© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
Berliner "Szene": Wandel von Hausbesetzern zu Hausbesitzern
Ankunft im Biedermeier
von Holger von Dobeneck

Der protestierende Zeitgeist macht sich oft an singulären politischen Ereignissen fest. Die Wellen des Protestes fluteten in der BRD anläßlich der Notstandsgesetzgebung, der Aufrüstung, der Volkszählung, des Häuserleerstands. In den achtziger Jahren entstand in Berlin das Phänomen der Hausbesetzung, das nunmehr durch den energischen Durchgriff von Innensenator Jörg Schönbohm sein unwiderrufliches Ende fand.

Doch nur in der Theologie läßt sich Gut und Böse exakt voneinander trennen, das Leben bevorzugt facettenreiche Graustufen. Die Hausbesetzerszene nämlich versammelte neben den unvermeidlichen Chaoten, die aus der ganzen Republik zusammenstömten, auch ein diffiziles intellektuelles Biotop. Es setzte sich aus Schülern, Studenten, Juristen und Architekten zusammen, die sozusagen eine Jugendbewegung bildeten, einen Wandervogel, der sich in den Innenräumen erging und die Ästhetik des Jugendstiles vor den Dampframmen der Modernisierung zu retten suchte. Dabei gelangen erstaunliche Kombinationen, ein besonderes Beispiel ist die Admiralstraße im Bezirk Kreuzberg. Das Denkmal, ein fiktiver Nelson mit in die Ferne gerichtetem Suchblick durch das Okular, zu dessen Füßen mit niedergeschlagenem Blick einige Punker sitzen, symbolisiert das soziale Auf und Ab des bezirklichen Ambiente. Überhaupt ist der Ort voller Symbolik dieser Art.

Neben einer Schule steht das ehemals besetzte Haus Admiralstraße 15, das von einer studentischen Gruppe in unermüdlichem Einsatz und mit öffentlichen Fördergeldern zu einem wahren Schmuckstück herausgeputzt wurde. Der Lohn der Mühe ist ein Erbbauvertrag, der den Bewohnern für 99 Jahre ein Nutzungsrecht gibt. Die Hausfront ist mit Terrakottavasen geschmückt, die, auf Verfall gestylt, wohl an das Schicksal Pompejis gemahnen möchten; doch aus dem Hals der Vasen quillt das optimistische Zukunftsgrün des Efeu. Die Stuckfassaden der geräumigen Fenster mit ihren putzigen Häkelvorhängen erinnern an eine biedermeierliche Idylle.

Auch die Brandstifter wohnten nicht allzu fern, Admiralstraße 20 war in den 80er Jahren der Treffpunkt der Chaoten, die den Hauseingang mit einem meterhohen gewehrtragenden Revoluzzer als Fassadenschmuck versahen. Doch selbst hier setzte sich das konstruktive Element durch, sieben Jahre lang werkelten dort Lehrlinge des Werkhofes Zehlendorf. Auch die Studenten, die anfangs nur mit einer Riesenportion Idealismus und zwei linken Händen angereist kamen, haben in diesen Jahren dazugelernt: Heute sitzen viele von ihnen in gutdotierten Anwaltssozietäten oder Architekturbüros; die wilden Jahre haben ihnen eine handwerkliche Zweitqualifikation eingebracht, die ihre Ehefrauen zu schätzen wissen.

Die Entwicklung vom Revoluzzertum zum Biedermeier ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn in Wahrheit waren die meisten "streetfighter" liebevolle Kommunarden. Zu Beginn des meist grauen Tages trafen sie sich im Tohuwabohu des Baumaterialienstapels im zuerst eingerichteten Gemeinschaftsraum und besprachen, die noch müden Gesichter in ihre Henkeltassen mit heißem Kaffee versenkt, die Stimme noch lambruscogetrübt von den Diskussionen der vergangenen Nacht, in denen es wieder mal um Widerstand und Beziehungskisten ging, die Strategien des Tages. Zunächst zog es sie in die Hörsäle der psycho- und soziologischen Institute. Liebe, Urlaub in der Toskana, wo sich das chaotische Ambiente auf italienisch wiederholte, die taz und ungezählte Hauskater gaben ihren Beziehungen feste Strukturen. Die Liebe ließ die geforderte Spontaneität aufkommen, eines Morgens fand die Umworbene 99 Luftballons im engen Raum, wo sie ihre Morgentoilette machen wollte, und erhielt so die Liebesgrüße ihres Adoranten.

Doch die Jahre gingen ins Land. Die Studien wurden abgeschlossen, die Hauskater allmählich von Sprößlingen eigener Produktion verdrängt, aus den Rostlauben wurden Audis, die taz wurde langsam durch bessere Einsicht und die FAZ ersetzt, die Handys piepten und riefen ihre Besitzer zu Terminen in den Arzt- und Anwaltspraxen. Wo früher stets offene Türen waren, Stimmengewirr und Musik durch die Räume schwirrte, ist heute Ruhe eingekehrt. Alles atmet eine saturierte, verheiratete Bürgerlichkeit.

Gegenüber der Admiralstraße 15 hat der Künstler und Galerist Christian Rohmann, der auch Besetzer der ersten Stunde war, eine überdimensionale Wandmalerei angebracht. An einem Tisch sitzt der Patriarch, der listigerweise des Künstlers Züge trägt, und bringt durch einen kräftigen Schlag auf den Tisch die Weinflasche zum Umkippen, und einstürzende Neubauten liegen unter ihm. Ein entkabelter Fernseher weist auf das soziologische Symbol unseres Jahrhunderts, ein Brummkreisel und eine clowneske Kippfigur mit friderizianischer Mütze vollendet das Ensemble. Auf der Vorderfront bietet eine Frau in gestärktem Linnen Galanteriewaren an. Diese Wandskulptur bekam einen Preis: Sie zeigt, wie nahe doch Aufbau und Zerstörung liegen. Im danebenliegenden Haus hat einst der Unverstand der Besetzer einen ganzen Raum teeren lassen. Der Versuch, ihn als Schwimmbassin zu nutzen, verkannte die Statik und ließ das Stockwerk einbrechen. Da sonst nichts weiter passierte, war es eben nur ein untauglicher Versuch der Selbstfindung.

Die an die Admiralsstraße anschließende Umgebung bis hin zum Landwehrkanal, wo ein Ausflugdampfer festgemacht ist, wird beherrscht von einem Rund mit gewaltigem Innenhof, der, über mehrere Blocks ausgebreitet, von allen Seiten begehbar ist. Ein Bau mit kühner Stahl- und Glaskonstruktion in Form eines überdimensionierten Zeltes schließt sich rechterhand an. Der historische Blick läßt diese kleine Berliner Insel sich mit grünen Polizeihundertschaften füllen. Und nicht zu vergessen: Die Admiralstraße läuft geradewegs auf die U-Bahnstation Kottbuser Tor zu, die synonym für die zunehmende Verelendung der Berliner Innenstadtbezirke steht. Gerade wird diskutiert, ob hier eine Fixerstube eröffnet werden soll, wo die Süchtigen sich sterilisierte Spritzen setzen können. So ganz ist der Kampf in und um Berlin eben nie zu Ende.


 
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