© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/98 06. März 1998

 
 
"Wunder gibt es immer wieder": Guildo Horns unaufhaltsamer Aufstieg zum König des neuen deutschen Schlagers
Das Geheimnis der Nußecken
von Ilse Meuter

Ein erster Blick auf das Phänomen und man assoziiert den ultracoolen Kraftspruch des Hollywood-Komikers Groucho Marx: "Einem Verein, der mich aufnimmt, möchte ich als Mitglied nicht angehören müssen." Dieses Goldtröpfchen könnte exakt so aus dem vollippigen Mund des "Meisters" geträufelt sein. Dessen Biographie deckt sich, was die landsmannschaftliche Herkunft anlangt, mit derjenigen des kommunistischen Vordenkers Karl Marx: beide, Marx und Er, stammen aus Deutschlands ältester Stadt, dem idyllischen Moselflecken Trier.

Ist es purer Zufall oder eine Fügung des höheren Geschicks: Auf den Tag genau ist es 150 Jahre her, daß der eine sein berühmtes "Kommunistisches Manifest" unters Volk brachte, da erringt der andere seinen bislang größten Triumph. Hätte der Spaßmacher der Nation, Norbert "Bütt" Blüm (im Nebenjob seit 1982 Minister für Arbeit und Soziales), die Vorgänge zu kommentieren, gewiß preßte er schmallippig hervor: "Marx ist tot – Guildo lebt." Denn der Mosel derzeit berühmtester Sohn erblickte im Weltmeisterjahr 1954 als Horst Köhler das Licht der Welt – kaum einen Steinwurf weit von jener Stelle entfernt, an der die Wiege des Meisterdenkers gestanden hatte.

Es muß um die Zeit der 89er-Zeitenwende gewesen sein, da sich Horst eine Handvoll "orthopädische Strümpfe" zulegte, sie anwies, seinen Gesang hinfort zu begleiten, ihn "Guildo Horn" zu nennen und für einen Meister zu halten. So geschah es. Schon während seines sozialpädagogischen Studiums an der soeben zur Welt gekommenen Universität Trier-Tarfors hatte Horst, der frühe Halbwaise, unverbrüchlich an sich zu glauben gelernt, als er mit Idioten und Idiotinnen musizierte. Währenddessen war dem hellen Kopf jene therapeutische Wirkung nicht entgangen, mit der Melos und Rhythmus, das Wunder der Singstimme, den Seelen dieser unglücklichen Mitgeschöpfe zur Linderung verhalfen. Guildo hatte sein Damaskuserlebnis; hier fand etwas statt, das in Form einer Magisterstudie festgehalten zu werden verdiente: "Die Befreiung von der Vernunft" zählt mehr als hundert Seiten, per Fernleihe besorgt es jede servicefreundliche Bibliothek.

Horst -Guildo aber strebte nicht nach akademischer Lorbeer, der einzige Sohn von Mutter Gerda wollte höher hinaus: Er wollte ein deutscher Schlagerstar werden, seine Lieder im Radio abgespielt hören, öfter noch als die der Rolling Stones, träumte davon, von Dieter-Thomas Heck im ZDF angesagt zu werden, Hallen zu füllen, Menschen aller Stände, aller Alter, aller Bildungsgrade zusammenzuführen. Die Nation sollte seinen Liedern lauschen, sein Trier, das Moselland, ganz Deutschland wollte er vertreten beim gesamteuropäischen Pontifikalamt des Schlagergesangs, beim "Grand Prix de la Chanson", wollte in den edlen Sängerkrieg ziehen, unter fremden Sternen singen und siegen.

Er, der kleine Halbwaise aus Trier, wäre kein Pop-Mister oder Show-Master: nein, in ihm, Guildo Horn, sollte der große Roy Black sich nicht umsonst reinkarniert haben, er würde sich seines Talents würdig erweisen, würde, um der Welt sich und seine virtuos musizierenden Strümpfe zu präsentieren, zu schenken, bis das ganze gottverdammte Showbiz nicht mehr umhinkäme, ihn als den anzuerkennen, als den ihn seine von Jahr zu Jahr wachsende Kultgemeinde bereits sah – als "Meister".

Der Weg des Guildo Horn war lang und steinig, und nur weil das so war, gelang es diesem Prachtexemplar der heutigentags fast ausgestorbenen Spezies "Individuum", sein Charisma zur Geltung zu bringen. Denn Guildos Meisterschaft ist Widerständen abgerungen, ist das Resultat einer jahrelangen Ochsentour, und wenn heute, nach dem triumphalen Sieg bei der Vorausscheidung für das Grand-Prix-Finale in Birmingham Mai 1998, sein Charisma für Furore sorgt bis hinauf ins kleinste Alpenkaff, dann verdankt Guildo dies weniger den vier Bild-Titelseiten, die er schmücken durfte, als dem eisernen Glauben an seine Schlager-Mission. Denn Guildo ist der Kreuzritter der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik: Wäre Peter Maffay, der Donauschwabe, ihr Sancho Pansa, so möchte man in Guildo Horn einen Don Quichote sehen, der mit nußeckengefülltem Schwabbelbauch zum Racket greift und aller berechnenden Kühle des Weltgeschäfts zum Trotz seine Tennis-Hymne "Ich mag Steffi Graf" haucht.

Der Erfolg des Steffi-Songs mag einen Stefan Raab auf den Plan gerufen haben: Der Jesuiten-Zögling aus Köln-Sülz moderierte sich beim Musikkanal VIVA nach oben und bewies erstmals 1994 mit seiner Verulkung des "Bördie Bördie Vogts" sein Händchen für alles, was angesagt ist. Es folgte ein Remake des Jürgen-Drews-Evergreens vom "Brett im Kornfeld" und der Megaseller "Hier kommt die Maus", eine ARD-Auftragsproduktion mit Kohlegarantie.

Raab aber will, wie Guildo, sein Bruder im Geiste des bodenständigen Schlagers, mehr als bloß schnöden Mammon. Man ist schließlich kein Ralph Siegel, kein Farian, kein Bohlen. Beide treffen sich im Verlangen, die Herzen der auf eher unterkühltem Weg vereinten Nation musikalisch höher schlagen zu lassen, die deutsche Seele erneut in Einklang mit sich selbst zu führen. Raab tat sich mit Guildo zusammen, und siehe! es war, als hätten sich Petrus und Paulus gefunden, um auf einen Felsen der Zärtlichkeit die Neue Deutsche Schlagerkirche zu bauen. Raab, der Köln-Bonner, ließ seine Medienverbindungen spielen, powerte im Vorfeld der Grand-Prix-Sendung landauf, landab nichts als Guildo, Guildo durch den Äther. Es gelang ihm in kürzester Zeit, die Marke GUILDO HORN auf einem Markt zu etablieren, in dem etliche -zig Millionen unterforderte Angestellte beiderlei Geschlechts unablässig nach jenen kleinen Zerstreuungssensatio-
nen lechzen, die längst zum Schwungrad der Weltkonjunktur geworden sind.

Wie auch der Fußball Woche für Woche, und so gab es auch in der just verflossenen Februar-Woche drei deutsche Sensatiönchen: Guido, Gerhard und Guildo. Guido Buchwald vollbrachte mit 37 Jahren ein famoses Profisport-Comeback in der Mannschaft des Karlsruher SC. Bei aller Kritik versagen auch Guido-Skeptiker dem hochgewachsenen Strafraumräumer aus Schwaben ihren Respekt nicht. Anders die Kritiker des Hornschen Schlager-Dienstes: Sie hassen das schrille Objekt ihrer Abneigung mit der Kraft schlagerfeindlicher Herzen, und das ganz besonders nun, da der Meister massenhafte Zustimmung erfährt und die seit Jahrzehnten künstlich herbeigeführte Dominanz anglophoner Musikerzeugnisse zu gefährden droht. Bei Rock-am-Ring ’97 schlug Horn 60.000 Hardrockfans in seinen Bann: nach einer Nachhilfestunde durch die Strümpfe fraßen sie Guildo aus der Hand und sangen ekstatisch, sie fänden "Schlager toll". Ein weiterer Guido, der mit der Westerwelle, brachte Guildo ins Spiel, als er den Sieg des niedersächsischen Ministerpräsidenten kommentierte. Das "Phänomen" Schröder sei mit demjenigen Guildos insofern identisch, als es sich bei beiden um nichts als gigantisch mediale Inszenierungen handle. An Person und Sache sei ansonsten wenig Substanzielles. Dies aus dem Mund eines FDP-Funktionärs zu hören, erheiterte das Publikum nicht wenig. Daß das "Phänomen" Horn nahezu unauslotbar bedeutungsvoll ist, stellte das zeitgleiche Ableben des alten Schlagergottes Vico Torriani unter Beweis: Ein weiteres numinoses Zeichen der Erwähltheit?

Guildo liebt seine Mutter und braucht kein Revoluzzergehabe wie Udo Lindenberg oder die totdummen Hosen aus Schnöseldorf. Er ist fromm und schlagertoll und mag Steffi. Er ist anständig geblieben, bekennt sich zur Schönheit der deutschen Mutter(!) sprache und zur Befreiung von einer alles vernutzenden Herrschaftsvernunft. Guildo möchte als Patriot des Grenzlandes, daß die Nation gemeinsame Lieder singt und alles Welsche von sich abtut. Daß Deutschland, das musikalische Genie unter den Völkern, zu sich findet, sich heilen läßt durch die affirmative Kraft des Transrationalen.

Der passionierte Moselweintrinker Stefan George hielt dafür, daß die "Menge schön wird, wenn das Wunder sie ergreift": Wer, wenn nicht Guildo, könnte es heuer wirken? Gelobt und gepriesen sei daher das Hornsche DaDa-Sakrament: "Guildo hat euch lieb, piep piep piep piep piep".


 
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