© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Nationale Erhebung: Kampf gegen dänische Fremdherrschaft
"Bis ein schöner Morgen tagt"
von Hans Arp

Aus den revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 ragt die schleswig-holsteinische Erhebung heraus. Hier in den nördlichsten deutschen Gebieten ging es zwar auch um den Kampf für demokratische Rechte, um soziale Reformen, um deutsche Einheit, aber daneben stand die Erhebung als nationaler Befreiungskampf gegen dänische Fremdherrschaft.

Die Bewohner der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein in dem Gebiet etwa zwischen Hadersleben im Norden und der Elbe im Süden waren zum überwiegenden Teil deutsch. Lediglich am nördlichen Rand zwischen der Flensburger Förde und der Königsau (südlich von Kolding) war das Land von Dänen besiedelt, während die Städte eine deutsche Oberschicht aufwiesen. In den übrigen Gebieten aber war die Umgangssprache niederdeutsch, die Schrift- und Kirchensprache hochdeutsch; die gebildeten Schichten orientierten sich kulturell nach Deutschland.

Politisch gehörten die Herzogtümer Schleswig und Holstein zum dänischen Gesamtstaat, seitdem im 18. Jahrhundert der dänische König gleichzeitig Herzog von Schleswig und Holstein geworden war. Das änderte aber nichts an der Sonderrolle der deutschen Herzogtümer im dänischen Gesamtstaat: sie verfügen über eine Selbstverwaltung, über eine selbständige Kirchenverwaltung und Gerichtsbarkeit, über ein eigenes Münzwesen, und sie hatten in Kopenhagen eine eigene Regierungsbehörde. Die Menschen waren, gleichgültig ob deutsch oder dänisch, brave Untertanen ihres Herzogs.

Das änderte sich, als mit dem napoleonischen Imperialismus und den Befreiungskriegen das Nationalbewußtsein wach wurde. Zunehmend lehnte sich das Volk gegen Fremdherrschaft auf, so auch in Schleswig-Holstein. Elemente der revolutionären Unruhe waren auch hier die Burschenschaften, die Turnerbewegung und die Liedertafeln. Die Männerchöre pflegten in erster Linie das vaterländische Liedgut, in dem es um die Befreiung von Fürstenherrschaft und um die Schaffung eines einigen Deutschland ging. Die Burschenschaften – es nahmen 22 Kieler Studenten am Wartburgfest teil; eine erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt, daß die Kieler Universität nicht einmal 200 Studenten aufwies – politisierten sich zunehmend, während die Turner ein noch rabiateres revolutionäres Element bildeten. Schien die Sehnsucht nach deutscher Einheit und nach demokratischer Mitbestimmung sich zunächst auf diese drei Gruppen zu beschränken, nahm Anfang der vierziger Jahre die Entwicklung einen immer rascher werdenden Verlauf. Zwei Bestrebungen trafen aufeinander. Beide forderten nationale Selbstbestimmung sowohl in der Kultur als auch in der Politik: in Dänemark die Besinnung auf eigene dänische kulturelle Werte, in den deutschen Herzogtümern Schleswig und Holstein das Bestreben, sich von dänischer Fremdherrschaft zu befreien.

Dänemark war noch im 18. Jahrhundert von deutscher Kultur überlagert. Während man das Dänische gering achtete, pflegten die herrschenden Schichten eine Neigung zur deutschen Kultur. Das dänische Heer hatte deutsche Kommandosprache. Dänische Könige stammten häufig aus deutschen Fürstenhäusern. Das wurde mit dem Erwachen des Nationalbewußtseins rückgängig gemacht. Als sich dänisch gesinnte Nordschleswiger im Sommer 1844 bei Hadersleben zu einem Fest zusammenfanden, das von dänischer Dichtkunst, Predigt und Liedern geprägt war, rief das die Reaktion der deutschen Schleswig-Holsteiner hervor. Wenige Wochen später versammelten sich 12.000 Deutsche in der Stadt Schleswig zu einem Sängerfest, auf dem zum ersten Mal das Schleswig-Holstein-Lied erklang, das bis heute die inoffizielle Landeshymne ist:

Schleswig-Holstein, meerumschlungen /Deutscher Sitte hohe Wacht! / Wahre treu, was schwer errungen, / Bis ein schöner Morgen tagt! / Schleswig-Holstein, stammverwandt, / Wanke nicht, mein Vaterland.

Treffen dieser Art, auf denen die nationale Zugehörigkeit demonstriert wurde, fanden in wachsender Zahl statt. Die politische Stimmung wurde explosiv, zumal der dänische König blau-weiß-rot ebenso wie das revolutionäre Lied verbot. Es kam zur Detonation, als der dänische König unter dem Einfluß der dänischen Nationalliberalen versuchte, durch eine für Dänemark und Schleswig geltende Verfassung das nördliche Herzogtum von Holstein zu trennen und Dänemark einzuverleiben. Es entflammte in ganz Schleswig-Holstein der Widerstand, zumal der König gegen den fast 400 Jahre alten Vertrag von Ripen verstieß, in dem unter Druck der schleswig-holsteinischen Ritterschaft hatte zusichert werden müssen, daß Schleswig und Holstein sollten bleiben "up ewich ungedelt" – auf ewig ungeteilt.

Am 24. März 1848 wurde in Kiel die provisorische schleswig-holsteinische Regierung gebildet aus Kräften vom linken Flügel der demokratischen Bewegung bis zu weit rechten Mitgliedern des Adels. Ihre Ziele: Schleswig-Holstein soll Bestandteil des deutschen Staates werden und dessen Verfassung soll "ihre volle und unbeschränkte Anwendung auf die Herzogtümer" finden, wie es in dem bald verkündeten "Staatsgrundgesetz" formuliert wurde. Alle Staatsbürger sollen vor dem Gesetz gleich sein. Es wird die Wehrpflicht für alle verkündet. Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Koalitionsfreiheit werden eingeführt, die Zensur wird abgeschafft.

Es gelang den Schleswig-Holsteinern, sich am Tage nach der Proklamation durch einen Handstreich in den Besitz der das Land beherrschenden Festung Rendsburg zu setzen, wodurch nicht nur große Mengen an Waffen in die Hand der Revolutionäre fielen, sondern auch die Hauptkasse mit 2,5 Millionen dänischen Reichsbanktalern. Die schleswig-holsteinische Regierung bat sogleich das Paulskirchenparlament um Unterstützung. Das beauftragte zunächst Preußen, einzugreifen. Der Krieg war unausweichlich geworden.

Ganz Deutschland geriet in den Rausch der Begeisterung. Im Norden schien eine Revolution zu gelingen. Freiwillige aus allen deutschen Gegenden eilten in das meerumschlungene Land. Aus den Freiwilligen hatte zwar kaum einer militärische Ausbildung erfahren, glaubten diesen Mangel aber durch vaterländische Begeisterung ersetzen zu können. Es ergab sich die bemerkenswerte Situation, daß sogar Revolutionäre mit preußischen Offizieren, die sich noch vor kurzem in Berlin bekämpft hatten, nun gemeinsam gegen den dänischen Feind zu Felde zogen.

Als ein Freikorps aus Kieler Turnern und Studenten als erste auf reguläre dänische Truppen traf, erlitt es eine schwere Niederlage. Als dann preußische Kontingente eingetroffen und die ersten Einheiten der schleswig-holsteinischen Armee, bestehend aus Landeskindern, die bislang beim dänischen Militär gedient hatten, gebildet waren (es umfaßte schließlich 43.000 Mann), ging der Vormarsch zügig voran. Bald stieß das aus Einheiten aller Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes gebildete Kontingent hinzu.

Da griffen die europäischen Großmächte ein. Rußland wollte nicht dulden, daß eine Volkserhebung erfolgreich sei. England wollte keine deutsche Seemacht, hätte doch der Deutsche Bund durch den Hinzutritt Schleswig-Holsteins eine Küste mit Häfen gewonnen. Frankreich wollte die deutsche Einigung verhindern. So zwangen sie den Deutschen Bund zum Waffenstillstand.

Nachdem dieser von Dänemark gekündigt worden war, konnten die deutschen Truppen sich behaupten, bis sich Preußen und die übrigen deutschen Länder unter dem Druck des Auslandes aus Schleswig-Holstein zurückziehen mußten. Nun standen die Schleswig-Holsteiner allein gegen die übermächtige dänische Armee. Im Juli 1850 kam es zur entscheidenden Schlacht bei Idstedt, die mit der schleswig-holsteinischen Niederlage endete. Angesichts des zunehmenden ausländischen Drucks blieb nichts anderes übrig, als Frieden zu schließen. Die alten Verhältnisse wurden wiederhergestellt. Keine Partei hatte ihr Ziel erreicht: die Herzogtümer wurden dem dänischen Gesamtstaat wieder eingegliedert.

Die dänische Verwaltung bemühte sich, vor allem im nördlichen Schleswig-Holstein die Menschen zu danisieren durch Unterdrückung der deutschen Sprache, durch Verfolgung aller politischen deutschen Bestrebungen. Dänemark hatte sich im Friedensschluß verpflichtet zu unterlassen, Teile der Herzogtümer einzuverleiben. 1863 mißachtete der dänische König diese Verträge und versuchte erneut, Schleswig handstreichartig an Dänemark zu binden. Diese Gelegenheit nutzte der inzwischen in Preußen Ministerpräsident gewordene Otto von Bismarck, die schleswig-holsteinische Frage im Zusammenwirken mit Österreich zu lösen. Der von Dänemark provozierte deutsch-dänische Krieg führte zur Niederlage: Dänemark mußte im Friedensvertrag auf Schleswig-Holstein verzichten. Schleswig gelangte unter preußische, Holstein zunächst unter österreichische Verwaltung, bis nach dem preußisch-österreichischen Krieg 1866 beide Herzogtümer Preußen zugeschlagen wurden und fünf Jahre später zum Deutschen Reich gehörten.

Die Ereignisse in Schleswig-Holstein hatten bewiesen, welche Dynamik eine Bewegung freisetzt, in der sich demokratische mit nationaler Zielsetzung vereinigt. Der kürzlich verstorbene dänische Historiker Lorenz Rerup würdigte die Erhebung so: "Von beiden Seiten hat man mit Recht die Frische und Kraft dieses nationalen Aufbruchs betont, war doch sein innerstes Anliegen die Verwandlung des loyalen, aber dem Schicksal der Nation gegenüber passiven Untertanen in den aktiven, engagierten Bürger, der sich seinem Gemeinwesen gegenüber verpflichtet fühlt und deshalb auch mitreden und mitbestimmen will."


 
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