© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Grüne: Parteitag rückt von der Schröder-SPD ab
Pfeifen im Walde
von Michael de Wet

Parteitage folgen ihren eigenen, oft unberechenbaren Gesetzmäßigkeiten. Dazu gehört, daß Delegierte den von der Parteispitze sorgsam ausgeklügelten Ablauf durcheinanderwirbeln und gelegentlich auch ihre Spitzenfunktionäre demonstrativ und symbolisch "abstrafen". Ein solches Ritual vollzogen die Bündnisgrünen am vorigen Wochenende in der Bördelandhalle zu Magdeburg.

Mit ihrem Votum gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr – konkret ging es um "friedenserhaltende Maßnahmen" im Rahmen der Sfor-Truppe in Bosnien – haben die Delegierten in einer denkbar knappen 274 zu 275-Entscheidung ihren Bundesvorstand brüskiert.

Vor allem aber haben sie aus dem Höhenflug ihres Fraktionsvorsitzenden Joschka Fischer, der in den Medien bereits als Außenminister einer rot-grünen Koalitionsregierung in Bonn gehandelt wurde, einen Ikarusflug gemacht. Wenn Joschka Fischer an Gerhard Schröders Kabinettstisch Platz nehmen will, wird er nicht um das Nachbessern der Magdeburger Beschlüsse zur Außen- und Verteidigungspolitik umhinkommen.

Die fundamentalistisch-pazifistische Entscheidung sei denn auch "eine Steilvorlage für den politischen Gegner", bedauerte die zum Realo-Flügel zählende Parteisprecherin Gunda Röstel, und Rezzo Schlauch, Baden-Württembergs gewichtiger Oberrealo, seufzte, daß dieser Beschluß die Grünen am 27. September wohl einige Prozentpunkte kosten werde.

In der Tat dürfte der Magdeburger Parteitag dem um seinen Koalitionspartner bangenden Helmut Kohl Genugtuung bereitet haben, hat er doch die tröstliche Gewißheit, daß auch die Sozialdemokraten nicht in einer geschlossenen Phalanx mit den Bündnisgrünen stehen. Im Wahlkampf kann die Union nun überdies die Grünen als Bürgerschreck, als Katze im Sack der SPD verkaufen.

Der Magdeburger Parteitag mag als trotziges "Jetzt erst recht"-Bewußtsein der Grünen gedeutet werden, aber auch als verzweifeltes Demonstrieren eines eigenständigen Profils angesichts der inzwischen als erdrückend empfundenen Übermacht der Schröder-SPD. Der Schreck der niedersächsischen Landtagswahl, die den Grünen entgegen allen Erwartungen nicht Zuwächse sondern Verluste bescherte, spielte ebenfalls eine hintergründige Rolle in Magdeburg. Das hohe Lied des Fundamentalismus – ist es womöglich nichts anderes als ein Pfeifen im Walde?

Im Vorfeld der Bundestagswahl dürften jedenfalls spannende Verhandlungen zwischen Rot und Grün anstehen. Gerhard Schröder, der "Automann", ließ bereits seinen potentiellen Juniorpartner wissen, daß er die schrittweise Erhöhung des Benzinpreises auf fünf Mark für unsinnig halte. Mehr aber noch sei die Forderung nach Abschaffung der NATO und deren Ersatz durch ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem inakzeptabel. Denn die Bindung an das atlantische Bündnis ist ein ungeschriebener Artikel des Grundgesetzes.

In diesem Punkt sind die Bündnisgrünen tatsächlich eine echte Oppositionspartei, und der Magdeburger Parteitag hat dies bestätigt. Man wolle nicht die "national-hegemoniale Interessenpolitik der USA" in "deutscher Vasallentreue" unterstützen und die Bundesrepublik zum "amerikanischen Flugzeugträger" umfunktioniert sehen.

Solche von Vorstandssprecher Jürgen Trittin, Ludger Vollmer und anderen Vertretern des linken Flügels angeschlagenen Töne hätten auch aus dem äußersten rechten Lager stammen können.

Kein Wunder, daß sich die linksalternative taz in ihrem Bericht über den Parteitag sogleich an "Rückfälle in unheilvolle deutsche Sonderwegstraditionen" erinnert fühlte.

Die Wahrheit trifft es aber am ehesten, wenn die pazifistischen Beschlüsse dieses Parteitages im Kontext des grünen Wahlprogrammes gesehen werden, das eine eindeutige linke Tendenz aufweist.

Die Forderungen nach Freigabe weicher Drogen, nach doppelter Staatsbürgerschaft für Ausländer und Einwanderungsgesetz, nach Abschaffung des § 218 und ähnliches mehr zeigten, daß die Bündnisgrünen – die kommunistische Herkunft vieler hoher Grünen-Politiker legt das nahe – ideologisch näher an der PDS denn an der SPD siedeln. Das beharrliche Insistieren auf einer ökologischen Steuerreform mutet in diesem Warenhauskatalog für die linksalternative Szenerie wie ein Relikt aus jenen längst verwehten Zeiten an, als die Grünen mit Leuten wie Petra Kelly, Herbert Gruhl und Wolf-Dieter Hasenclever ihrer Parteifarbe noch alle Ehre machten.

"Die Welt hat sich verändert, Joschka Fischer auch, seine Partei dagegen nicht", kommentierte die taz den Parteitag. Der Satz erinnert an die Umbruchzeit von 1989 und 1990. Auch damals taten sich die Grünen sehr schwer, Abschied von einer Welt zu nehmen, die durch den eisernen Vorhang und die deutscheTeilung gekennzeichnet war. Ihre tankerartige Schwerfälligkeit im Umgang mit der Wiedervereinigung kostete sie damals den Einzug in den Bundestag. 1998 könnte ein ähnlich dogmatisches Verharren ihnen die Chance zur Regierungsbeteiligung verbauen.


 
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