© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   12/98 13. März 1998

 
 
Bundestag. Am 26.März droht neue Abstimmungsschlappe für Kohl
Wenn die Schwäne singen
von Martin Otto

Wie lange noch? Die Tage der Bonner Koalition scheinen gezählt. Knirschen im Koalitionsgebälk, das ist zwar ein Ton, an den man sich im siebzehnten Jahr des Rekordkanzlers schon gewöhnt hat. Doch noch nie wurden die Streitigkeiten so unmittelbar vor einer Bundestagswahl ausgetragen wie in diesem Jahr. Schon raunt man von der nächsten Niederlage der Koalition in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht; eine von jahrelangen Diadochenkämpfen der Brandt-Enkel erstaunlich genesene SPD will es noch einmal wissen. Mit viel taktischem Geschick nähert sich die Sozialdemokratie, durchaus unter Aufgabe eigener Stellungen, den Positionen der FDP an, einer Partei also, deren parlamentarische Zukunft ungewiß ist.

Alle bisherigen Umfragen versprechen den Liberalen für den 27. September eine Zitterpartie. Kaum ein professioneller Wahlforscher will im Moment ausschließen, daß der klassische deutsche Liberalismus seinen Schwanengesang erlebt und die Drei-Punkte-Partei in einem halben Jahr von der bundespolitischen Bühne verschwindet.

Selbst eingeschworene SPD-Linke näherten sich in der Abstimmung über das Maßnahmengesetz zum "Lauschangriff" der FDP-Position an. Und die Rechnung ging auf. Das Ergebnis, ein Maßnahmengesetz, das in seinen Abhörverboten den Sonderwünschen der FDP weitgehend entspricht, verfehlte den erwünschten Erfolg nicht: Die Medien berichteten allesamt von der großen Niederlage der Regierung Kohl. Nun wird am 26. März der Bundestag über eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts entscheiden. Ein Gesetzesentwurf der SPD liegt vor. Wichtigster Aspekt der Reform: eine unbefristete doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder in Deutschland geborener Ausländer, die sogenannten Ausländer der zweiten Generation.

Das entspricht nicht ganz der offiziellen FDP-Linie. Die FDP wünscht für die "zweite Generation" die doppelte Staatsbürgerschaft nur bis zum Eintritt der Volljährigkeit; anschließend soll der junge Doppelstaatler sich für einen Paß entscheiden müssen. Zumindest was das Thema Volljährigkeit betrifft, sind die Vorstellungen von SPD und FDP ähnlich. Mehr noch: auch in der CDU-Fraktion versucht sich seit einiger Zeit ein Kreis um den saarländischen Abgeordneten Peter Altmaier zu profilieren; auch ihr Forderungskatalog beinhaltet eine mit den FDP-Positionen übereinstimmende Regelung im Staatsbürgerschaftsrecht.

FDP könnte für eine negative Mehrheit sorgen

Die Arithmetik ist eindeutig: Rechnet man alle parlamentarischen Gegner der aktuellen Rechtlage zusammen, gibt es eine negative Mehrheit, die Vorstellungen der Union zum Ausländerrecht blockieren könnte. Und die Befürworter der doppelten Staatsangehörigkeit, sie arbeiten nicht ohne Geschick. Vielen gehen die Vorstellungen der FDP, deren Verwirklichung recht illusorisch scheint, nicht weit genug. PDS und Bündnisgrüne wollen die deutsche Staatsbürgerschaft einem noch größeren Kreis mit noch einfacheren Voraussetzungen ermöglichen, von der doppelten Staatsbürgeschaft ganz zu schweigen. Schon überlegt die SPD-Fraktion, wie sie ihren Gesetzesentwurf den FDP-Vorstellungen noch mehr angleichen kann. Das Wohl der Kinder "zweiter Generation": hier verkommt es zu einem bloßen Werkzeug, um die Regierung Kohl und die Koalitionsdisziplin endgültig aufbrechen zu können. Wenn selbst die Union ihre "jungen Wilden", deren Wählerwirkung nach der Niedersachsenwahl mehr denn je angezweifelt werden darf, nicht bei der Stange zu halten vermag, kommt die Abstimmungsniederlage nur verdient.

Man muß sich nichts vormachen: In Staatsangehörigkeitsfragen verharrt die CDU auf dem Status quo, vermochte den linken Konzepten kaum Originäres entgegenzusetzen. Die doppelte Staatsbürgerschaft wurde zwar nicht legalisiert, aber doch geduldet. Es ist offenbar, daß die Regierung Kohl in dieser Hinsicht ohne Konzept geblieben ist. Das soll noch nicht einmal bösen Willen unterstellen; die Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft war sicher ehrlich gemeint. Wird aber zugleich eine Aufweichung der Regelung durch Hinnahme einer nie zuvor gekannten Ausdehnung der doppelten Staatsbürgerschaft geduldet, darf sich der Beobachter fragen, ob nicht das liberale Konzept zumindest den Vorzug der Ehrlichkeit hat. Eine parlamentarische Abstimmungsniederlage für Kohl am 26. März würde die Quittung sein für ein über die Jahre nur verschlepptes Problem.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen