© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Kosovo: Ex-Premier Bujar Bukoshi fordert die Abtrennung der ehemals autonomen Provinz
"Unsere Geduld ist am Ende"
von Gerhard Quast

Herr Bukoshi, im Kosovo droht eine kriegerische Auseinandersetzung. Ist die Schuld für den Konflikt allein bei Belgrad zu suchen?

BUKOSHI: In erster Linie ist die serbische Politik, die verbrecherische Politik gegenüber einem ungeschützen Volk, für den jetzigen Konflikt verantwortlich.

Aber diese Politik dauert nun schon seit der Aufhebung der Autonomie 1989 an. Was hat sich seitdem verändert?

BUKOSHI: Während der vergangenen Jahre kam es vor allem dank der friedlichen Bewegung der Albaner, die jeden Konflikt vermieden haben, nicht zu Auseinandersetzungen. Jetzt sind aber alle Kräfte ausgeschöpft, und Serbien überträgt die eigenen Probleme auf Kosova.

Aber die Leidensfähigkeit der Kosovo-Albaner hat doch auch nachgelassen?

BUKOSHI: Alles hat ein Ende, auch die Geduld der Albaner. Aber das ist nicht der Casus belli. Sie wären noch eine Weile imstande gewesen, diesen Zustand zu ertragen, immer in der Hoffnung, daß es irgendwann eine politische Lösung geben wird. Aber Serbien hat es jetzt eilig und deshalb die Repressionen und Provokationen verschärft.

Haben die Serben mit der Zurückhaltung der Europäer gerechnet?

BUKOSHI: Die serbische Regierung stellt in Rechnung, daß sie von internationaler Seite nie adäquat behandelt wurde. Mit anderen Worten: Die Handlungen der Serben wurden – während aller Aggressionen im ehemaligen Jugoslawien – extrem lang toleriert und so haben die Serben zu Recht den Eindruck gewonnen, sie könne sehr viel tun, ohne bestraft zu werden. Belgrad hat immer den Spielraum genutzt, den die internationale Gemeinschaft gewährt, und konnte so seine aggressiv-mittelalterliche Politik weiter betreiben.

Im Fall des Kosovo ist eine starke Zurückhaltung der Europäer zu spüren. Betrachten die Deutschen und die anderen Europäer den Konflikt als "innere Angelegenheit" Serbiens?

BUKOSHI: Das mag sein, ist aber völlig falsch. Wieso soll Kosova eine innere Angelegenheit Serbiens sein, wenn ein Regime ein anderes Volk unterdrückt. Es geht hier auch um Frieden und Stabilität einer ganzen Region, und indirekt besteht die Gefahr, daß noch mehr Regionen einbezogen werden. Es ist ganz im Interesse des Westens, dort aktiv zu werden und alles zu stoppen, was unakzeptabel ist, weder moralisch noch politisch. Wir können natürlich nur fordern und warnen, daß dort im Interesse aller ein offener Konflikt vermieden wird.

Wie müßte eine Antwort der Europäer aussehen?

BUKOSHI: Es müßte ein noch viel stärkerer diplomatischer, politischer, wirtschaftlicher und militärischer Druck ausgeübt werden, um Serbien zu stoppen. Aber der politische Wille ist noch nicht vorhanden, die Entschlossenheit fehlt…

… so daß vom Kosovo ein neuer Balkan-Krieg ausgehen könnte?

BUKOSHI: Es ist traurig, daß der Westen die Lektion der bosnischen Tragödie nicht gelernt hat. Wenn jetzt in Kosova ein zweites Bosnien entsteht, dann wird das kein zweites Bosnien bleiben, denn dieser Konflikt läßt sich nicht so einfach lokalisieren. Er wird automatisch auf Nachbarstaaten übergreifen und die ganze Region einbeziehen.

Die westlichen Staaten werden doch mit Sicherheit auf einen Kompromiß aus sein, der dem Kosovo allenfalls eine Autonomie gewährt. Wären Sie damit zufrieden?

BUKOSHI: Wir wollen über unser Schicksal selbst entscheiden, nicht unter serbischem Joch bleiben. Wenn wir unter serbischer Restriktion bleiben müßten, dann wäre das eine palliative Lösung, die nicht lange halten würde. Wenn man über eine langfristige Lösung redet, dann kann Kosova nicht im serbischen Staat verbleiben. Das ist der eine Aspekt. Zum zweiten haben die Albaner ein Selbstbestimmungsrecht. Wir gehen davon aus, daß wir, wie alle Völker des ehemaligen Jugoslawiens, das Recht haben, selbst über unsere Zugehörigkeit zu entscheiden.

Heißt das, Sie streben einen eigenen, zweiten albanischen Staat an?

BUKOSHI: Wir streben die Unabhängigkeit von Kosova an. Wir denken, das ist die optimale Lösung. Und es ist auch eine Art von Kompromiß von seiten der Albaner, denn wir verzichten auf die Vereinigung mit Albanien, mit allen Albanern auf dem Balkan. Wir sind uns bewußt, daß eine solche Vereinigung große Komplikationen verursachen würden. Postulate der internationalen Gemeinschaft, die besagen, es dürfe keine Grenzveränderungen geben, akzeptieren wir nicht. Ganz abgesehen davon betonen wir, daß Kosova eigene Grenzen hat und auch alle Voraussetzungen erfüllt, um ein normaler Staat zu sein.

Also kein Ende der Balkanisierung des Balkans?

BUKOSHI: Ich weiß, daß das Phänomen der Kleinstaaterei aus westlicher Perspektive nicht so sympathisch gesehen wird, aber das ist die Realität auf dem Balkan.

Eine Realität, die im Westen viel Skepsis hervorruft.

BUKOSHI: Das mag sein, aber jetzt geht es erst einmal darum, den drohenden Krieg zu vermeiden. An erster Stelle steht für uns: erst den Krieg stoppen. Dafür ist die Hilfe des Westens notwendig. Ohne den Westen ist eine faire Lösung mit Milosevic kaum denkbar.

Es ist doch eher unwahrscheinlich, daß die Serben freiwillig das Kosovo aufgeben. Ist eine friedliche Lösung des Konflikts überhaupt möglich?

BUKOSHI: Kosova gehört den Menschen, die dort leben. Und dort leben mehr als 90 Prozent Albaner. Wenn die Serben Kosova nicht freiwillig aufgeben, dann sind die Albaner auch nicht bereit, freiwillig unter serbischer Sklaverei zu bleiben oder ethnisch "gesäubert" zu werden.

Bedeutet das, daß die im Untergrund operierende "Befreiungsarmee Kosova" (UCK) weiter Zulauf bekommen würde?

BUKOSHI: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn jetzt von außen eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeigeführt werden kann, dann gibt es Chancen, daß die UCK ohne größere Bedeutung bleibt, wenn nicht, dann wird die Befreiungsarmee Kosova immer größere Sympathie und Unterstützung von allen Bevölkerungsschichten Kosovas bekommen. In einer Situation der totalen Frustration, der physischen Bedrohungen des eigenen Volkes durch die serbische Staatsmacht, wäre die Kosova-Befreiungsarmee der einzige Hoffnungsträger dieser schutz- und wehrlosen Zivilisten. Ich kann mir gut vorstellen, daß ein immer größerer Teil der Albaner in Kosova einen anderen Weg einschlägt…

…und den friedlichen Protest beenden wird?

BUKOSHI: Das ist eine logische Konsequenz!

Der Konflikt im Kosovo wird in vielen Nachbarstaaten mit großer Sorge betrachtet. Könnte der Konflikt im Kosovo Auswirkungen auf Montenegro, Griechenland oder Mazedonien haben, also auf Staaten mit zum Teil erheblicher albanischer Minderheit?

BUKOSHI: Die dortigen Albaner werden den Albanern in Kosova helfen, das ist logisch. Wenn der Konflikt sich verschärft, werden alle Albaner wie ein Volk reagieren, unabhängig davon, in welchen Grenzen sie
leben.

Viele Deutsche sagen, was geht mich der Konflikt auf dem Balkan an. Wie würden Sie auf solche Bemerkungen antworten?

BUKOSHI: Der Konflikt geht natürlich auch die Deutschen an, das merken die Deutschen. Die erste Assoziation ist: Was suchen die Albaner hier in Deutschland?

Und, was suchen die Albaner hier im Land?

BUKOSHI: Eine halbe Millionen Albaner mußten Kosova verlassen. Diese Albaner sind nach Deutschland, in die Schweiz und in andere westeuropäische Länder geflüchtet, aber sie sind interessiert daran, nach Kosova zurückzukehren. Auch meine Regierung ist sehr daran interessiert, daß meine Landsleute in ihre Heimat zurückkehren, um dort ihre Zukunft aufzubauen. Und wenn jetzt noch eine weitere Flüchtlingswelle kommt, dann wird das für Deutschland zum Problem. Der Balkan liegt nicht am Ende der Welt. Kosova ist eine Stunde Flugzeit entfernt.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, rechnen Sie damit, daß bei einer Verschärfung des Konfliktes auf Deutschland eine weitere Fluchtwelle zukommt.

BUKOSHI: Natürlich möchte ich nicht, daß die Albaner nach Deutschland flüchten, aber, sollte sich der Konflikt verschärfen, läßt sich das nicht vermeiden.

Wenn Kosovo unabhängig wäre…

BUKOSHI: …dann würde die Regierung von Kosova sofort ein Abkommen mit der Bundesrepublik unterzeichnen. Dann haben die Albaner in Ihren Städten nichts zu suchen. Diese Albaner sind auch unglücklich und frustriert. Sie betrachten den Aufenthalt nur als vorübergehend. Sie haben die Hoffnung, zurückzukehren. Die Albaner sind mehr als viele andere Völker sehr eng mit ihrer Heimat verbunden, besonders jetzt, wenn es ihren Brüdern und Schwestern schlecht geht.


 
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