© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/98 27. März 1998

 
 
Buchpreisbindung: Die Beschwerde der Europäischen Kommission meint mehr als sie sagt
Kontrolle der Literatur
von Peter Krause

Im Januar hat die Europäische Kommission beschlossen, das förmliche Verfahren zur Überprüfung der grenzüberschreitenden Preisbindung zwischen Österreich und Deutschland zu eröffnen. Mit einem Verwaltungsschreiben aus dem Jahre 1994 war lediglich eine vorläufige Genehmigung für den Fortbestand der Preisbindung erteilt worden. Der für Fragen des Wettbewerbs zuständige EU-Kommissar Karel van Miert bringt in seiner Beschwerde vor, die Preisbindung stelle eine Handelsbeschränkung dar und verstoße damit gegen die Römischen Verträge.

Der Deutsche Börsenverein und der Österreichische Hauptverband des Buchhandels setzen sich seitdem mit dieser Beschwerde auseinander. Um die Brüsseler Einwände auszuräumen, bleibt formal bis Ende März Zeit. Da jedoch zur Widerlegung der Begründung umfangreiche Marktanalysen durchgeführt werden müssen, dürfte den Verbänden eine Verlängerung der Frist gewährt werden. Bis zu einer endgültigen Entscheidung bleibt das bisherige System in Kraft. Sollte die EU-Kommission der bisherigen Regelung eine Absage erteilen, wollen Deutsche und Österreicher vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Österreich, das 80 Prozent seiner Bücher aus Deutschland bezieht, bereitet außerdem ein eigenes Gesetz zum Schutz der Preise nach französischem Modell vor: Die Bindung würde dann nicht nur für eigene, sondern auch für importierte Titel gelten.

Die Eröffnung des Verfahrens hat für beträchtliche Aufregung gesorgt. Zu Recht: Denn zwar betont die Kommission, daß die nationale Preisbindung, also die deutscher Bücher in Deutschland, von der ausstehenden Entscheidung nicht betroffen sei, aber das wirkt wie ein Lippenbekenntnis. Mit der Aufhebung der internationalen Preisbindung für Bücher wäre ein erster Damm gebrochen, der im Vorfeld auch die nationalen Preise schützt. Insofern geht es nicht um ein Geplänkel, sondern um ein Treffen, das die strategische Ausgangsposition der Gegner möglicherweise entscheidend festlegt. Sollte die Kommission siegen, wäre die Richtung vorgegeben: die weitere Kommerzialisierung im Buchwesen.

Konzentration im Buchhandel nimmt zu

Das eigentliche Ziel der Brüsseler Attacke ist in Deutschland schnell erkannt worden. Nicht nur Börsenverein und Autorenverbände, sondern selbst das Bundeskanzleramt reagierten auf den Angriff prompt, nannten ohne Umstände die Causa beim wirklichen Namen: die 111 Jahre alte Buchpreisbindung hätte sich in Deutschland als Bestandteil der Kulturpolitik bewährt. Die Bonner Reaktion birgt freilich eine gewisse Scheinheiligkeit. Denn mit zunehmender Macht der Zentrale – und eben die ist in Maastricht umfassend gestärkt worden – schwindet notwendig der Einfluß der nationalen Politik.

Im juristischen Streit um die Buchpreisbindung geht es exemplarisch um die Souveränität nationaler Kulturen. Doch zunächst handelt es sich um rein Wirtschaftliches, und schon auf dieser Ebene zeichnet sich viel Grau ab. Anhand von Marktdaten will die Kommission des Karel van Miert nachweisen, daß es den Buchmärkten in Europa ohne Preisregulierung viel besser gehe. Die Befürworter der nationalen Preisbindung dagegen verweisen auf die konkreten Folgen, die eine Aufhebung der Regulation bringen werde. Da ist erstens der Buchhandel: Die Preisfreigabe würde zu einem härteren Kampf um Märkte führen. Kleine, selbst mittlere Buchhandlungen verschwänden – vielleicht völlig. In Schweden, wo 1970 die Preisbindung von einer -empfehlung abgelöst worden ist, sind die Ergebnisse betrüblich: Der Buchhandel auf dem Land und in den kleinen Städten ist so gut wie nicht mehr vorhanden. London hat das preisbindende "Net Book Agreement" 1995 ausgesetzt, die Folgen sind noch nicht offensichtlich, die Entwicklung geht aber in die gleiche Richtung.

Die Konzentration auf dem Buchmarkt ist auch in Deutschland in vollem Gange. Die Aufhebung der Preisbindung würde diese Entwicklung beschleunigen, den Markt "amerikanisieren". In den USA beherrscht mittlerweile eine Handvoll Buchhandelsketten das Geschehen. Es ist die Regel, daß Verlage angekündigte Neuerscheinungen nicht veröffentlichen, wenn die Ketten (die entweder große Stückzahlen oder gar nicht bestellen) kein Interesse zeigen. Es hat sich ein Konglomerat von Verlagskonzernen, Buchhandelsketten und Medien (Literaturkritik) gebildet, dem unbegrenzte Möglichkeiten zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung offenstehen.

Auch in Deutschland könnte es bald keinen buchhändlerischen Mittelstand mehr geben. Schon die jetzige Entwicklung ist für die "Tante-Emma-Buchläden" und diejenigen Geschäfte, die sich auf spezielle Programme eingestellt haben, prekär. Besonders in den Groß-städten: "Supershops" könnten dort bald die Buchszene völlig bestimmen. Im Preiskampf würden sie bei weitem besser bestehen. Die "klassischen" Kleinsortimenter werden schon jetzt aus den Hauptgeschäftsstraßen in die Nebengassen verdrängt, weil sie bei den Mieten nicht mithalten können. Selbst im westfälischen Münster, wahrlich keine Metropole, sind bereits keine Buchhandlungen alten Stils mehr im Stadtkern zu finden.

28 "Top-Sortimenter" erwirtschaften mit 1,5 Milliarden Mark Jahresumsatz in Deutschland genausoviel wie die etwa 4.200 kleineren Buchhandlungen zusammen. Anders gesagt: Fünf Prozent der Firmen machen fünfzig Prozent des Umsatzes. Das Phänomen der "Großflächenbuchhandlungen", das vor 20 Jahren durch Rombach in Freiburg eingeführt wurde und für das heute Namen wie Hugendubel, Mayer, Thalia, Kiepert stehen, breitet sich aus. So gehören Buchhandlungen zwar noch zu einer Wachstumsbranche, aber das betrifft immer weniger Läden, immer weniger Besitzer. Selbst in den mittelgroßen Städten haben die Buchläden schon Konkurrenz bekommen von Kettenläden wie "Weltbild Plus" sowie "Boulevard" vom Bertelsmann-Buchklub.

Die Filialisierung ist im großen Stil im Gange. Ketten haben wegen der größeren Abnahmen bessere Einkaufsbedingungen. Sie müssen auch keine Zeit beim Empfang unzähliger Verlagsvertreter vergeuden, sondern können den Einkauf zentral steuern. Die Konzentration im Handel erhöht den Druck auf die Lieferanten. Damit ist die zweite Entwicklung angesprochen, die durch die Aufhebung der Preisbindung beschleunigt werden würde. Weder in den USA noch in England gibt es noch kleine Fachbuchverlage. Und der Prozeß der Konzentration, in Deutschland noch gehemmt durch die Preisbindung, betrifft alle Kleinverlage.

Kleine und mittlere Verlage verschwinden

Und gerade diese waren für Deutschland einst typisch. Das Absterben kleiner Verlage vollzieht sich hier seit den fünfziger Jahren. Viele einst renommierte Verlagsnamen sind mittlerweile in den Händen von Konzernen. Da der Buchhandel nunmehr das unternehmerische Risiko immer stärker auf die Verlage umlegt, ist die Verdrängung auch hier im vollen Gang. Gegen die Macht der Konzerne haben kleine und selbst mittlere Verlage es schon jetzt sehr schwer: ihr Kapital ist zu gering, um im Ringen um Buchrechte mithalten, um Marketing, Vertrieb und Werbung angemessen gestalten zu können.

Bedroht ist die Sparte Fachbuch, wo immer stärker weltweit operierende Informationskonzerne den Markt beherrschen. Am stärksten aber ist die Belletristik betroffen. Zwar gehört es in Deutschland immer noch zum Ethos einiger Verleger, mit gut verkäuflichen Büchern im eigenen Haus weniger leicht konsumierbare Bücher zu finanzieren. Diese Persönlichkeit des Verlegers, der auch das Unrentable zu würdigen weiß, hat in den Vorstandsstrukturen eines Großkonzerns aber kaum Spielraum. Der Buchmarkt wird bald fast vollständig in den Händen anonymer, bloß an Effizienz orientierter Verlagskonzerne sein. Schon jetzt finden in Deutschland kleinere Fach- und Belletristikverlage in den Buchhandlungen so gut wie keine Aufnahme, wenn sie nicht vorher die "Beziehung"einer ungemein einflußreichen Kritik nutzen konnten.

Ein dritter Punkt: die Autoren. In dem Moment, in dem der Verleger nicht mehr weiß, welchen Preis er am Markt erlangen kann, muß er eine andere, die Unsicherheit stärker einbeziehende kalkulatorische Größe für die Berechnung des Autorenhonorars finden. Die ganze Sache wird zu Lasten der Autoren, besonders der Fachbuchschreiber und Debütanten gehen.

Im Streit um die bilaterale und nationale Preisbindung zeigt sich, daß die zuständige europäische Kommission einen Präzedenzfall schaffen will, um das Buch zu einem reinen Wirtschaftsgut zu erklären. Für van Miert hat die Preisbindung mit Kultur nichts zu tun. Börsenverein des Deutschen Buchhandels und Autoren beharren dagegen darauf, in der Buchpreisbindung ein traditionelles Mittel der Kulturförderung zu sehen. Sie verweisen darauf, daß der Vertrag von Maastricht den Artikel 128 in die Römischen Verträge eingefügt hätte. Dieser enthält eine "Kulturquerschnittsklausel" (Absatz 4), die den Kommissionen das Recht gibt, aber auch die Pflicht auferlegt, bei allen ihren Entscheidungen kulturpolitische Argumente zu berücksichtigen. Das klingt gut, könnte sich aber als ein Pyrrhussieg der Kulturpolitiker erweisen: denn die Kultur ist damit unter der Hand auch zu einer Angelegenheit Brüssels geworden. Das fällt im konkreten Fall der Buchpreisbindung noch nicht auf, da van Mierts Kommission die kulturpolitische Verantwortung nicht wahrnimmt, sondern nur wirtschaftswettbewerbliche Interessen gelten läßt.

Selbst der deutsche Staatsminister Anton Pfeifer befürchtet aufgrund der Brüsseler Beschwerde den Anfang einer kulturellen "Verarmung" Europas. Er könne sich über die Äußerung des zuständigen Kommissariats nur wundern, daß die Freigabe der Buchpreise im Interesse "des Verbrauchers" liege. Ob es zu der befürchteten kulturellen "Verödung" kommen wird, sei dahingestellt. Aber sicher wird komplizierte Fachliteratur, wird experimentelle, ungewöhnliche oder teuer herzustellende Literatur es sehr schwer haben. Das Anstrengende, Zeitgeist und Moden nicht Entsprechende wird auf dem Buchmarkt immer weniger zu finden sein. Schlechte Zeiten für Bibliophile brechen an.

Das Problem liegt darin, daß das Buch auch ein kulturelles Gut ist. Freilich unterliegt es ökonomischen Gesetzen. Aber wie jedes Bildungsgut läßt es sich nicht nicht sofort nach seiner Verwertbarkeit berechnen. Das Buch ist verdichtete gesellschaftliche Erfahrung, es steht für menschliche Freiheit und kulturelle Eigenart. Das deutsche System des Buchhandels mit seiner Preisbindung hat eine vergleichsweise große Vielfalt bisher gewährleistet. In keinem Land der Welt gibt es – bezogen auf die volkswirtschaftlichen Eckdaten – so viele Verleger, Buchhändler, Autoren, Titel. Und noch hält sich in Deutschland die Konzentration des Buchhandels und Verlagswesens in Grenzen. Der deutsche Buchhandel mit seinem beinahe noch ständischen Börsenverein entzieht sich der Brüsseler Kontrolle, der Zentralisierung des Marktes.

EU greift kulturelle Eigenständigkeit an

Dem wirtschaftlichen Denken einer Bürokratie wie derjenigen in Brüssel sind Souveränitäten ein Dorn im Auge. Eine Erwägung van Mierts legt das offen. Der Kommissar hat vorgeschlagen, einen Fond für Autoren schöngeistiger Literatur einzurichten, um diese zu subventionieren. Wer aber soll diesen Fond verwalten, wer über das Geld verfügen, die Vergabekriterien festlegen und die Autoren auswählen? (Und wo bleibt da der Wettbewerb, der doch gerade den Buchmarkt beleben soll?) Selten hat sich der bürokratisch-zentralistische Geist Brüssels so dürftig selbst entlarvt. Über den Hebel der "großstaatlichen" Subvention wären die nationalen Literaturen zu kontrollieren, schließlich die europäische Literatur zu steuern. Das deutsche Modell, in dem der Staat nicht direkt subventioniert, gleichwohl eine gewisse Vielfalt der Literatur ermöglicht ist, steht dabei noch im Weg. Rolf Hochhuth fragte zuletzt in einem Spiegel -Essay rhetorisch: "Hat je eine geistfeindlichere Mischpoke Deutschland regiert?" Man darf die Frage getrost auf EU-Kommission erweitern.


 
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