle 1943 für eine De-fensive.

Stalin, über das Vorhaben der Deutschen bis ins Detail von Churchill durch die Operation "Ultra Secret" informiert – Großbritannien konnte den geheimen Funkverkehr der deutschen Führung mitlesen –, wollte seinerseits den inzwischen ins Stocken geratenen Vormarsch der Roten Armee wieder in Bewegung bringen und die früheren Rückschläge im Raum Charkow durch ein zweites Stalingrad ausgleichen. Das Datum der deutschen Offensive war dem sowjetischen Oberkommando, der STAWKA, bekannt, und alles wurde getan, um die Wehrmacht um Kursk in tief gestaffelten Verteidigungssystemen auszubluten, und danach zu einer groß angelegten Gegenoffensive überzugehen.

Das Datum der Offensive war den Sowjets bekannt

Die Überlegenheit der Roten Armee Panzern und Sturmgeschützen war erheblich. Die Panzer sollten die 5. Garde Panzerarmee unter Generaloberst Pavel Rotmistrow nach der Abwehr des deutschen Angriffs für einen gewaltigen Gegenschlag zur Verfügung stehen.

Die 5. sowjetische Garde Panzerarmee lag bis zum 7. Juli mit 650 Panzern noch ungefähr 320 Kilometer östlich ihres späteren Einsatzraums um Prochorowka, als die unerwartet großen Geländegewinne der deutschen Kräfte der südlichen Zange deren sofortige Verlegung verursachte. Am 11. Juli trafen die Panzer dort ein und wurden umgehend durch das Panzerkorps und das II. Garde Panzerkorps verstärkt, wodurch Rotmistrow für den Höhepunkt der Schlacht am 12. Juli über 850 Panzer verfügen konnte, davon 500 neue vom Typ T 34.

Weshalb aber entschloß sich die russische Führung, ihre einzigen verbliebenen strategischen Reserven jetzt schon in den Kampf zu werfen und dadurch die Aussichten auf eine Gegenoffensive vorerst zu vereiteln? Rechtfertigte der deutsche Vormarsch tatsächlich einen solchen Schritt?

Im Norden hatte sich die aus Models Angriffstruppen bestehende Zange in den russischen Stellungen festgelaufen und kamen nur langsam und verlustreich voran. Doch im Süden schien das Kriegsglück auf seiten der Deutschen zu stehen. Hier hatten die deutschen Kräfte, darunter das II. SS Panzerkorps, einen Brückenkopf über das letzte natürlichen Hindernis vor Kursk, den Psel-Fluß, geschlagen, und es drohte der Durchbruch.

Der frühzeitige Einsatz von Rotmistrows Armee deutet deshalb auf den Ernst der Lage und das Ausmaß des Einbruchs in die russische Verteidigung. Am 12. Juli traf die strategische Reserve der Roten Armee frontal auf das II. SS Panzerkorps. In Nachkriegsdokumentationen wurde dessen Stärke mit 700 Panzern angegeben, doch deuten die erst zwischen 1978 und 1981 freigestellten Kriegstagebücher der an der Schlacht beteiligten SS Panzergrenadier-Divisionen auf weitaus weniger, denn am Tag vor der Offensive meldete das gesamte Korps nur 327 einsatzfähige Panzer. Am 11. Juli schrumpfte diese Streitmacht auf 211 Panzer, wobei eine Anzahl Panzer sich noch in der Instandsetzung befand und erst später zur Verfügung stehen konnte. Am 12. Juli fand schließlich das Zusammenprallen dieser Kräfte statt, und mit äußerstem Einsatz wurde eine bisher unüberübertroffene Materialschlacht auf engstem Raum geführt.

Hitler brach die Panzer-offensive vorzeitig ab

Bisher war diese Schlacht bei Prochorowka in der Literatur oft als "Grab der deutschen Panzerwaffe" bezeichnet worden. Doch dies scheint übertrieben, denn am 13. Juli meldete das Korps 163 einsatzfähige Panzer, ein Nettoverlust von 48 Panzern verglichen mit dem Vortag. Mit den instandgesetzten Panzern lagen die Eigenverluste an diesem Kampftag jedoch etwas höher, schätzungsweise eher bei 70. Nach neuen Quellen zu urteilen, waren jedoch im Gegensatz dazu die Verluste innerhalb der Roten Armee geradezu katastrophal; Rotmistrow selbst schrieb 1984, daß allein 400 "reparierbare" Panzer verloren wurden, ohne dabei Angaben zu den erlittenen Totalverlusten zu geben.

Doch Historiker scheinen sich mittlerweile einig, daß es sich um einige Hundert handeln mußte, da die Kampfkraft auf russischer Seite am Morgen des 13. Juli auf unter 200 einsatzbereite Kampfwagen gemeldet wurde. Die Deutschen konnten dies damals nicht wissen, und Historiker der Nachkriegszeit schenkten zuerst den sowjetischen Propagandaziffern Glauben, daß es die deutsche Offensivkraft war, die gebrochen wurde.

Doch es stand auf Messers Schneide: Manstein stand kurz vor dem Durchbruch und verfügte noch über drei frische Panzerdivisionen, die aus der Reserve heraus in den Kampf geführt werden konnten. Die russischen Kräfte waren indessen nicht in der Lage, sich durch einen geordneten Rückzug von den Deutschen zu lösen, ohne dadurch einen Einbruch der südlichen Kursker Front herbeizuführen. Models Druck von Norden erlaubte auch keinen nennenswerten Abzug von Verstärkungen.


 
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