© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Windkraft: Deutschland streitet über den Sinn einer regenerativen Energie
Der Wind hat sich gedreht
von Michael de Wet

Der Verlag 2001 hat sich als Schnäppchenmarkt für die alternative Szene, für Studenten und Apo-Opas bislang keine Verstöße gegen die "political correctness" geleistet. Das ist seit vorigem Herbst anders. Mit der Veröffentlichung des von dem Darmstädter Vermessungswissenschaftlers Otfried Wolfrum herausgegebenen Buches "Windkraft – eine Alternative, die keine ist" wurde unter Umweltschützern ein Sturm der Entrüstung ausgelöst: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, Vorsitzender des Vereins "Eurosolar – Europäische Sonnenenergie-Vereinigung" und Mitherausgeber der Vierteljahreszeitschrift Solarzeitalter, erregte sich gar derart, daß er sich zu der Formulierung verstieg, dieses "offenkundig scheinwissenschaftliche Pamphlet" wirke wie eine "profaschistische Veröffentlichung in einem antifaschistischen Verlag".

Wolfrum demontiert in seinem Buch allerdings auch mit schonungsloser Härte das "Wunschdenken" von der Windkraft-Alternative: Diese Form der Energiegewinnung sei ineffektiv, landschaftszerstörerisch, eine Verschwendung von Fördergeldern und vor allem eine Belästigung der Anlieger von Windparks. Starker Tobak für den Bundesverband Windenergie (BWE), der bis zuletzt versucht hatte, das Erscheinen des Buches zu verhindern.

Die Windenergie hat ihre Unschuld verloren

Der streitbare Darmstädter Professor ist Mitglied im Beirat des Bundesverbandes Landschaftsschutz (BLS), einem 1995 gegründeten Sammelbecken der "Windkraftgeschädigten", wie es in einer Selbstdarstellung heißt. Der BLS argumentiert vor allem mit der Zerstörung des Landschaftsbildes durch bis zu 100 Meter hohe Windräder. Beim Rotieren blinkende, den sogenannten "Diskoeffekt" auslösende Flügel würden das Landschaftsbild viel stärker beeinträchtigen als andere Bauten. Deshalb greife auch nicht der Vergleich mit den niedrigen alten Bockwindmühlen, die einst gemächlich ihre Flügelbahnen drehten.

Gewichtiger als dieses Argument ist aber das der ökonomischen Ineffizienz der Windkraft: Fast fünfeinhalbtausend Windräder produzieren in der Bundesrepublik Deutschland gerade einmal 0,7 Prozent des jährlichen Strombedarfs. Aufwand und Ertrag stünden in einem krassen Mißverhältnis, so die Windkraftgegner.

An der Nordseeküste liefert die Windkraft allerdings bereits gut zehn Prozent der gesamten Energieerzeugung. Von den rund 5.300 Windrädern drängt sich der allergrößte Teil an der schleswig-holsteinischen und niedersächsischen Nordseeküste sowie im "platten Land" zwischen Oldenburg und den westfälischen Mittelgebirgen. In Bayern und Baden-Württemberg stehen dagegen jeweils nur drei Dutzend Windräder.

Wohl deshalb punktet der BLS gerade besonders im Norden. Während sich Umweltverbände wie Greenpeace noch hinter den Ausbau der Alternativenergie stellen, sprießen in den betroffenen Gemeinden Bürgerinitiativen aus dem Boden, die nicht selten von Naturschützern angeführt werden. Jüngstes Beispiel: Gegen den derzeit geplanten größten Windpark Europas im Wybelsumer Polder bei Emden bezog vor allem der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Stellung. Er befürchtet, daß der Schattenwurf der Rotoren die Brut- und Zugvögel aus einem benachbarten bedeutenden Vogelschutzgebiet vertreiben wird.

Deutschlands Natur wird zu einer Industrielandschaft

Die Kluft zwischen beiden Lagern der Öko-Szene scheint sich immer weiter zu vertiefen. Der Nationalökonom Hans-Christoph Binswanger, neben dem Journalisten Horst Stern der prominenteste Windkraftgegner, sieht in dem Umstand, daß die Windenergiebetreiber die Beschränkungen des Baugesetzes zu ihren Gunsten sprengen konnten und nun noch für die Fremdversorgung, also die Einspeisung ins allgemeine Netz produzieren, einen Verrat an der Sache der alternativen Energien: "Die Windenergie hat ihre ökologische Unschuld verloren", bilanziert der emeritierte Professor des Insituts für Wirtschaft und Ökologie (IWÖ) in St. Gallen. Am schlimmsten sei für ihn die ästhetische Kaltherzigkeit vieler Umweltschützer, deren Wut über die Zersiedlung im auffälligen Gegensatz zur Gleichgültigkeit in Sachen "Verspargelung" steht: "Bei einem sukzessiven Ausbau der Windenergie dehnt sich die Sicht-Emission auf große Teile Deutschlands aus. Es entsteht ein monotoner Techno-Park, in dem das Auge von einem vieltausendarmigen Geäst von sich drehenden Rotoren gefangen gehalten wird. Was die Natur- und Kulturlandschaft bisher geboten hat – nämlich den Menschen in der Kulturlandschaft eine Heimat und einen Ausgleich zu bieten für die Unrast und die Beliebigkeit der städtischen Siedlungen – würde in kurzer Zeit zerstört werden. Große Teile Deutschlands würden zu einer Industrielandschaft umfunktioniert in einem Ausmaß, das weit über die bestehende Siedlungsfläche hinausgeht", erklärt der geistige Vater der ökologischen Steuerreform.

"Die Gegner der Windkraft laufen Gefahr, sich vor den Karren der Stromlobby spannen zulassen", kontert hingegen BUND-Vorsitzender Hubert Weinzierl. Von dieser Befürchtung ist es für manche nur noch ein kleiner Schritt, hinter dem Bundesverband Landschaftsschutz finstere Mächte am Wirken zu sehen. Anfang des Jahres wurde in einer Reihe von Presseartikeln sowie in der Fernsehsendung "PlusMinus" die Mutmaßung geäußert, der BLS werde von den Energiekonzernen finanziert, um im Interesse der Kohle-Verstromung Front gegen alternative Modelle zu machen.

"Gezielte verleumderische Falschinformationen", erbost sich BLS-Vorsitzender Dieter Schönfelder über solche Berichte. "Derartige Lügen sind umso grotesker, als daß sich gerade die ineffektive Windkraft von den Energiekonzernen finanziell aushalten läßt und ohne das dubiose Stromeinspeisungsgesetz schon gestorben wäre."

Deutschland sei sowieso das letzte Land, "in dem der Windkraft-Vandalismus noch hemmungslos wütet. Ein weiterer Ausbau dieser hochsubventionierten Umweltzerstörung würde bei jährlichen Mehrkosten in Milliardenhöhe zur größten Landschaftsverfremdung in der Geschichte unseres Landes führen", meint Lothar Hoischen, ein weiteres BLS-Mitglied und Mathematik-Professor an der Universität Gießen, in einem Kommentar für die Tageszeitung Die Welt.

Der Windkraft-Vandalismus kann hemmungslos wüten

Hoischen kritisiert vor allem die Verdrängung der Frage des Energiesparens: "Würden wir nur wenige Prozent unserer Energie einsparen, so hätten wir bereits mehr als das 100fache der jetzigen Windenergie erreicht." Er vermutet deshalb – wie viele seiner BLS-Mitstreiter –, daß es beim Ausbau der Windkraft weniger um ökologische Anliegen als um "windige Geschäfte", vor allem bei der steuerlichen Abschreibung und dem Griff in Fördertöpfe gehe. "Die extrem hohe Subventionierung der Windkraft durch das Stromeinspeisungsgesetz bedingt eine noch größere negative Energiebilanz, da diese Gelder der wesentlich wirksameren Entwicklung neuer Technologien wie zum Beispiel der Kraft-Wärme-Koppelung entzogen werden."


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen