© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/98 06. März 1998

 
 
Jede Ära geht zu Ende
von Heinrich Lummer

Die Wähler in Niedersachsen haben keinen Ministerpräsidenten gewählt, sondern einen Kandidaten für die Bundestagswahl. Diese Nominierung ist überzeugend ausgefallen. Aber es ist eben nur die Nominierung eines Kandidaten, nicht die Wahl des Kanzlers. Diese Entscheidung tangiert die CDU/CSU und insbesondere den Kandidaten der Union für das Kanzleramt. Er weiß nun, mit wem er es zu tun haben wird. Die Kür des Kandidaten Schröder trug plebiszitäre Züge. Man darf die Frage stellen – und vielleicht muß man sie sogar stellen: Wie würden die Wähler der CDU/ CSU die Frage nach dem Kanzlerkandidaten entscheiden? So wie die Partei oder anders?

Manche deuten das Ergebnis der niedersächsischen Wahl als Anfang vom Ende der Ära Kohl. Jede Ära geht einmal zu Ende. Es ist nur die Frage, wer sie beendet und wie sie beendet wird. Zunächst gab es eine Ära Kohl, wie es eine Ära Adenauer gegeben hat. Eine Ära Brandt oder Kiesinger gab es indessen nicht. Die Ära Adenauer wurde beendet, weil er trotz seiner Verdienste und großen Persönlichkeit in der eigenen Partei nicht mehr unumstritten war. Daraus zog er die Konsequenzen und ging. Kohl wird von der eigenen Partei nicht gegangen. Er ist nominiert, und die Partei wird diese Entscheidung nicht ändern. Natürlich kann er durch einen eigenen persönlichen Entschluß das Ende seiner politischen Karriere festlegen. Es kann auch sein, daß die Wähler dies tun. Wie schon das Beispiel Adenauer zeigt oder auch das von Churchill nach dem Zweiten Weltkrieg, kommt es dabei gar nicht auf die staatsmännische Leistung eines Politikers an, sondern auf Dinge, die sich der Rationalität entziehen. Offenbar erwarten die Wähler nach einer gewissen Zeitspanne neue Gesichter, die einen neuen Anfang versprechen. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß sich Parteien und Personen nach einer bestimmten Zeit in der Regierung abnutzen. Einerseits stößt ihre Innovationsfähigkeit an Grenzen, anderseits erwarten die Wähler einen Wechsel. Der Zeitraum der Abnutzung ist nicht genau festzulegen. Für Helmut Kohl hat sich dieser Zeitraum durch seine besonderen Leistungen, aber auch durch die Wiedervereinigung verlängert. Man kann sich schwer vorstellen, daß ohne eine besondere Herausforderung die Zeit eines Regierungschefs nach 16 Jahren noch nicht um wäre. Gibt es jetzt eine solche besondere Herausforderung? Dies ist derzeit nicht erkennbar. Doch in jedem Fall ist es beachtenswert, daß die derzeitige Regierung nach 16 Jahren überhaupt noch die Chance hat, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Und die Chance hat sie.


 
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