© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Schuld und Schulden: Die Rechtsgrundlagen vieler Ansprüche an die Bundesrepublik sind umstritten
"Das sind unsere offiziellen Zahlen"
von Ivan Denes

Die im Januar getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der sogenannten "Claims Conference" – der volle Name lautet "The Conference of Jewish Material Claims against Germany" – betreffend die Zahlung von 200 Millionen DM in vier Jahresraten zwischen 1999 und 2002 hat in breiten Kreisen der bundesdeutschen Öffentlichkeit eine grundsätzliche Frage aufkommen lassen: Wie lange wird noch der deutsche Steuerzahler von den verschiedenen jüdischen Organisationen mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Niedergang von Adolf Hitlers tausendjährigem Reich im Namen der Holocaust-Opfer bzw. der Verantwortung für die Verbrechen des Hitler-Regimes zur Kasse gebeten werden?

Im gegebenen Fall der "Claims Conference" stellt sich die Frage umso dringlicher, als es sich um eine Zweitleistung handelt. Es soll sich bei den 200 Millionen um einen Fonds handeln, aus dem osteuropäischen Holocaust-Opfern, die bisher in keiner Form entschädigt worden sind, eine finanzielle Unterstützung von monatlich 250 DM zukommen soll. Nur hat die Bundesregierung nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Europa schon etwa 950 Millionen DM an mittel- und osteuropäische Regierungen überwiesen, um den in diesen Ländern lebenden Holocaust-Opfern humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Alle Leistungen wurden nach 1990 von der Bundesregierung an die zuständigen Regierungen geleistet, die sich vertraglich verpflichtet hatten, diese an die einzelnen Betroffenen weiterzuleiten. Dieses Geld sei jedoch zweckentfremdet worden, heißt es jetzt, es ist nie bei den Adressaten angekommen. Nur müßte sich dann bereits aufgrund der einfachen Regeln der Logik die Frage stellen, warum die jüdischen Organisationen nicht bei den betreffenden Regierungen vorstellig geworden sind, die die Millionen unterschlagen haben? Warum haben die jüdischen Organisationen die Mehrheit der amerikanischen Senatoren dazu bewegen können, einen offenen Brief in dieser Sache an die deutsche Regierung zu unterschreiben, anstatt mit Sanktionen gegen jene Regierungen zu drohen, die die Gelder zweckentfremdet haben? – Wo bleibt das Grundprinzip des römischen Rechtes, "Non bis in idem" – niemand kann für ein und dieselbe Sache zweimal belangt werden?

Aber zurück zur Frage, die in den letzten Jahren landauf, landab immer deutlicher gestellt wird: Wie lange noch?

Es ist eindeutig zu erkennen, daß seit der sogenannten Waldheim-Affäre, als der Jüdische Weltkongreß versucht hatte, die Wahl des später gerichtlich der Lüge überführten Politikers Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten zu verhindern, und dabei zwar scheiterte, aber einen riesigen PR-Erfolg erzielte, gewisse Organisationen, wie etwa der World Jewish Congress (WJC), das Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles, das American Jewish Committee oder die Anti-Defamation League (ADL) angetreten sind, um das langsame Entschwinden der Holocaust-Problematik aus dem kollektiven Gedächtnis der Europäer aufzuhalten.

Das klingt in der 1996 erschienenen Autobiographie des Präsidenten des WJC, Edgar Bronfman ("The Making of a Jew", Putnam, New York 1996), so: "Als guter Politiker hat Kanzler Kohl es versucht, den Deutschen mitzuteilen, daß sie sich nicht länger unentwegt schuldig und weniger menschlich fühlen müssen wegen des Holocausts; daß er, Helmut Kohl, sie endlich von dieser schrecklichen Last befreit habe. Gott sei es gedankt, dies ist nicht gelungen, teils, weil die Juden der Welt es nicht zuließen und teils, weil die Waldheim-Affäre zur richtigen Zeit gekommen war." (S. 106).

Die "schlafenden Konten" bei Schweizer Banken und die Anschuldigungen wegen des "geraubten" Goldes, der Druck auf verschiedene große europäische Versicherungen, die Forderungen nach Entgelt der Zwangsarbeit, neuerdings die Forderungen nach Rückerstattung der Kunstwerke aus ehemals jüdischem Besitz – es sind allesamt unmittelbare Konsequenzen der Waldheim-Affäre.

Und zur zeitlichen Endlosigkeit der Aufrechnung – die ohne Zweifel auf einen Anspruch auf ein Leidensmonopol zurückzuführen ist –, beschreibt Bronfman in seinen Memoiren auch seine Berliner Rede nach dem Fall der Mauer: "Zunächst erinnerte ich sie an die Tatsache, daß Berlin die Hauptstadt Hitlers gewesen war und welche Hölle dieser Satan in Europa im allgemeinen und in den Todeslagern im besonderen gestiftet hat. Während viele Juden nicht nach Berlin kommen würden, wegen der Schmerzen, die es inspirierte, wofür ich volles Verständnis habe, sind wir hier, weil wir, Juden, dem neuen Deutschland etwas zu sagen haben. Aber zunächst erinnerte ich sie daran, daß wir den Holocaust nie vergessen werden, und auch sie werden ihn nicht vergessen, weil wir fortfahren werden, sie daran zu erinnern. Und wir fordern das Eingeständnis kollektiver Verantwortung." (S. 104).

In diesem Punkt bricht das Alttestamentarische durch. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen haben es Edgar Bronfman und der WJC schon mit der zweiten deutschen Nachkriegsgeneration – von Bürgern und Steuerzahlern – zu tun und sogar mit der dritten, wenn man Generationen wie üblich nach Vierteljahrhunderten zählt. Dabei sind die stillschweigend zugrundegelegten alttestamentarischen Kategorien durchaus problematisch. Denn Deutschland ist, wie ganz Europa – was die Herren an der Spitze des WJC aus unschwer zu erkennenden Gründen nicht verstehen wollen – ein in der christlichen Tradition stehendes Land, das sich ausschließlich zur moralischen Verantwortung des Individuums bekennt und keine Sippenhaft akzeptiert. Als Angehöriger jener Generation von "kalten Kriegern", die jahrzehntelang in Mittel- und Osteuropa gegen die kommunistischen Gesetze gekämpft hat – manchmal unter Einsatz von Freiheit und Leben –, die aufgrund desselben Prinzips der "kollektiven Verantwortung", der Sippenhaft, den Kindern des "Klassenfeindes" den Zugang zum Studium verweigerten und in jeder möglichen Art und Weise gegen Kinder und Enkelkinder von "Kapitalisten", "Großgrundbesitzern" oder "Kulaken" diskriminierten, lehne ich jede Form der Sippenhaft ab.

Für Europäer im allgemeinen und Deutsche im besonderen gilt nicht das alttestamentarisch offenbarte Wort: "Denn ich, der Ewige, dein Gott, bin ein Eifernder, ich ahnde die Schuld der Väter an den Kindern bis an das dritte und vierte Geschlecht…". Im Abendland gibt es keine Sippenhaft und keine "kollektive Verantwortung" für die Verbrechen vorangegangener Generationen, "Schuld" und "Sühne" sind in der christlichen Moral Begriffe, die ausschließlich auf den einzelnen bezogen sind. Aus dem Unwillen, diese Grundwahrheit zu akzeptieren,programmieren sich die zukünftigen Konflikte vor.

Edgar Bronfman schreibt am Ende seines Buches, daß er kurz nachdem er die Präsidentschaft beim WJC übernahm, den berühmten Rabbi Soloveitchik aufgesucht und um Rat gebeten hatte, was er in seinem neuen Amt tun solle. Die Antwort des weisen Mannes lautete: "Juden sind nicht hierher gestellt worden, nur um den Antisemitismus zu bekämpfen." Diesen Rat scheint Bronfman verdrängt zu haben.

Was nun die aktuelle Frage der konkreten Dauer der Zahlungen betrifft, so muß auch auf ein anderes Buch verwiesen werden, nämlich auf die Autobiographie des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis ("Damit bin ich noch längst nicht fertig", Frankfurt/M. 1996). Er schreibt dort (S. 133) – offenbar 1995: "Die gesamten Wiedergutmachungsleistungen einschließlich der Globalzahlung an Israel zur Erstattung von Eingliederungskosten, die durch die Ansiedlung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland entstanden waren, haben bis heute, 50 Jahre nach Ende des Krieges, noch nicht die 100-Milliarden-Mark-Grenze erreicht, und werden sich bis zum Jahr 2030, wenn mit Sicherheit kein Überlebender des Nationalsozialismus mehr Ansprüche erheben und die letzte Witwe gestorben sein wird, auf 130 Milliarden Mark belaufen – innerhalb von 80 Jahren. Das sind unsere Zahlen, die offiziellen Zahlen des Finanzministeriums…" Deutlicher kann man es gar nicht sagen. Und das "Mene Teqel Ufarsin" an die Wand malen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen