© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/98 20. März 1998

 
 
Drogenpolitik: An der Wirklichkeit vorbei
Fließende Grenzen
von Manuel Ochsenreiter

Die "Rauschgiftbilanz 1997", veröffentlicht vom "Beauftragten der Bundesregierung für Drogenfragen", Eduard Lintner, hinterläßt in vielen Gesichtern Fragezeichen. Die Zahl der Drogentoten ging zurück, die Zahl der "polizeilich erstmals auffälligen Konsumenten" nahm um etwa 20 Prozent zu. Mehr Drogen und weniger Tote? Ein Grund zur Freude? Oder im Gegenteil, bedeutet es das Scheitern jeder restriktiven Drogenpolitik?

Die Fronten in der Drogenpolitik scheinen seit Jahren geklärt. Die Realität hat sich allerdings rasant weiterentwickelt, das scheint den Verantwortlichen, egal welcher politischer Couleur, entgangen zu sein. Statt dessen spielt man sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Auf der Linken versucht man sich noch immer als "Legalize"-Lobby. Schrittweise soll eine totale Liberalisierung der Drogenpoltik herbeigeführt werden. Die Sympathie rührt wohl von der eigenen Jugend her. Fühlte man sich doch schon ein Stück weit rebellisch mit einer anständigen Tüte und Bob Marleys Song "Stand up for your right". Umzingelt von reaktionären Biertrinkern kultivierte man sich seine kleine aber feine Rebellenwelt. Doch was ist heute noch dran am Kiffer-Mythos? Der Wandel von der Revoluzzer- zur Partydroge fand offenbar ohne ihre einstigen Protagonisten statt. Oder wie lächerlich wirkte am Abend der Niedersachsenwahl der leicht angegraute Campino von den "Toten Hosen", der Gerhard Schröder um die Legalisierung von Cannabis-Produkten bat und sich dabei total tough vorkam? Wer heute einen Joint raucht oder sich ein "E einschmeißt", tut es garantiert nicht für die Weltrevolution.

Aber auch die Konservativen wurden von der Realität überrollt. Oft entsteht der Eindruck, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Tatsachen werden einfach ausgeblendet, weil sie nicht in das Programm passen. Denn Drogen sind heutzutage kein Randgruppenphänomen mehr, das durch "Law and Order"-Maßnahmen leicht in den Griff zu bekommen ist. Die Grenzen sind verschwommen, Drogen sind heute ein fester Bestandteil in weiten Teilen der Jugendkultur. Es gibt kaum jemanden unter 30, der nicht einmal selbst Haschisch oder Ecstasy "probiert" hat. Oder der in seinem Freundeskreis nicht mindestens eine Person kennt, die es getan hat. Illegale Drogen sind heute verbreiteter denn je. Ein riesiger, von staatlicher Seite nicht zu kontrollierender Freiraum ist in den letzten Jahren entstanden, der, wenn überhaupt, nur noch stichpunktartige Erhebungen zuläßt. Oder will man bei der nächsten Love-Parade jeden der Million Raver nach kleinen Pillen durchsuchen?

Eine mehr oder minder feste "Szene" gibt es ohnehin nur noch bei den Konsumenten harter Drogen, und die hält sich meist alles andere als öffentlichkeitsscheu irgendwo zwischen Kinderspielplatz und Bahnhofstoilette auf. Cannabis und Ecstasy gibt es fast überall. In Studentenwohnheimen, Zivildienststellen, Diskotheken, Kneipen … Wer eine konsequent restriktive, verbotsorientierte Drogenpolitik durchziehen will, muß künftig alle Gesetzeshüter für mehrere Wochen für diese Aufgabe abziehen, Staatsanwälte und Richter müßten Hausdurchsuchungen im Akkord anordnen – währenddessen die Verfolgung von Bankeinbrüchen und Ladendiebstählen halt solange warten muß.

Was heute bei Konzerten, Razzien und Grenzkontrollen ausgehoben wird, stellt nicht mehr als den Tropfen auf dem heißen Stein dar. Dort ein Kilo Haschisch, hier ein paar hundert Pillen … Auch die Grenze zwischen Dealer und Konsument verschwimmt gerade bei den leichten Drogen immer mehr. Wann wird jemand zum Dealer, wann zum Konsumenten? Ist jemand bereits ein Dealer, wenn er bei einer Party etwas "weiterverkauft", oder erst, wenn er Profit damit macht? Die Konservativen sollten bei diesem Problem vor allem an die eigene Glaubwürdigkeit denken. Oder wie erklärt ein trinkfreudiger CSU-Politiker, dessen Parteigenossen schon einige alkoholbedingte Autounfälle mit Todesfolgen verursacht haben, seinen Kindern die "Gefährlichkeit" von Cannabis?

Politischer Autismus, egal von welcher Seite, ist garantiert der falsche Weg, das Problem in den Griff zu bekommen. Lachende Dritte und Profiteure wären nur die international operierenden Drogenringe. Vielmehr sind neue, zeitgemäße Ideen gefragt. Sind weiche Drogen, wenn sie "nicht regelmäßig" konsumiert werden, überhaupt ein Problem? Und wo liegt die Hauptgefahr? Doch wohl meist an der Unreinheit der Drogen und nicht am Konsum an sich. Mit Rattengift gestreckte Amphetamine sind allemal gefährlicher als eine reine Pille. Und konsumiert wird ohnehin, was das Zeug hält. Staatliche Verbote haben ihren Schrecken verloren. Denkwürdige Lösungsvorschläge kommen heute aus der Techno-Szene selber. Dort bieten manchmal Organisationen "drug-checking" an, wobei die Reinheit der synthetischen Wirkstoffe überprüft wird. Diese tun damit allemal mehr gegen die Gesundheitsgefahren, die von Drogen ausgehen, als staatliche Aufklärungskampagnen.

Das Drogenproblem kann man nur lösen, wenn es in seinem ganzen Umfang erkannt wird. Leidtragende des ideologischen Grabenkampfes bleiben die Abhängigen, auf deren Rücken die Prinzipienreitereien ausgetragen werden.


 
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