© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
EU und Deutschland: Der Euro-Koloß wird für unsinkbar erklärt
Titanic von Brüssel
von Johanna Chistina Grund

Als Motiv für alle Bemühungen um die friedliche oder kriegerische Erlangung der Vorherrschaft in Europa diente stets die Vision des "vereinigten Europas". Was wir heute erleben, ist nach Lenin, Mussolini und Hitler der dritte politisch untaugliche Versuch in diesem unglückseligen Jahrhundert, aus diesem nationalen Konglomerat feiner, überschaubarer Einheiten in ihrer Vielfalt eine Weltmacht zu kreieren und sich dabei des deutschen Volkes als Zugpferd und dukaten- sprich markspuckendem Esel zu bedienen. Die Europäische Union nach Maastrichter Modell dient als Vehikel, das auf diese Weise seine Antriebswirkung erhält.

Wer das Symposium über das "Projekt Europa" verfolgte, das der ARD-"Presseclub" zusammen mit der Zeitung Die Woche dieser Tage in der Godesberger Redoute veranstaltete, fand zum Thema "Weltmacht Europa und die Rolle Deutschlands" die aus jahrelanger Beschäftigung im und mit dem Brüsseler Syndikat gewonnene Gewißheit bestätigt, daß auch dieser dritte Versuch scheitern wird. Die EU ist dem Größenwahn erlegen. Ihre Krankheit wird mit jedem Staat, der sich aus Angst vor einer eigenverantwortlichen Rolle in der Zukunft unter ihr Regiment flüchtet, schlimmer. Je ungeheuerlicher das Euro-Reich sich ausdehnt, desto geringer wird die Rolle des Menschen in diesem Imperium, desto weniger nehmen die elitären Technokraten als Unionslenker auf den Willen der durch das Syndikat vereinnahmten Bürger Rücksicht. Daher ist die Ansicht von Altbundeskanzler Helmut Schmidt irrig, die EU in dieser angestrebten bundesstaatlichen Form sei ein freiwilliger Zusammenschluß der Beteiligten. Wer vor dem Beitritt abstimmen durfte, wurde über die politische Dimension des "Ja" wie in Österreich, Schweden, Finnland durch die herrschende politische Klasse und die Medien-Meinungsdiktatur irregeführt. In Deutschland wurde der Bürger gar nicht gefragt, weil ihn die Regierung bis heute für unmündig hält. Ein Referendum über "Maastricht" und den von der Mehrheit abgelehnten Euro wäre im Bundestag ebenso leicht zu beschließen, wie die Änderung des Grundgesetzes zur Souveränitätsabtretung es war.

Was in all den Podiums-Diskussionen mit auserwählten Politikern und Publizisten so abstoßend wirkt, ist die unausweichliche Folgerichtigkeit, die dem konstruierten Prozeß des Unterganges nationalstaatlicher Ordnung und Geborgenheit zugemessen wird. Das läuft heute auf "ein Europa" und morgen auf "eine Welt" zu. Aus dem Beitrag des Philosophieprofessors Peter Sloterdijk sprach nicht nur eine tiefe Erkenntnis des Paradigmenwechsels in der Politik, sondern auch jene erschreckende Arroganz, die die EU so unerträglich macht. Zur Währungsunion meinte er: "Wir werden also nicht mehr sagen, diejenigen, die echte Europäer sind, bekommen den Euro, sondern wer den Euro benutzt, wird Europäer sein." Hier ist sie wieder, die Gleichsetzung der EU mit Europa, obwohl die EU in Wirklichkeit eine Herabminderung Europas ist. Das wahre, erstrebenswerte Europa existiert heute doch auf unserem Kontinent gerade dort, wo die EU nicht ist. Wer mitten in Europa und doch in einem Nicht-EU-Land wohnt, wer Wanderer zwischen zwei Welten ist, weiß das und denkt nach Überquerung von Rhein und Bodensee an Fidelio: "Oh welche Lust in freier Luft!"

Unseliger Fanatismus schafft vollendete Fakten

Dem polnischen Botschafter bis 1995 in Bonn, Janusz Reiter, ist indessen zuzustimmen, wenn er auf dem Symposium sagte: "Der Euro als Mittel der Einbindung Deutschlands – das kann eines Tages kontrapunktiv werden." Genauso ist es. Was sich seit Monaten an Mißachtung des Volkswillens in der Bundesrepublik abspielt, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Keine Regierung seit Ulbricht und Honecker auf deutschem Boden hat mit der EU-Einbindung und der Währungsfusion so gegen das eigene Volk regiert wie die Regierung Kohl. Daß sie sich dennoch ihrer "Wohltaten" rühmt, wirkt so unsäglich irrational. Gerade Deutschland braucht dank seines stolzen Erfolgsmodells, der D-Mark, geschaffen durch den Fleiß und den intellektuellen Reichtum seiner Menschen, zuallerletzt eine Mischwährung wie den Euro. Ein europäischer Staatenbund, ein Europa weiterhin freier, souveräner Nationen begrenzter Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen bedürfte auch keiner gemeinsamen Währung.

Statt dessen werden mit allen Zaubermitteln der Propaganda vollendete Tatsachen geschaffen, und die deutsche Bundesregierung wird am 2. Mai sogar freudig die Mark nach Brüssel zu Grabe tragen. Diese masochistische Haltung kommt nicht von ungefähr. Wenn – wie das Gerücht besagt – die Einbindung der D-Mark in ein EU-Kunstgeld der Preis für die Zustimmung der europäischen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges zur Vereinigung mit der DDR 1990 war, so war dieser Preis unbezahlbar. Die Vereinigung wäre auch ohne diesen Preis unaufhaltsam gewesen, sicher aber menschlicher und ohne diesen totalen, unverdienten Sieg des Neo-Liberalismus mit all seinen drastischen Auswirkungen. Und wenn es für die Unionsbrüder mit schwacher Währung unerträglich sein soll, daß ein durch seine auf zwölf Jahre Gewaltherrschaft komprimierte tausendjährige Geschichte so "schuldbeladenes" Volk wie das der Deutschen die beste Währung und die größte Wirtschaftskraft hat, so zeugt das überdeutlich von der ideologischen Fehlkonstruktion der EU als herbeigezwungenes Strafregiment. Die D-Mark als Opfer für dunkle Jahre der Geschichte hinzugeben, ist Nationalmasochismus pur.

Deutschlands Rolle als Melkkuh der EU geht so lange weiter, bis die Kuh zusammenbricht oder auf ihre Ausbeuter losgeht. Schon droht mit der vorige Woche durch die Kommission in Brüssel vorgestellten "Agenda 2000" zur Finanzierung der Osterweiterung der nächste Schlag, der in erster Linie der klein- und mittelbäuerlich strukturierten Landwirtschaft den Todesstoß zugunsten der Aufnahmekandidaten versetzen wird. Die Kosten für den Beitritt nur der ersten sechs Kandidaten werden auf 90 Milliarden D-Mark beziffert, was sicher untertrieben ist. Dafür soll der Bauer auf Weltmarktpreisniveau herabgesetzt und jeder Stützungen beraubt werden. Staatliche Ausgleichszahlungen werden statt dessen den Landwirt noch radikaler vom Wohl und Wehe der Politik abhängig machen. Doch eine Opposition gegen diese Pläne wird sicher ebenso verfemt wie die Opposition zur Währungsunion.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen