© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/98 06. März 1998

 
 
Georgien und der Westen: Eine Region im Zwielicht der Medienberichterstattung
Der "Hussein des Kaukasus"
von Nodar Gabaschwili

Der kenntnisreichste US-Experte für kaukasische Fragen, T. Golz, hat einmal unter Verweis auf seinen armenischstämmigen Kollegen Paparzian festgestellt: "Es war eben jenes Thema Bergkarabach, das (russischerseits; Anm. d. Verf.) im Sinne von Zuckerbrot und Peitsche benutzt wurde, um Sowjet- und Diaspora-Armenier auf Pro-Perestrojka-Kurs zu zwingen." Die gleiche Politik wurde von den Mächtigen in Moskau auch gegenüber Georgien angewandt. Die traurige Geschichte der Destabilisierung der Regierung Gamsachurdia Anfang Januar 1992 war Teil einer Strategie, Georgien zu zerstückeln und zu schwächen, mit dem Ziel, dortigen Unabhängigkeitsbestrebungen einen Riegel vorzuschieben. Armenien und Georgien sollten zu sicheren russischen Bastionen im geopolitischen Widerstreit mit der Türkei umfunktioniert werden.

Im Oktober 1990 waren in Georgien die ersten Mehrparteienwahlen auf dem Gebiet der noch existenten Sowjetunion durchgeführt worden. Den Sieg errang die auf Demokratie und staatliche Unabhängigkeit bedachte antikommunistische Opposition, angeführt von dem Dissidenten und Schriftsteller Swiad Gamsachurdia. Die sowjetische und später die russische Regierung reagierten mit einer noch bis in die Gegenwart wirkenden, höchst erfolgreichen internationalen Desinformationskampagne sowie der Bildung einer bewaffneten Gesellschaft georgischer Krimineller, den sogenannten "Mchedrioni", die die alte kommunistische Elite in ihrem Kampf gegen die neue Regierung unterstützen sollte. Nicht selten wird Präsident Gamsachurdia in westlichen Medien noch heute als "nationalistischer Extremist" dargestellt, obwohl seine Politik im allgemeinen analog zu jener der baltischen Staaten gesehen werden muß.

Aber wer waren die führenden Kräfte der außerparlamentarischen Opposition während der Präsidentschaft Swiad Gamsachurdias? – Um dies genauer zu verstehen, kann man beispielsweise Miroslav Djilas‘ Bücher zu Rate ziehen, in denen beschrieben wird, wie in totalitären kommunistischen Staaten eine neue Klasse von höchst privilegierten Männern geschaffen wurde, die ihre Macht mit allen Mitteln verteidigten. Und eben die Untergrundtätigkeit dieser Kaste wurden von westlichen Journalisten paradoxerweise als ein "Kampf von Demokraten gegen den Diktator Gamsachurdia" skizziert. Der US- Journalisten Nordland verstieg sich in Newsweek sogar dazu, den georgischen Präsidenten als "Saddam Hussein des Kaukasus" darzustellen. Dabei hatte Gamsachurdia zweifellos nur beschränkte Möglichkeiten der Machtausübung, nicht zuletzt deshalb, weil auch nach der Unabhängigkeitserklärung vom 9. April 1991 in diesem Teil des untergehenden Reiches noch immer 130.000 Sowjetsoldaten stationiert waren und die KGB-Strukturen intakt blieben.

Dieselben in Rußland akkreditierten westlichen Journalisten, die früher überall Zeichen einer autoritären Politik Gamsachurdias zu sehen meinten, billigten die faktisch bonapartistische russische Verfassung, die auf den Vorschlägen der Berater Jelzin basiert, die wiederholt versicherten, daß die Demokratie in Rußland und anderen GUS-Staaten eines "starken Mannes" bedürfe.

Man könnte noch zahlreiche Beispiele dafür anführen, wie die Presse als hochentwickeltes Instrument auch der außenpolitischen Wahrnehmung Methoden der Ausübung totalitären Meinungsdrucks eröffnet. Georgien hat in diesem Kontext sehr darunter zu leiden gehabt, daß es auf keine Diaspora-Lobby in Washington zählen konnte, während einige andere frühere Sowjetrepubliken, die solche Lobbies haben, es sich sogar leisten können, territoriale Ansprüche gegen andere souveräne Staaten mit Waffengewalt durchzusetzen.

Tatsache ist, daß die Ereignisse im Kaukasus und in Tadschikistan, die in mehrerer Hinsicht von gleicher Tragweite wie jene im ehemaligen Jugoslawien sind, von der amerikanischen und europäischen Presse weitgehend unbeachtet bleiben. Wer weiß schon von der ethnischen Säuberung, die die rund 300.000 aus Abchasien vertriebenen Georgier erleiden mußten? Wenn es richtig ist, daß der Krieg in Jugoslawien auch deshalb von den verschiedenen Mitgliedern der Nomenklatura initiiert wurde, um ihre Macht in die neue Ära hinüberzuretten, indem sie das Prinzip des Klassenkampfes mit dem des Krieges zwischen Völkern tauschten, so waren für Jelzin die Kämpfe in Abchasien und Tschetschenien eine Möglichkeit, den Zugriff auf die Armee zu festigen.

Für Schewardnadse wiederum bot der Konflikt in Abchasien die Aussicht, die Gamsachurdia-Anhänger mit Billigung Moskaus zu unterdrücken. Als der Krieg dort begonnen hatte, stellte er ihn als eine Aggression von Tschetschenen und anderen nordkauskasischen Kräften dar und machte Zugeständnisse an die Russen, vor allem erkannte er den "friedenserhaltenden Status" der russischen Truppen in Abchasien an. Unter dem Druck der verzweifelten Flüchtlinge gibt Schewardnadse in jüngster Zeit auch einige die russische Kriegsverwicklung betreffende Erklärungen ab und deutet gar Interesse an Gamsachurdias Idee eines "kaukasischen Hauses" an.

Die vielen georgischen Parlamentarier, die nach dem Putsch ins Ausland fliehen mußten, sind jedoch ungeachtet solcher vermeintlich von der Einflußnahme Moskaus unabhängigen Verlautbarungen der Auffassung, daß das Exilparlament seinen legalen Status solange behält, solange sich russische Soldaten in Georgien aufhalten. Aus ihrer Sicht schließt die Präsenz dieser Truppen die Möglichkeit freier Wahlen in der Heimat aus.


 
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