© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Pankraz, Saddam Hussein und die Skrupel der Tyrannenmörder

Recht erstaunlich findet Pankraz die Ungeniertheit, mit der in den Medien im Hinblick auf den irakischen Diktator Saddam Hussein immer wieder zum Mord an diesem Mann aufgefordert wird. An sich steht jedem Verbrecher nach rechtsstaatlicher Regel ein fairer Prozeß zu. Man muß ihn fangen und verurteilen, darf ihn nicht einfach umbringen. Dieses erstrangige Moralgebot aus dem Dekalog wird jetzt schlankweg suspendiert. Man ruft geradezu nach dem Meuchelmörder, verspricht, ihm Kränze zu flechten, so wie einst die Athener den Meuchlern Harmodios und Aristogeiton wegen ihres Mordes an dem Tyrannen Hipparch Kränze flochten.

Freilich, die Athener führten sich damals noch schlimmer auf als heute unsere Medien. Denn Hipparch war – im Gegensatz zu Saddam Hussein – ein liberaler Aristokrat und an sich ein Klassemann, der (genau ist die Affäre leider nicht zu rekonstruieren) ursprünglich auch gar nicht fallen sollte; als Mordobjekt gemeint gewesen sei, erzählt Herodot, eigentlich sein Bruder Thessalos; außerdem seien die Motive der Mörder unedel gewesen, es habe sich um einen bloßen Ehrenhandel zwischen einigen schwulen Jünglingen gehandelt.

Trotzdem wurden Harmodios und Aristogeiton wenig später als Ahnherren der athenischen Demokratie gewaltig gefeiert. Man errichtete ihnen Statuen, und auf Partys sang man ihnen zu Ehren ein "Skolion", ein Trinklied, wohl das berühmteste Trinklied des Abendlandes: "Im Myrthenschmuck das Schwert ich trage,/ So wie Harmodios und Aristogeiton,/ Als sie gefällt den Tyrannen/ Und Freiheit brachten der Polis".

Rechtsstaatlich gesinnte Christen denken sehr viel skrupulöser über den sogenannten "Tyrannenmord". "Was ist überhaupt ein Tyrann?", so fragen sie sich. Die moralische Qualität eines Tyrannenmordes erscheint ja immer erst post festum, kann meistens nur aus dem weiteren Verlauf der Geschichte beurteilt werden.

Man ist sich z. B. heute darüber einig, daß ein Attentat auf Hitler, sagen wir, im Jahre 1940 unendlich viel Böses verhindert hätte, eine gloriose Tat der Gerechtigkeit gewesen wäre. Aber Sebastian Haffner hält bekanntlich dagegen. Wenn Hitler, schreibt er in seinem Buch über das Dritte Reich, im Herbst 1940 einem Attentat zum Opfer gefallen wäre, unmittelbar nach dem gloriosen Sieg über Frankreich und noch bevor die allermeisten der schrecklichen Morde in den KZs passiert waren und Deutschland und Europa noch unzerstört waren, dann wäre er möglicherweise von den Historikern als einer der größten Staatsmänner der europäischen Geschiche apostrophiert worden, relativ wenig Widerstand hätte sich gegen eine solche Einschätzung geregt.

Zwischen Mord und Tat der Gerechtigkeit liegen also manchmal weniger als fünf Jahre, und das macht: man kann den Menschen eben nicht in ihre schwarze Seele schauen, und man kann sie nicht wegen ihrer bloßen Bosheit und wegen ihrer finsteren Pläne verurteilen, sondern gerechterweise nur wegen ihrer Taten.

Und um vom Attentäter, vom Tyrannenmörder zu sprechen: Der sieht sich beim Planen seiner Tat ja nicht nur mit den geltenden Staatsgesetzen konfrontiert, die gegen ihn stehen und denen zu entgehen er kaum eine Chance hat, sondern er sieht sich auch und vor allem mit seinem Gewissen konfrontiert. Was sagt ihm dieses? Zum Grafen Stauffenberg, der 1944 zum Attentat schritt, sprach es zweifellos in klarster Sprache. Er und seine Mitverschwörer waren Frontoffiziere oder Diplomaten, die Einblick hatten und wußten, was für Verbrechen begangen wurden, daß sie zum Himmel schrien und die Ehre des Vaterlands in den Schmutz zogen. Aber keiner von ihnen hätte das Attentat schon 1940 vor seinem Gewissen rechtfertigen wollen.

Diese Leute standen wirklich in einem klassischen moralischen Konflikt. Es waren durch die Bank Patrioten im athenischen Sinn, für sie galt noch die traditionelle Sicht, daß das Vaterland mit Gott im Bunde zu stehen habe und seine Gesetze eine moralische Instanz allererster Ordnung seien. Der Krieg als solcher war in ihren Augen keineswegs unmoralisch, sofern er nur nach den Regeln der Fairness geführt wurde. Jedenfalls war Hitler für die Attentäter, nur weil er Krieg führte, noch kein Tyrann.

Und jeder dieser Verschwörer machte nun in den knappen, tosenden Jahren zwischen 1940 und 1944 die bittere Erfahrung, daß Vaterland und Moral tatsächlich auseinandertraten, daß uraltes, ihnen mit der christlichen Bildung auf ihren Gymnasien und Kadettenschulen wie Muttermilch eingeflößtes geheiligtes Erbe von der Wirklichkeit dementiert wurde. Das stürzte sie, wie wir nicht zuletzt aus den "Strahlungen" des jüngst verstorbenen Ernst Jünger, diesem großartigen "document humain", wissen, in allerschwerste Konflikte.

Daß sie als Attentäter Hochverräter sein würden, Aufbegehrende gegen den Kanzler des Reiches, dem sie als Soldaten und Diplomaten Treueschwur geleistet hatten, war ihnen klar, und sie wollten es hinnehmen. doch sie lehnten die Vorstellung strikt ab, daß sie auch Landesverräter seien, Vaterlandsverräter. Ein Schwur mußte gebrochen werden um der Gerechtigkeit willen und um dem entfesselten Bösen Einhalt zu gebieten. Aber das hieß zugleich: das Vaterland mußte wieder unter das Zeichen der Moral gebracht werden, weil letztlich nur so Moral zu üben war.

Was heute bei Ansehen der diversen Gesprächsrunden über Saddam Hussein und seine Beseitigung so deprimiert, ist der Umstand, daß auch nicht die Spur jener anspruchsvollen Moralproblematik zu entdecken ist, daß die vor der Kamera versammelten Lemuren offenbar gar keine Ahnung mehr davon haben, daß sie es beim Tyrannenmord mit Fragen der Moral zu tun haben. Wer irgendwas unterm Bett seiner Haremsdamen versteckt, der darf auch getötet werden, und jeder beliebige Killer ist für die Tat willkommen. So zieht man sich selbst den Boden unter den Füßen weg.


 
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