© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   15/98 03. April 1998

 
 
Zulauf: Wie eine altgediente Rechtspartei Einfluß auf eine Jugend-Subkultur nimmt
Jeden Tag knallt es irgendwo
von Arne Schimmer / H.-P. Rissmann

 

Mit ihren Großveranstaltungen mit mehreren Tausend Teilnehmern im Januar in Dresden und Anfang Februar in Passau sowie durch die öffentliche Diskussion um Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten (JN) in der Bundeswehr ist die zwischenzeitlich schon beinahe in Vergessenheit geratene Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in den Mittelpunkt des medialen Interesses gerückt. Alarmiert durch den Zustrom vor allem junger Leute zur NPD, berichten Medien sogar vom „braunen Vormarsch". Eine Berliner Wochenzeitung fragte dieser Tage: „Wird der Osten braun?"

Tatsache ist, daß insbesondere in den östlichen Bundesländern die Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen unterschiedlicher politischer Lager härter werden. Wöchentlich ist von tätlichen Auseinandersetzungen zu berichten. Auch die Leipziger Buchmesse überschattete die Demonstration linker und rechter Jugendlicher im nahegelegenen Saalfeld, wo ein nervenkranker Junge ein 14jähriges Mädchen erstochen hatte. An der Tat, die nach Aussage der Polizei keinen politischen Hintergrund hatte, entluden sich sofort die politischen Gegensätze der Szene.

Was ist das für eine Partei, die, scheinbar aus dem Nichts kommend, die „rechte Szene" Mitteldeutschlands zu organisieren versucht? Der 31jährige Pressesprecher der NPD, Klaus Baier, bestätigt gegenüber der jungen freiheit, daß 70 Prozent der Neumitglieder unter dreißig Jahren sind und von diesen noch einmal ein hoher Prozentsatz unter zwanzig Jahren. In der Bundesgeschäftsstelle in Stuttgart, wo sich inzwischen Anfragen von ausländischen Fernsehstationen wie der BBC, der NBC, und Zeitungen wie den Toronto News und der Basler Zeitung häufen, seien zahllose neue Mitgliedsanträge zu bearbeiten, so Beier. Der erfolgreichste Landesverband bei der Mitgliederwerbung sei Sachsen, wo die Mitgliederzahl von 300 im Jahre 1996 auf inzwischen knapp über 1.000 gestiegen ist. Auch andere Landesverbände im Osten wie Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Brandenburg konnten ihre Mitgliederzahlen im vorigen Jahr von einem allerdings niedrigeren Niveau aus mehr als verdoppeln. Noch vor einigen Jahren sank die Mitgliederzahl der NPD auf unter 2.000, und die älteste deutsche Rechtspartei, die Ende der sechziger Jahre schon in sieben Landesparlamenten vertreten war, stand vor dem Aus. Doch seitdem im März 1996 der 45jährige Diplom-Politologe Udo Voigt den wegen seiner Äußerungen zum Holocaust inhaftierten Günter Deckert als Parteivorsitzenden ablöste, ist die Partei in eine Konsolidierungsphase getreten und konnte ihre Mitgliederzahl bundesweit auf rund 4.500 steigern.

Die Tempomacher der NPD sind eindeutig die „Jungen Nationaldemokraten", die Partei-Jugendorganisation. Im Bereich der Kommunikationstechnologie nutzt man durch ein Netz von Internet-Mailboxen moderne Technik. Unter ihrem Druck öffnet sich die Partei mit CD-Produktionen einschlägiger Liedermacher wie Frank Rennicke und Jörg Hähnel oder mit Rockmusik dem Musikmarkt, um sich mit den dort erschlossenen Strukturen die Jugendarbeit und politische Kampagnen zu finanzieren. Auf dieser Schiene kommen auch rechte Skinheads zur NPD, deren Aufnahme von anderen Parteien abgelehnt wird. Baier erklärt, daß zwar das martialische Äußere der Skinheads abschrecke, doch daß die NPD hier versuche, durch Schulungen eine „erzieherische Aufgabe" an den Jugendlichen zu leisten, ohne sie zu bevormunden. Der Einfluß von Jugend-Subkulturen auf die NPD fällt jedem auf, der an einer der jüngsten Kundgebungen teilgenommen hat. So werden die Busse, die die Teilnehmer zum Veranstaltungsort bringen, von regional organisierten „autonomen Kameradschaften" und JN-Gruppen bereitgestellt, wodurch das hohe Mobilisierungspotential erklärt werden kann. Es ist aber unsicher, ob „autonome Kameradschaften" nicht eher die NPD instrumentalisieren als umgekehrt. Diese Entwicklung bleibt zu beobachten.

Die NPD erhebt den Anspruch, nicht allein Wahlpartei, sondern auch „außerparlamentarische Opposition" zu sein und den „Druck von der Straße" zu organisieren. In einem Strategiepapier der Partei wird die Massenmobilisierung neben regelmäßiger Wahlteilnahme und der Programmatik als eine der drei „strategischen Säulen" der NPD bezeichnet. „Wir schauen nicht nur auf die nächsten Wahlen. Gerade daß wir Rückschläge verkraften können, ist unsere Stärke. Wir setzen auf langfristige Bewußtseinsänderungen", erläutert Klaus Baier. In dem Strategiepapier geht die NPD davon aus, daß das zwangsläufige Scheitern der „herrschenden globalen Wirtschaftsordnung" die Sehnsucht nach einer „Systemalternative" wachsen lasse und dann nur eine „eindeutig nationale, ökologische und soziale Kraft" als politische Alternative wahrgenommen werden wird.

Die NPD setzt bei der Vermittlung ihrer politischen Inhalte in einem erheblichen Maß auf Provokation, wenn sie bei Veranstaltungen etwa Repräsentanten des ultrarechten Lagers wie den 1982 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilten Manfred Roeder und den Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger auftreten läßt. Schon wird ein mögliches Verbot der Partei diskutiert. Doch ein Verbotsverfahren gegen die NPD, die sich regelmäßig an Wahlen beteiligt und mit rund 60 Mandatsträgern in Kommunalparlamenten in Hessen, Niedersachsen, Bayern und Sachsen vertreten ist, müßte vom Bundesverfassungsgericht bearbeitet werden und würde sich über Jahre hinziehen, in denen die Partei weiter agieren könnte. Pressesprecher Baier sieht die Verbotsdiskussion als sicheren Indikator für den „Aufschwung" der Partei an und hält ein Spiegel-Titelbild aus dem Jahre 1967 bereit, als eine Verbotsforderung erhoben wurde, nachdem die Partei den Sprung in eine Reihe von Landtagen geschafft hatte.

Ob die NPD an ihre drei Jahrzehnte zurückliegendenWahlerfolge noch einmal anknüpfen kann, ist fraglich. Bei ihrer letzten Wahlteilnahme in Hamburg im September vorigen Jahres erzielte sie mit 0,1 Prozent ein unbeachtliches Ergebnis. Eine Beteiligung an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 26. April stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.


 
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