© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/98 06. März 1998

 
 
Währungsunion: Statistiker manipulieren Zahlen
Die Euro-Lüge
von Bernd-Thomas Ramb

Alle Statistiker lügen!, lautet ein altes Sprichwort aus dem Munde derjenigen, die, mit Zahlen traktiert, Zusammenhänge glauben sollen, denen sie im Grunde mißtrauen. Neu ist dagegen, daß die Lügner sich untereinander der Lüge bezichtigen, wenn auch nur mit der dezenten Umschreibung: "nicht nachvollziehbar" – ein Todesurteil unter Statistikern. Liegt nun die Defizitquote unter 3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt aus Wiesbaden uns weismachen will, oder über 3 Prozent, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin behauptet?

Dabei geht es nicht um die im Maastricht-Vertrag rechtsverbindlich vorgeschriebene "Erbsenzählerei" rund um 3,0 im Sinne von 2,9 oder 3,1. Die Spannbreite ist weiter, denn zwischen den vom Bundesamt vorgegebenen 2,7 und den vom DIW minimal zugestandenen 3,3 klaffen statistische Welten.

Da hilft auch nicht das arithmetische Argument, in der Mitte läge doch wieder die 3,0 und man solle endlich mit der Nörgelei um dieses Kriterium aufhören, wie es der CSU-Euro-Fan und Bundestagslandesgruppenchef Glos fordert. Die Frage der statistischen Ehre, wer von den beiden Kontrahenten die Wahrheit sagt, tritt an die Stelle der Frage, ob Bonn und der Euro endgültig an Glaubwürdigkeit verloren haben oder nicht. Was die Glaubwürdigkeit der beiden statistischen Urheber anbelangt, so steht da in der einen Ecke ein Bundesamt, das finanziell und personell in staatlich geregelter Abhängigkeit seiner statistischen Verpflichtung nachkommt, mit Vorgaben aus Bonn, was die statistische Abgrenzung der Zahlen anbelangt.

In der anderen Ecke steht ein in Fragen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung seit vielen Jahrzehnten exzellent ausgewiesenes wissenschaftliches Institut, personell nach wissenschaftlichen Kriterien besetzt und finanziell nur indirekt von Bonn abhängig, gefiltert durch den Einfluß des Wissenschaftsrates. Die vom ersten gelieferte Statistik ist Bonn genehm, die vom zweiten präsentierte sich so unangenehm wie das Manifest der 155 Volkswirtschaftsprofessoren. Jeder für sich durchaus glaubwürdig, der eine im Sinne seiner bürokratischen Integrität, der andere im bloßen wissenschaftlichen Sinne.

Geht diese Runde – wohlwollend betrachtet – noch unentschieden aus, zeigt die Frage nach der Sinnhaftigkeit der unterschiedlichen statistischen Daten einen klaren Punktsieger. Das DIW ist nicht nur ein renommiertes Forschungsinstitut, es weiß auch, was es mißt, nämlich das, was sinnvollerweise unter dem Gesichtspunkt des Maastricht-Defizits gemessen werden sollte.

Dagegen werden die Bundesamtsdaten, zwar Brüssel-legitim, aber gleichwohl manipuliert, nach der mathematisch probaten Methode, daß ein Quotient sich verkleinern läßt, indem der Zähler verringert und/oder der Nenner vergrößert wird. Also rauf mit dem Bruttoinlandsprodukt und runter mit der Neuverschuldung. Schulden im Krankenhausbereich werden als nicht-Maastricht-relevant ignoriert, kurzfristig überzogene Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsprämien zur Schuldenverringerung herangezogen – eine Variante der italienischen Methode, eine Sondersteuer zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien zu erheben, mit dem Versprechen der umgehenden Rückzahlung.

Ob weitere Formen der Zahlenmanipulation noch bekannt werden oder nicht, ist für die Regierung letztlich irrelevant. Sie hat zunächst ein präsentables Euro-konformes Datenmaterial. Ja, es ist sogar vorteilhaft, daß über die Defizitquote diskutiert wird, denn das lenkt von der Tatsache ab, daß das zweite Schuldenkriterium klar verfehlt wurde: Der Schuldenstand steigt von 60,7 auf 61,3 Prozent. Dieses, wohlgemerkt auf den geschönten Daten des Statistischen Bundesamtes basierende, Ergebnis bedeutet nicht nur eine klare Verletzung der 60-Prozent-Marke, sondern auch eine ansteigende Entwicklung der deutschen Schulden – was selbst mit der weichsten Interpretation des Maastricht-Vertrags nicht entschuldbar ist.

"Was ficht mich das an?", werden die Bonner Euro-Fanatiker sagen. Wichtig ist für sie jeder Tag Zeitgewinn, denn mit jedem weiteren Tag der unwidersprochenen Euro-Einführung wird über die Macht des Faktischen jeder juristische Widerspruch gebrochen. "Der Euro kommt" wird so lange der Bevölkerung in das Bewußtsein gehämmert, bis sich kaum noch jemand vorstellen kann, daß es jemals eine Zeit ohne europäische Einheitswährung gegeben hat. Ob sich die Deutschen dann auch nicht mehr vorstellen können, daß es ihnen in den Vor-Euro-Zeiten selbst bei fünf Millionen Arbeitslosen noch besser ging als danach, bleibt fraglicher Wunschtraum Bonns. Denn der gebetsmühlenhaft wiederholten Aussage des CDU-Generalsekretärs Hintze: "Der Euro wird Arbeitsplätze schaffen und das soziale Netz sichern" geben die Wissenschaftler keine Chance, den Status eines Glaubenssatzes zu überwinden. Dafür allerdings ist Pfarrer Hintze Spezialist. Vielleicht will er sich damit als künftiger Präsident des Statistischen Bundesamtes empfehlen?


 
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