© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Pankraz, das Frontschwein und das Gas auf dem Opernball

 Die Masse bringt’s. Viertausend Tote auf einen Schlag, an einem einzigen Abend, und dazu noch aus höchsten Regierungs- und Schickeria-Kreisen – das macht dem Fernsehsender SAT 1 so schnell keiner nach. Wie gut, daß es den Wiener Opernball gibt! Auf dem ist ja die Hautevolée des Staates Österreich einmal im Jahr vollzählig versammelt, und wenn man dort voller Hinterhältigkeit Blausäuregas durch die Belüftungsdüsen bläst, dann verröchelt binnen Minutenfrist tatsächlich die gesamte herrschende Klasse der Nation, vom Bundespräsidenten bis zur letzten blaublütigen Debütantin. So etwas wollte man schon immer mal sehen, möglichst in Großaufnahme und mit allen liebevoll gezeigten Details des Erstickungstodes.

Aber natürlich sind es keine Klassenkämpfer von der neomarxistischen Anti-Opernball-Demonstrantenfront, die sich die Sache mit der Blausäure ausgedacht haben, sondern Neonazis, bzw. Rechtsradikale. Und die Wiener Polizei steckt mit ihnen, wie könnte es anders sein, unter einer Decke, vertuscht und führt auf falsche Fährte. Armes Österreich! Glücklicherweise gibt es noch die "Medienvertreter", die den ganzen Schlamassel vorher aufgenommen haben und die nun auch "das Komplott aufdecken". Ihre Recherchen führen sie dabei bis ins sonnige Mallorca, wo bekanntlich "Ballermann 6" residiert. Alles paßt nur allzu genau, wie die Faust aufs Auge.

Was aber die Macher besonders packt und zu eigenen Tränen rührt in diesem TV-Thriller, das sind nicht die Qualen der viertausend Toten vom Opernball, sondern die Seelenskrupel der beiden recherchierenden Medienvertreter, auf die sich der Film von Anfang an kapriziert. Hier, meine Damen und Herren, haben Sie die wahren Helden des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts! Hier spielt die wahre Tragödie, werden Konflikte von geradezu sophokleischer Wucht und Ausweglosigkeit ausgetragen!

Da ist die junge, ehrgeizige Bildreporterin, für die nur eines gilt: "Eiskalt die Kamera hinhalten, was auch passieren mag!" Hemmungslos himmelt sie ihren älteren Kollegen an, ein in vielen Kriegen verhärtetes mediales Frontschwein, das einmal – in Bosnien – ein kleines Mädchen abfotografiert hat, das gerade von einer Handgranate zerrissen wurde. Diese Bilder "gingen um die Welt". Dieser Bilder wegen himmelt ihn die junge Kollegin an.

 Aber ach, das harte Frontschwein ist nur äußerlich hart, im Inneren ist es butterweich und wird immer weicher, wie denn auch anders? War doch sein eigener Sohn – man denke! – unter den Gasopfern des Opernballs. Wer kann denn da innerlich cool bleiben? Es leidet unendlich, das Frontschwein, und die junge Kollegin macht einen Lernprozeß durch und leidet allmählich mit. Aber mit eisernem Willen beißen beide die Zähne zusammen und tun das, was die Polizei ihrer Bestimmung nach tun sollte und trotzdem nicht tut: sie "recherchieren". Wir Zuschauer sind wirklich erschüttert.

Und voller Empörung sehen wir zu, wie am Ende die Wiener Polizei dem aus dem sonnigen Mallorca heimkehrenden Frontschwein den von ihm unter unendlichen Gefahren erbrachten Beweis für die Täterschaft der rechtsradikalen Neonazis abnimmt und beschlagnahmt. In seinen treuen Stiefeln hatte er sie versteckt, um sie der Sendung zuzuführen. Und nun enden diese Bänder, statt im Senderaum, in der Asservatenkammer der Polizei! Das ist der größte Skandal. Das ist der Triumph des Bösen über das Gute.

Aber gemach, der Triumph ist nur zeitweilig, das Gute wird dennoch siegen. In einer allerletzten Einstellung sehen wir, wie das mediale Frontschwein wissend und unendlich sardonisch vor sich hinlächelt. Dieses Lächeln ist die eigentliche Pointe des Films. Es besagt: "Uns kann keener. Wir sind die neuen Herren der Welt. Was ihr anderen auch tut, gesendet wird zum Schluß alles, alles, alles. Und wenn es nichts mehr zu senden gibt, dann machen wir uns eben etwas, damit es gesendet werden kann. Die Sendung ist die Botschaft."

Ein zusätzliches Indiz dafür liefert, wohl unfreiwillig, der Film gleich mit. Die junge Kollegin, so erfahren wir, bewundert ihren Kollegen deshalb so sehr, weil sie glaubt, er habe die Sache mit dem von der Handgranate zerrissenen Mädchen irgendwie selbst gedeichselt, um zu sensationellen Bildern zu kommen. Hat er? Er hat zumindest nicht eingegriffen, als er sah, wie der serbische Soldat dem Mädchen die bereits gezogene Granate ins Händchen drückte. Die Schuldfrage bleibt in der Schwebe, und von daher fällt eine wunderliche Beleuchtung auf den Anschlag beim Opernball.

Die "Neonazis", die da bequemerweise als Bösewichte herhalten müssen, sind nur vorgeschoben; jeder auch nur halbwegs erfahrene Psychologe durchschaut das. Es sind Masken, hinter denen sich eine irre Anmaßung des Mediums verbirgt, die Anmaßung nämlich, den größtmöglich denkbaren Ernstfall, wenn er denn ausbleiben sollte, eines Tages selber inszenieren zu dürfen, damit man etwas Saftiges zu senden bekommt.

Solche Inszenierung von Ernstfällen ist bekanntlich schon vorgekommen, gerade im Zusammenhang mit der "Neonazi-Szene"; man denke an die seinerzeitigen Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Pankraz glaubt nicht, daß damals hinter den provozierenden Medienvertretern, die z. B. Honorare für Hitlergüße auswarfen, bestimmte Geheimdienste oder Verfassungsschutzkräfte steckten. Die Medienvertreter werden wohl aus eigenem Antrieb gehandelt haben, ihrer perversen Frontschwein-Logik gemäß.

Übrigens: In dem "Opernball"-Thriller wurde zwar gezeigt, wie der Bundespräsident (ÖVP) und der Bundeskanzler (SPÖ) umkommen, nicht aber, ob und wie die FPÖ-Honoratioren umkommen. Ging die FPÖ nicht zu diesem Opernball? Wer hatte sie gewarnt? Was steckt dahinter?


 
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