© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Parteien: Der Klubobmann der ÖVP-Nationalratsfraktion, Andreas Khol, über die Bürgergesellschft der Zukunft
"Staatsbürgerschaft ist ein kostbares Gut"
Andreas Mölzer

Herr Dr. Khol, Ihr jüngst erschienenes Buch „Mein politisches Credo" wurde von den meisten Rezensenten wohlwollend aufgenommen. Das mutet fast ein bißchen kurios an, daß einer, der vor einiger Zeit noch als konservativer Hardliner bezeichnet wurde, fast als eigentlich sehr liberal geschildert wird. Wie sehen Sie sich denn selbst unter Maßgabe Ihres Buches?

Khol: Viele, die mich nicht gekannt haben, sondern nur mein Image, haben mich als erzkonservativen Hardliner beschrieben, der ich nie war. Ich war immer ein weltoffener Konservativer und bin das auch nach wie vor. Liberal im Sinne des Liberalen Forums (LiF) bin ich nicht, und ich möchte auch kein solcher Liberaler sein. Wenn man mein Buch liest, dann sieht man darin, daß ich von den fünf österreichischen Parteien das LiF als Partei qualifiziere, die den Grundkonsens in unserem Land am schärfsten attackiert. Das ist ein „Linkes Forum" geworden, das eben nur den Linksliberalismus pflegt. Ich bin immer der gleiche geblieben in der Zeit. Wenn man mit dreißig in die Politik einsteigt und jetzt 56 ist, dann wird man etwas abgeklärter. Aber die Schwinger sind nach wie vor scharf. Ich bin in keiner Weise von meinen Grundsätzen abgerückt.

Am Anfang Ihres Buches, wo Sie den Werteverlust beklagen, sieht man den konservativen Kulturpessimisten hervorleuchten. Ist diese Klage über den Werteverlust nicht ein wenig Selbstkritik?

Khol: Ja, natürlich ist es Selbstkritik! Wenn jemand die Selbstkritik verloren hat, dann fehlt ihm der Kompaß. Die Selbstkritik muß man immer haben. Und ich gehe daher in diesem Buch auch mit meiner eigenen Volkspartei ins Gericht. Eine Zentralthese, die ich entwickle, ist folgende: Die österreichische Unabhängigkeitserklärung des Jahres 1945 ist eine Art Gesellschaftsvertrag für Österreich, auf dem dieses schöne Land aufgebaut wurde. Ich glaube, daß die Gesellschaft, die dieses Land aufgebaut hat, dieses Land auch im nächsten Jahrtausend gestalten wird. Alles auf der Grundlage von Werten, die ständig neu errungen werden müssen.

Gegenwärtig geht es darum, die Staatsbürgerschaft bzw. die Verleihung derselben zu verändern. Wie sehen Sie denn die Möglichkeit, als Zuwanderer ein solcher verwurzelter Bürger zu werden?

Khol: Es kann keine Doppelstaatsbürgerschaft als Regelfall geben, es gibt keine doppelte Loyalität. Man ist Bürger eines Landes. Doppelstaatsbürgerschaft kann es nur dort geben, wo es begründete Interessen gibt wie zum Beispiel wirtschaftlicher Natur. Das ist im Gesetz jetzt schon vorgesehen, wird aber sehr zurückhaltend gehandhabt, und das ist richtig so. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir das Staatsbürgerschaftsrecht lockern sollten, sondern ganz im Gegenteil: die österreichische Staatsbürgerschaft ist ein kostbares Gut. Wir überlassen es den Ländern, was im einzelnen verlangt wird. Auch an den Fristen wird nichts geändert: zehn Jahre als Normalfrist, und die kann man in Ausnahmefällen nicht mehr wie bisher auf vier Jahre, sondern nur auf sieben Jahre vermindern. Also, es wird alles in allem eher eine zielgerichtete Beschränkung des Zugangs zur Staatsbürgerschaft geben.

Zurück zu Ihrem Buch. Auffällig ist die strenge Beurteilung des Liberalen Forums; bei der FPÖ gibt es ein Fragezeichen sowohl in der Überschrift als auch am Ende Ihres Kapitels. Wie sehen Sie denn die aktuelle Entwicklung der Taten zum Programm?

Khol: Die Liberalen haben ein radikal antibürgerliches Programm, ein Programm, das wirklich viele Werte zerstört und eigentlich in einen Hedonismus hineinführt. Das LiF hat auch dementsprechende Aktionsprogramme in einzelnen Bereichen: von Kruzifix herunter, Konkordat weg, Religionsunterricht abschaffen, Religionsbekenntnis nicht mehr am Meldezettel, bis hin zur Freigabe weicher Drogen, Abtreibung auf Krankenschein. Das ist ein konsequent antibürgerliches und gegen unseren Gesellschaftsvertrag gerichtetes Programm. Und ich gehe davon aus, daß die Liberalen dafür vom Wähler sehr bald ihre Rechnung bekommen. Die Freiheitlichen hingegen haben eine bemerkenswerte Programmwende durchgemacht. Ich beurteile das Programm in meinem Buch insofern positiv, als ich sage, daß die wichtigsten traditionellen Wertebausteine, die den Grundkonsens in unserem Land ausmachen, in dieses meiner Meinung nach geglückte Programm Eingang gefunden haben. Die Frage, ob ein Pudding schmeckt, kann erst beim Essen beurteilt werden. Ich werfe also die Frage auf: Ist das jetzt ein Programm, das die Partei gestaltet oder ist es sozusagen ein Paravent, um dahinter zu tun, was man will. Aber an sich: Das Programm ist ein fundiertes Programm. Den Sozialdemokraten geht es wie den Priestern des Minotaurus. Der Minotaurus, der Gott in Kreta, war schon lange tot. Aber man wagte es nicht, das den gläubigen Kretern zu sagen. Der Marxismus ist tot, nur die Programmdenker der SPÖ trauen sich das ihren Leuten nicht zu sagen. Daher doktern sie seit 20 Jahren an einem neuen Programm herum, das nie zustandekommt, und von einem Parteitag auf den nächsten verschoben wird.

Beim großen bundesdeutschen Nachbarn scheint die Generation der Spät-68er, die einen neuen Marxismus begründen wollte, an die Macht zu kommt: Schröder, Joschka Fischer. Wie sehen Sie diese Entwicklung und mögliche Einflüsse auf Österreich?

Khol: Wenn es so ist, so glaube ich, daß das eine Melonenkoalition sein würde. Das wäre ein Experiment auf kurze Zeit. Wenn die Parteien ehrlich hinausgehen und sagen: „Wir wollen eine rot-grüne Koalition machen", werden sie keine Mehrheit bekommen. Aber wenn es eine solche rot-grüne Koalition gäbe, würde das für Österreich heilsame Wirkungen haben, weil es die Attraktivität einer meines Erachtens nach ohnehin nicht machbaren Ampelkoalition verringern würde.

Sie fühlen sich in der perpetuierten Großen Koalition wohl, und das auch auf mittlere Zukunft?

Khol: Naja, ich würde sagen, ich fühle mich in einer Koalition wie der derzeitigen wohl, seitdem Vranitzky durch Klima ersetzt wurde und der vorherige Deficitspending-Kurs der Ära Kreisky durch den Stabilitätskurs von Schüssel und Ditz ersetzt wurde. Also ich meine, es ist für mich zutiefst befriedigend zu sehen, daß wir in 18 Monaten vier Budgets beschlossen haben. Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Gesundung der Staatsfinanzen haben wir damit geschaffen. Ich fühle mich auch wohl dabei, daß wir eine Reihe von sehr wichtigen Reformen im österreichischen Weg der konsensualen Bewältigung von Konflikten und nicht des Streits der Sieger und Besiegten gelöst haben; das g’fallt mir alles. Aber das alles dauert bis zum Wahltag 1999. Und dann werden wir uns vor den Wähler hinstellen und sagen: „Das haben wir geleistet, alle, wir alle in diesem politischen System haben das geleistet, und jetzt, Wähler, vergib die Karten neu." Was dann passiert, das weiß ich nicht, vielleicht wird uns der Wähler sagen: ÖVP, ihr habt’s nicht gut gearbeitet, dann wird der Khol in die Pension gehen. Oder der Wähler sagt: „Paßt, macht’s weiter!", dann werden wir den Stein noch einmal den Berg hinaufrollen!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen