© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Die Schröder-Falle
von Thorsten Thaler

Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ist Bewegung in die erstarrte politische Landschaft gekommen. Der allein in seiner Höhe überraschende Wahlsieg Gerhard Schröders bei der niedersächsischen Landtagswahl, seine stehenden Fußes erfolgte Nominierung als Kanzlerkandidat der SPD und die Abstimmungsniederlage der Regierungskoalition im Bundestag haben spürbar bewirkt, daß nach Jahren des Stillstands "ein Ruck" (Bundespräsident Herzog) durch Deutschland geht. Der Ruf "Kohl muß weg!" breitet sich wie Donnerhall bis in die entlegensten Winkel der Republik aus. Kritiker des Dauerkanzlers sind geradezu elektrisiert von der realen Aussicht auf einen Machtwechsel.

Die Crux daran ist, daß sich ihre Parteinahme zugunsten Schröders häufig in einer bloßen Anti-Haltung zu Kohl äußert. Nicht das Wofür steht im Vordergrund der euphorischen Aufbruchstimmung, auch nicht die Frage Wohin?, sondern allein das Wogegen bestimmt das politische Denken. Selbst namhafte Rechtsintellektuelle lassen sich von diesem medial verstärkten Sog mitreißen und tappen blindlings in die Schröder-Falle: "Wem an Deutschland gelegen ist und wer deshalb sein Bestes will," schreibt der Publizist Ulrich Schacht in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Gegengift, "muß wohl am 27. September 1998 Schröder wählen, was immer er für ein Parteibuch in der Tasche trägt und sonst noch von Schröder weiß. Der Rest ist Risiko."

Nein, so einfach darf man sich die Sache nicht machen. Hier verstellt die Perspektive, das "kohlistische System" (Schacht) der Simulierung von Politik im Herbst endlich zu überwinden, den Blick für die Notwendigkeit eines echten Politikwechsels in diesem Land, der eben mehr beinhaltet als nur den Austausch von Gesichtern auf der Regierungsbank. Befremdlich an der Argumentation konservativer Schröder-Enthusiasten stimmt das Ausblenden politischer Entwicklungslinien bei der SPD allemal. Wer auf der einen Seite die "Sozialdemokratisierung" der Union beklagt, auf der anderen aber die "Unionisierung" der Sozialdemokraten nicht wahrhaben will, der hat nicht verstanden, woran dieses Land krankt. Wer will die Hand dafür ins Feuer legen, daß Schröder wirklich für mehr als die Fortsetzung der "Weiter so!"- Veranstaltung mit anderen Mitteln steht?

Es ist ja wahr: Deutschland braucht einen Machtwechsel, und wenn die politischen Auguren recht behalten, dann wird dieser Wechsel am Abend des 27. September fällig. Wahr ist aber auch, daß dieses Land eines viel mehr benötigt: einen tiefgreifenden Bewußtseinswandel, der eine Kurskorrektur erst möglich macht.


 
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