© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Pankraz, J. Bodin und der Intellektuelle als Beäuger der Hexen

Aus der Fülle der Bücher über die Hexenprozesse ragt eine jetzt im Argon-Verlag erschienene Übersetzung aus dem Englischen hervor: "Die Hexenmacher" von Robin Briggs, wegen der unverblümten Präzision, mit der der Autor die Ursachen für dieses unheimliche Phänomen benennt. Es kann wirklich gar nicht oft genug gesagt werden: Die Hexenverfolgungen, die Hunderttausende an Opfern vor allem unter den Frauen forderten, erreichten ihren Höhepunkt, fanden erst richtig statt nicht im "finsteren Mittelalter", sondern in der frühen Neuzeit, waren ein Produkt des anbrechenden Rationalismus und des säkularisierten Etatismus nach 1500.

Von den Leuchten der neuen empirisch-rationalistischen Wissenschaft hatte faktisch niemand etwas gegen Hexenverbrennungen, weder Francis Bacon noch Galilei, von Luther, Hobbes, Machiavelli, Calvin, Bodin zu schweigen. Descartes, Spinoza, Leibniz mißbilligten die Exzesse wohl, wie wir aus manchen Details vermuten können, aber sie schwiegen, überließen den Protest einigen mutigen Beichtvätern und Predigern wie Friedrich von Spee oder Balthasar Bekker. Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein sind Hexen verbrannt worden. Klopstock, Wieland, Lessing, Goethe waren noch Zeitgenossen von Hexenverbrennungen, in Amerika George Washington, Thomas Jefferson.

Im populären Bewußtsein herrscht ja die Meinung vor, die Hexenverfolgungen seien eine Art Kollektivwahn gewesen, eine Orgie des Aberglaubens und der unaufgeklärten Dummheit, vor allem auf dem flachen Land, in abgelegenen Gegenden zu Hause. Doch davon kann keine Rede sein. Das Gros der Prozesse fand in den großen Städten statt, und die feinsten Intellektuellen der Epoche wurden als Berater beigezogen, beispielsweise der große Jean Bodin.

Er war Professor im französischen Laon, und in seinem berühmten Buch "Heptaplomeres" redete er einer vom Staat geschaffenen und behüteten Allgemeinreligion das Wort, zu der sich sowohl Katholiken und Protestanten wie auch Mohammedaner und Juden, sogar "gelehrte Heiden", wie er schrieb, bekennen könnten. Just dieser hochgebildete, in Religionsfragen so liberale Herr spielte aus vollem Herzen Gutachter bei Hexenprozessen, war bei den hochnotpeinlichen Befragungen dabei und beäugte durch die stärksten Brillen, die es damals gab, primäre weibliche Geschlechtsmerkmale, um an ihnen gewisse teuflische Merkmale zu entdecken, welche ihre Trägerinnen dem Feuertod überliefern sollten.

Hexenprozesse waren kein Volksvergnügen, sondern richteten sich eindeutig gegen das Volk, gegen seinen angestammten Dämonen- und Magieglauben. Es war, wie Briggs dokumentiert, keineswegs weit her mit Hexenanzeigen aus dem "Volk", dergestalt also, daß halbverrückte oder neidische Weiber aus einem Dorf von sich aus Hexen oder Zauberer der Obrigkeit kundig machten. Manchmal, besonders in der Frühzeit, geschah es sogar, daß das Volk oder die Menge oder die Masse offen gegen die Zauberer- und Hexenverfolger rebellierte, sie in Stücke riß, wie es Konrad von Marburg passiert ist. Englands König Jakob I. (auch er ein eifriger Rationalist und Wissenschaftsverehrer) mußte hohe Geldprämien für die Aufspürung von Hexen ausschreiben, damit sich überhaupt jemand bei den Behörden meldete.

Nein, der "Hexenwahn" ging nicht originär vom Volk aus, sondern von den Gebildeten, die natürlich auch die Herrschenden waren. Die Hexenverfolgungen waren ein großangelegter Versuch, den Volksglauben, den Aberglauben, ein für allemal zu erledigen, um den neuen Paradigmen der Mathematik flächendeckend und noch im letzten Dörflergemüt Geltung zu verschaffen. Zwischen den grimmigen Attacken Francis Bacons gegen die alten, "dumpfen", auf ungeprüfter Überlieferung beruhenden Wissens-Methoden im "Neuen Organion" und dem "Hexenhammer" der Herren Institoris und Sprenger besteht ein direkter Zusammenhang.

Deshalb ging es ja in erster Linie gegen die Frauen. Die Frauen waren diejenigen, die die alten magischen Praktiken am innigsten hüteten und das Wissen an sie wach hielten, all die Kräuterweiblein, die Freidenkerinnen aus den früheren Beginenhöfen, die unverheirateten Tanten und Großtanten, die sich als gute oder "böse" Feen um die Wiege eines Neugeborenen versammelten, um ihm Wünsche mit auf den Weg zu geben. Dem wollte man einen Riegel vorschieben.

Das neue Zeitalter des Rationalismus und der Wissenschaft war zunächst einmal und für lange Zeit eine exklusiv männliche Angelegenheit, Frauen hatten darin nichts zu suchen, ja, sie wurden als Störfaktoren betrachtet und durch die Hexenprozesse eben konsequent ausgeschaltet. Pankraz sagt das gar nicht so gern, doch man kann vor den historischen Tatsachen nicht die Augen verschließen.

Den Hexenverfolgungen wohnte tatsächlich ein ausgesprochen männlicher Vernichtungswille inne, der so weit ging, daß grundsätzlich bald jede ältere alleinstehende oder sonstwie einsame, ungeschützte Frau im siebzehnten und auch noch im beginnenden achtzehnten Jahrhundert ihres Lebens nicht mehr sicher war. Man kann das an der Anordnung Friedrichs des Großen von Preußen bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1740 ablesen; der König ließ da extra verlauten, daß unter seiner Herrschaft nunmehr die alten Frauen unbesorgt leben und anständig zu Hause in ihren Betten sterben dürften.

Ehre diesem König. Ehre den mutigen Beichtvätern und Predigern Spee und Bekker. Ehre aber vor allem unserem patenten Leipziger Philosophieprofessor Christian Thomasius (1655- 1728), einem Klassemann, nach dessen Buch von 1701 "De crimine magiae" der Spuk ganz allmählich verebbte, weil den gelehrten Prozeßgutachtern nach der Lektüre das gute Gewissen abhanden kam. Kleinlaut verkrümelten sie sich, schlichen zurück auf ihre Lehrstühle. Manchmal haben Bücher doch positive Wirkung.


 
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