© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    10/98 27. Februar 1998

 
 
Nachruf: Ernst Jünger und die Ignoranz des Establishments
Ein Anarch auf großer Fahrt
von Rolf Hochhuth

Was Ernst Jünger mit "Auf den Marmorklippen" riskiert hat innerhalb Nazi-Deutschlands, das kann unsere – bisher – glückverdummte Genera-tion, die niemals politischen Zwängen und Terrorismen unterworfen worden ist, gar nicht mehr ermessen! Er war der letzte lebende Deutschschreibende, der noch zur Weltliteratur gehörte. Mit ihm geht eine Ära auch der deutschen Geistesgeschichte zu Ende, die nie zu schreiben ist, ohne auch Jüngers exemplarische Existenz darzustellen. Sein Essay "Der Waldgang" ist der bedeutendste, der nach dem Hitlerkrieg geschrieben worden ist – eine Magna Charta des zivilen Ungehorsams, die Anleitung, nicht konformistisch zu werden in einer Welt der Anpassung und des Mangels an Zivilcourage; und die Mahnung, daß seit Sokrates – den Jünger hier selbstverständlich als Märtyrer erwähnt – auch der Staatsform Demokratie das äußerste Mißtrauen entgegenzusetzen ist, weil auch sie dazu neigt, Minderheiten zu unterdrücken – was umso schlimmer ist, als es kaum auffällt.

Jünger hat wie nur noch Gottfried Benn auch in seiner Person, in seinem Werk bereits alles vorweggenommen und ausgesprochen, was auch meine Generation gedanklich, historisch, traditionell und sprachlich geprägt und programmiert hat. Sein Bestes wird man lesen, so lange man Deutsch liest.

Frank Schirrmacher behauptete in der Frankfurter Allgemeinen, ich sei der einzige Schriftsteller gewesen, der Jünger die letzte Ehre erwiesen hat. Sollte das wahr sein – ich vermag’s nicht zu glauben – so wäre das eine Schande für unsere Akademien. Wahr ist, daß die Bundesregierung nicht nennenswert vertreten gewesen ist, auch eine Schande – während zur Beisetzung Heinrich Bölls selbstverständlich Bundespräsident von Weizsäcker erschienen ist. Immerhin haben drei Generale der Bundeswehr dem letzten Träger des Pour le mérite das letzte Geleit gegeben.


 
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