© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/98 10. April 1998

 
 
PDS-Parteitag: Zurück in die Zukunft
Kraft des Milieus
von Peter Krause

Der Rostocker Parteitag der PDS verlief ohne Aufregung. Darin liegt jedoch nichts Beruhigendes. Die "einzige linkssozialistische Alternative" im Bundestag gehört zur politischen Normalität in Deutschland, und es sieht nicht so aus, als wollte sie diese Stellung durch unüberlegte Manöver riskieren. Zwei strategische Entscheidungen sind in Rostock gefallen. Die erste wird gemeinhin als Rückschritt gedeutet: Die PDS konzentriert ihre politische Arbeit demnächst ganz auf die neuen Bundesländer.

Aber weniger könnte durchaus mehr bedeuten. Die PDS hat Aussichten, für den nächsten Bundestag alle fünf Ost-Berliner Wahlkreise und den Rostocker Wahlkreis direkt zu gewinnen. Sie rechnet sich sechs weitere Direktmandate aus, hätte dann den Fraktionsstatus.Das "Rostocker Manifest" spiegelt eine Erkenntnis wider: Es lohnt nicht, die Identität der Partei als "einzige Vertreterin der ehemaligen DDR-Bürger" aufzugeben, um sich als linke Universitätspartei im Westen zu erschöpfen. Die PDS beugt sich der Macht des Faktischen – und könnte daraus Gewinn ziehen. Sie bewahrt ihre Eigenart, konzentriert ihre Kräfte auf das Machbare, Bewährte. Wie die CSU will sie sich als vergleichsweise krisenfeste Regionalpartei etablieren. Das bedeutet zwar die Preisgabe des Anspruchs, den Raum links von SPD und Grünen gesamtdeutsch zu besetzen, aber die Begrenzung könnte der Partei vorerst das Überleben sichern.

Die Realität der PDS besteht nicht in den "Reformern" oder gar der "Kommunistischen Plattform". Sie heißt auch nicht Gysi. Der Chef der Bundestagsgruppe wird entgegen dem medialen Anschein von der Basis an der kurzen Leine gehalten. Auslauf bekommt er nur Richtung Westen. Sobald die "Viererbande" Bisky, Gysi, Brie und Bartsch die Verwestlichung zu stark betreibt, wird sie – wie zuletzt bei der Kandidatenwahl für den Bundestag – korrigiert. Und die PDS besteht keineswegs bloß aus Propaganda; ihre Wirklichkeit liegt in ihrer Bindung an die vertraute Sozietät, in ihrer Volkstümlichkeit, in ihrer Gegenwärtigkeit im politischen Raum: in Vereinen, Organisationen, Wohngebieten, in der "Volkssolidarität". Die PDS ist eine Milieupartei. Darin liegt ihre Stärke. Und sie ist dabei, dieses Profil weiter zu schärfen.

Ost-West-Dilemmata kennt die PDS nicht. Die Führungen anderer Parteien im Osten beneiden sie längst um ihren Abstand zu Bonn. Der Vereinigungsprozeß wird immer mehr als Enteignungsprozeß, die Transferleistungen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für westdeutsche Beamte und staatliche Rettung angeschlagener West-Konzerne gewertet. Er hat mehr nachträgliche Zustimmung zur DDR erzeugt als 40 Jahre real existierender Sozialismus. Wenn die PDS ein Vetorecht für die neuen Bundesländer im Bundesrat, einen "differenzierten Umgang" mit DDR-Biographien verlangt, dann kommt das immer besser an – und nicht nur bei Kommunisten.

Der Kampf im linken Lager um des Volkes Zustimmung hat begonnen. Es ist wahrscheinlich, daß die PDS nicht zu den Verlierern gehören wird. Und es ist nicht ausgemacht, daß die Bürgerlichen im Osten zu den Gewinnern jenes Streites gehören werden. Die Zeit arbeitet für die Nachfolgepartei der SED. Die wirtschaftliche Lage wird sich auf absehbare Zeit nicht verbessern. Was jetzt wie ein Rückschritt aussieht, könnte die PDS als Zukunftspartei ausweisen. Und sie hat in Rostock eine weitere Entscheidung durchgesetzt: Ihr sozialistisches Image soll ein primär soziales sein. Sie fordert radikal die "solidarische Umverteilung zugunsten sozial Schwacher". Ablehnung des Euro, Kontrolle der Großbanken, Abgaben auf große private Vermögen, Erhebung einer hohen Mehrwertsteuer auf Luxusgüter, Kürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, Garantie eines Ausbildungsplatzes für Jugendliche: mit diesen Forderungen weist sich die PDS zwar als realitätsferne Protestpartei aus. Aber die Programmpunkte zeigen auch, wie stark die anderen Parteien das Soziale mittlerweile vernachlässigt haben. Die PDS vermittelt zudem die Illusion, Politik könne in die sich verselbständigenden ökonomischen Prozesse noch richtungsändernd eingreifen. Auch darin liegt ihr Erfolg.


 
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