© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Evangelische Kirche: Otto Graf zu Rantzau über den Streit innerhalb der Nordelbischen Kirche
"Kirchenkampf gibt es immer"
von Hans B. von Sothen

 

Graf Rantzau, was war damals der Anlaß, daß Sie die Bekennende Gemeinschaft Nordelbiens gegründet haben?

Rantzau: Es gab verschiedene Gründe bzw. Anlässe. Eine Pastorin hatte am Volkstrauertag in ihrer Predigt behauptet, daß Soldaten und Kriegsteilnehmer Mörder seien. Das hat einen wahnsinnigen Aufruhr in der gesamten ländlichen Bevölkerung hervorgerufen. Hinzu kam, daß Pastor Motschmann, damals Gemeindepastor in Itzehoe und Mitglied der Landessynode, an einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Segeberg ausgewiesen wurde. Als Landessynodaler war er von seinem Bischof ausdrücklich gebeten worden, an dieser Tagung zum Thema „Feministische Theologie kontrovers" teilzunehmen. Pastor Motschmann wurde von der Tagungsleitung gehindert, das Wort zu ergreifen. Daraufhin setzten wir uns mit einigen Persönlichkeiten aus dem kirchlichen und öffentlichen Leben am 28. Dezember 1984 hier in Schloß Breitenburg zusammen. Wir entschlossen uns, einen Aufruf an unsere Bischöfe zu formulieren. Kurz vor der Synode im Januar 1985 wurde der Aufruf den Bischöfen zugestellt. Wir wollten ihnen damit den Rücken stärken. Die Bischöfe aber machten es zur Kirchenleitungssache bzw. zur Synodensache, und damit ging es in die Öffentlichkeit, ins Fernsehen und in alle anderen Medien, so daß es einen wahnsinnigen Aufruhr gab. Aus den Kreisen der Amtskirche wurden wir scharf kritisiert, der Unwahrhaftigkeit und der Kirchenzerstörung bezichtigt. In der Bevölkerung hingegen stießen wir auf sehr große Zustimmung. Unzählige positive Briefe erreichten uns. Dieses positive Echo führte zur Bildung der Bekennenden Gemeinschaft. Es wurde die Broschüre „Ruf zur geistigen Mitte – eine Dokumentation zur kirchlichen Auseinandersetzung in Nordelbien" zusammengestellt, die den Aufruf und die Erklärungen der Kirchenleitung und Synode enthielten. Diese Dokumentation hat noch heute voll und ganz Gültigkeit, denn es hat sich seitdem nichts verändert, obwohl anfangs Ansätze für eine Rückbesinnung auf den kirchlichen Auftrag da waren.

Ihre Hauptkritikpunkte an die Nordelbische Kirche waren die Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung, die feministische Theologie, der Angriff auf Ehe und Familie und die öffentliche Staatshetze unter Duldung der Nordelbischen Kirche. Die Kirche hat daraufhin alles dementiert. Zu Recht?

Rantzau: Unserer Ansicht nach hat sie das nicht zu Recht dementiert, denn wir sind nach wie vor der Auffassung, daß die von uns angeführten Punkte heute noch Gültigkeit haben.

Die Nordelbische Kirche behauptet, sie habe festgelegt, daß Ehe und Familie absoluten Vorrang vor allen anderen Lebensformen hätten.

Rantzau: Das ist zwar auf einer Synode so formuliert worden, aber gleichzeitig hat sie eine Dauerdiskussion zur Homosexualität losgetreten und den Eindruck erweckt, daß eben nicht Ehe und Familie im Mittelpunkt stehen.

Wie steht die Bekennende Gemeinschaft zu dem Thema Abtreibung?

Rantzau: Die Bekennende Gemeinschaft ist grundsätzlich gegen die Abtreibung.

Lehnen Sie Abtreibungen in toto ab?

Rantzau: Ja, ausgenommen medizinische Indikationen.

Hat der Ausspruch Tucholskys, „Soldaten sind Mörder", einen theologischen Kern?

Rantzau: Ich sehe in diesem Satz keinen theologischen Kern. Es gibt viele Pastoren innerhalb der Kirche, die sich natürlich voll hinter diesen Ausspruch stellen, aber ich kenne genauso viele Pastoren, die das restlos ablehnen. Ich war selbst Soldat und weiß, wie furchtbar der Krieg ist, aber ich lehne diesen Ausspruch grundsätzlich ab, weil er unterschiedslos alle Soldaten diskriminiert.

In den neuen Bundesländern sind zum Teil nur noch etwa zehn Prozent der Eingeschulten getauft. Ist das eine Entwicklung, die auch den alten Bundesländern bevorsteht?

Rantzau: Das ist gemeindemäßig sehr unterschiedlich. Mein Eindruck ist, daß es in den gesamten ländlichen Gegenden noch intakte Gemeinden gibt. Schwierig wird es in den Großstädten. Und da ist es auch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, weil es von der jeweiligen theologischen Linie des Kirchenvorstandes abhängt, ob die Gemeinde eine geistliche Ausstrahlungskraft besitzt. Wir haben gute Pastoren, die in den Großstädten auf einsamem Posten stehen. In den ländlichen Gemeinden ist diese Situation etwas besser.

Welche Entwicklung ist dafür verantwortlich, daß konservative Pastoren kein Bein auf den Boden bekommen?

Rantzau: Es gibt eine starke ideologische Verflechtung der rot-grünen Szene in Kirche und Politik.

Sehen Sie in Missionsveranstaltungen wie ProChrist, also einer eher dem konservativen Spektrum zugehörigen Veranstaltung, einen Ausweg aus dieser Misere?

Rantzau: Ich weiß nicht, ob es ein Ausweg ist, es ist sicher hilfreich, aber es ist so ein bißchen wie die lodernde Flamme, die wieder kleiner wird. Trotzdem sollte man diese Veranstaltungen nutzen, um das Evangelium unter die Menschen zu bringen. Es ist auffallend, daß, wo das Evangelium schriftgemäß verkündigt wird, die Kirchen einen sehr viel größeren Kirchenbesuch haben.

Ist die Bekennende Gemeinschaft eine Organisation, die dem evangelikalen Flügel nahesteht?

Rantzau: Ja. Die Bekennende Gemeinschaft ist eine sehr starke Laienbewegung und wird auch mehr von den Laien getragen als von Theologen.

Rudolf Titzck hat im Vorfeld der Synode einen Aufruf gegen die Wiederwahl der linken Synodalpräsidentin Elisabeth Lingner veröffentlicht. Es heißt, Titzck sei etwas über das Ziel hinausgeschossen. Würden Sie das auch so sehen?

Rantzau: Herr Titzck ist ein Politiker und Parteikämpfer. Der Ton ist seine Art der Deutlichkeit. Mich stört das nicht.

Er hat kritisiert, es gäbe zu viele Synodale, die zur Kirchenleitung in direktem Abhängigkeitsverhältnis stünden. Das hat die Kirchenleitung in Abrede gestellt. Es sei Sinn der Sache, daß man aktive Christen einbindet.

Rantzau: Wir teilen diese Ansicht von Titzck ganz und gar. Wir alle sehen im Moment keine Möglichkeit, an der Zusammensetzung der Synode etwas zu ändern, da das nur mit einer Zweidrittelmehrheit nach der Verfassung möglich wäre.

Also Fortsetzung der linken Politik?

Rantzau: So ist es. Überproportional stark sind in der Synode die sogenannten übergemeindlichen Dienste und Werke vertreten, die fast durchgängig linksideologisch geprägt sind und dementsprechend agieren.

Hat sich Ihre Befürchtung von 1985, daß mehr und mehr feministische, kommunistische und staatsfeindliche Äußerungen in der evangelischen Kirche üblich werden, durch die Wahl von Frau Jepsen zur Bischöfin noch verstärkt?

Rantzau: Das hat sich verstärkt, wobei allerdings das Bekenntnis zu kommunistischen Positionen heute nicht die Rolle spielt wie vor zehn Jahren. Dafür hat sich die feministische Ideologie in den Vordergrund geschoben. Die Wahl von Frau Jepsen hat ein Signal gesetzt, das noch einmal verstärkt worden ist durch die Wahl der Präsidentin der Synode, Frau Lingner. Beide bringen diese Themen immer wieder auf die Tagesordnung.

Wofür setzt sich Frau Lingner noch ein?

Rantzau: In erster Linie für die Durchsetzung der Segnung gleichgeschlechtlicher und eheähnlicher Partnerschaften.

Gibt es dagegen Widerstände?

Rantzau: Am stärksten aus den Reihen der Bekennenden Gemeinden. Auch die Nordelbischen Bischöfe (ausgenommen Frau Jepsen) haben sich kritisch geäußert. Sie haben ein Veto eingelegt, aber das läuft irgendwann aus. Die Synode muß dann neu darüber beschließen. Ich sehe bei dieser Mehrheit keine Möglichkeit, daß sich an dem ursprünglichen Beschluß der Synode etwas ändert.

Wenn solche Synodalbeschlüsse möglicherweise Wirklichkeit würden, müßten dann nicht gläubige Christen es als ihre Christenpflicht ansehen, aus der Landeskirche auszutreten, um sich einer anderen Gemeinschaft anzuschließen?

Rantzau: Das sicher nicht. Aber es gibt sehr viele Menschen, die es sich überlegen, ob sie noch ihren Platz in dieser Kirche haben. Diese Kirche wieder auf biblischen Kurs zu bringen, ist sehr schwer. Vielleicht muß es dieser Kirche erst finanziell so schlecht gehen, daß die Weiterführung der Arbeit wie bisher nicht möglich ist und sie offen wird für eine längst fällige Reformation.

Und daß man parallele Strukturen aufbaut?

Rantzau: Ja, genau darum muß es gehen.

Ihr Vorfahr, Johann Rantzau, hat zusammen mit König Friedrich II. die Reformation in Schleswig-Holstein eingeführt. Sie selber sind Patronatsherr über drei Kirchengemeinden und haben Einfluß auf die Auswahl der Pastoren. Ist bei Ihnen die Welt noch in Ordnung?

Rantzau: In meinen drei Patronatsgemeinden ist im großen und ganzen alles in Ordnung. Aber ein Problem besteht darin, daß es in solchen intakten Gemeinden treue Christen gibt, die mir sagen: „Was wollt ihr eigentlich? Bei uns ist alles in Ordnung. Wir haben einen ordentlichen Pastor, und wir haben eine ordentliche Kirchengemeinde." Aber sie sehen nicht, daß sie sich aus diesem geistlichen Kraftfeld heraus für die Überwindung der Mißstände in der Kirche engagieren müßten. Und deshalb leiden wir darunter, daß sich so viele Menschen nicht an diesem Kirchenkampf beteiligen, aus Schwerfälligkeit und einer gewissen Lethargie heraus.

Das heißt, der Leidensdruck…

Rantzau: …ist noch nicht groß genug. Das kann sehr schnell gehen, aber ich glaube, es wird noch lange dauern.

Meinen Sie, daß die Kirche bis dahin noch Bestand haben wird?

Rantzau: Die Kirche wird immer Bestand haben. Sie wird sich auch reorganisieren, aber das ist ein langer und mühsamer Weg. Es hat immer Kirchenkampf gegeben, und es wird auch weiterhin Kirchenkampf geben.


 
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