© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Ein unbeschriebenes Blatt
von Andreas Wildt

Der boshafteste Kommentar fiel in der Kantine der Berliner Konkurrenz. "Zwei Nullen finden sich zum Nullsummenspiel", hieß es dort, nach der Ernennung von Mathias Döpfner (35) zum neuen Chefredakteur der Welt, bekanntgegeben worden war. Döpfner, bisher Chef der Hamburger Morgenpost, sei (noch) keine meßbare Größe in der anspruchsvollen deutschen Tagespublizistik, und die Welt sei ebenfalls keine solche Größe (mehr). Minus mal Minus aber ergebe nicht notwendigerweise immer Plus. Man weiß also wenig mit Döpfner anzufangen. In der inzwischen verblichenen, aus altem DDR-Erbe stammenden Wochenpost, deren Chefredakteur er nach der Wende wurde, hat er kaum Duftmarken gesetzt, das Blättchen war ohnehin nicht zu retten. Am meisten spricht im Augenblick dafür, daß Döpfner eines jener typischen Zeitgeistgewächse ist, die ihre Meinungen wie Hemden wechseln und denen die Politik in erster Linie "Spaß" machen soll. Gut möglich, daß sich die Welt unter seiner Führung endgültig aus der Phalanx der zitierfähigen Blätter verabschieden wird, daß ihr Stil noch "flockiger", ihre Kolumnen noch schmaler, ihre Analysen noch wischiwaschihafter werden.

Doch das wird wohl weniger von Döpfner selbst als vom Springer-Vorstand abhängen und davon, welche Pläne dieser mit der Welt verfolgt. Vielleicht hat man Döpfner als eine Art Bestattungsunternehmer engagiert, will seine Erfahrungen mit dem Exitus der Wochenpost nutzen. Dafür spräche nicht zuletzt, daß er sich auch bei der Morgenpost vor allem durch herzhafte negative Personalpolitik einen Namen gemacht hat. Ex-Kollegen, die nach ihrer Entlassung aus der Morgenpost im Hamburger Lokalteil der Welt untergekrochen sind und jetzt bereits heftig angefangen haben zu zittern, nennen ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Bitterkeit den "Rausschmeißer vom Dienst". Auch der Musikredakteur der Welt zittert schon. Denn Döpfner hat in seiner Jugend einmal den Theodor-Wolff-Preis für ein gelungenes Musikfeuilleton erhalten und steht seitdem in dem Ruf, sich mehr für Konzertrezensionen als für das neueste Gerücht aus dem politischen Bonn zu interessieren. Das spräche dann allerdings eher für ihn.

Wie gesagt, Döpfner ist in der Branche ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt, eine Black Box, in die man noch viel hineinstecken kann, ohne genau zu wissen, was am anderen Ende dabei herauskommt. Es ist durchaus vorstellbar, daß er eines Tages, günstige Konstellationen vorausgesetzt, zu veritabler Form aufläuft und eine richtig schöne Hauptstadt-Zeitung auf die Beine stellt. Vielleicht wird alles noch gut.


 
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