© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/98 17. April 1998

 
 
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge:Die Arbeit im Osten ist erst am Anfang
"Die Erinnerung wachhalten"
von Peter Krause

 

Herr Kirchmeier, viele Mitglieder des Volksbundes gehören zur Kriegsgeneration. Spricht Ihre Arbeit auch die Jugend an?

KIRCHMEIER: Der Volksbund hat gegenwärtig 267.000 Mitglieder. Seit einiger Zeit ist die Zahl rückläufig, um mehr als 2.000 pro Jahr. Über die Altersstruktur haben wir keine genauen Angaben, aber es sind vorwiegend ältere Menschen, also Leute, die den Krieg erlebt haben und ein enges persönliches Interesse an einem Kriegsgrab haben. Wir werben sehr um die Jugend, führen Jugendlager durch. Aber den Verlust an älteren Mitgliedern können wir nicht völlig ausgleichen.

Wie ist die Resonanz auf die Jugendlager?

KIRCHMEIER: Wir führen seit 1954 solche Lager durch, sowohl internationale in Deutschland als auch binationale im Ausland: im westlichen und nunmehr verstärkt im östlichen. Etwa 3.000 junge Menschen nehmen an diesen Lagern jährlich teil. Die Jugendlichen pflegen Gräber oder richten Friedhöfe her. Viele Freundschaften sind dabei entstanden. Ein Katalog mit dem Angebot der Jugendlager ist bei uns erhältlich.

Wie ist die finanzielle Lage des Volksbundes?

KIRCHMEIER: Wir finanzieren uns hauptsächlich über Spenden. Dabei erfahren wir sehr viel Unterstützung. Der Volksbund hat mehr als eine Million Spender. Daneben organisieren wir Haus- und Straßensammlungen. Die Bundesregierung hilft mittlerweile wieder. In diesem Jahr werden wir eine Unterstützung von etwa acht Millionen Mark erhalten. Das deckt ungefähr zehn Prozent unserer Ausgaben. Die Finanzierung ist also vorerst gesichert, aber die Zukunft bereitet uns große Sorgen.

 

Wie ist die gesellschaftliche Resonanz auf die Arbeit des Volksbundes?

KIRCHMEIER: Die Resonanz wird in dem Maße schwächer, wie die Erlebnisgeneration ausstirbt. Es wird immer schwerer, die Erinnerung an die Kriegsgräber wachzuhalten. Wir versuchen, mit Öffentlichkeitsarbeit der Enwicklung entgegenzuwirken.

 

Erhalten Sie politische Unterstützung?

KIRCHMEIER: Ja, natürlich am Volkstrauertag. Wir suchen den Kontakt zu Bundestagsabgeordneten; und mittlerweile haben alle Bundestagsfraktionen – auch die Bündnisgrünen – Abgeordnete benannt, mit denen Mitglieder unseres Vorstandes regelmäßig zusammentreffen. Das Auswertige Amt und die diplomatischen Vertretungen unterstützen uns gut. Hervorheben möchte ich die Bundeswehr, die uns personell und auch mit Material sehr gut unterstützt. Bundeswehrsoldaten leisten viele Arbeitseinsätze, auch in Frankreich und Ungarn. Und im Sommer werden deutsche Soldaten für uns in Tallinn arbeiten.

Wie steht es um die Arbeit des Volksbundes in den neuen Bundesländern?

KIRCHMEIER: Die Zuständigkeit für die Kriegsgräber in Deutschland liegt bei den Gemeinden. Aber wir beraten natürlich, wenn das erwünscht ist. In den neuen Ländern sind wir noch damit beschäftigt, Kriegsgräberstätten zu erfassen. Ein Atlas über die gegenwärtigen Soldatenfriedhöfe ist bei uns erhältlich.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in diesem Jahr?

KIRCHMEIER: Im westlichen und südlichen Europa sowie in Nordafrika obliegt uns noch die Pflege der weit über 300 Kriegsgräberstätten. Die Erhaltung ist aufwendig genug. Seit den neunziger Jahren liegt der Schwerpunkt in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, wo im Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen deutsche Soldaten den Tod fanden.

Wie kommt die Arbeit dort voran?

KIRCHMEIER: Wir stehen vor immensen Schwierigkeiten. Viele der von der Wehrmacht angelegten etwa hunderttausend Grabanlagen sind nur schwer auffindbar, sind zerstört oder überbaut. Trotzdem konnte der Volksbund während der letzten Jahre über 150 Friedhöfe des Zweitens Weltkrieges und 150 Anlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Ost-, Mittel- und Südosteuropa herrichten oder neu anlegen. 152.000 Kriegstote wurden umgebettet. Gegenwärtig sind etwa 50 Anlagen im Bau. In diesem Jahr wollen wir noch sieben Kriegsgräberstätten einweihen.

Würden Sie uns einige Schwerpunkte Ihrer Arbeit nennen?

KIRCHMEIER: In Charkow in der Ukraine wurde ein großer deutscher Soldaten-Friedhof schon im Februar eingeweiht. Eine wichtige Einweihung planen wir in Tallinn in Estland. Der Volksbund stellt dort einen deutschen Soldatenfriedhof wieder her, und zwar unmittelbar neben einer sowjetischen Gedenkstätte. Ein bleibender Schwerpunkt ist das Gebiet um das ehemalige Stalingrad. Wir betten dort Soldaten aus dem gesamten "Kessel" um; in einem Jahr wollen wir dort, in Rososhka, eine große Kriegsgräberstätte für die deutschen Gefallenen einweihen. Auch in St. Petersburg entsteht ein sehr großer Sammelfriedhof.

 

Wie ist das Verhältnis zu den Behörden?

KIRCHMEIER: Das ist sehr unterschiedlich, in fast allen Ländern gut. In Rußland gibt es aber gelegentlich Schwierigkeiten mit lokalen Behörden, die sich über die Regierungsabkommen hinwegsetzen: so in Smolensk und in Rshew, wo sich eine Duma-Abgeordnete den Widerstand gegen den deutschen Friedhof auf die Fahnen geschrieben hat.

Und wie reagiert die einheimische Bevölkerung auf die Arbeit des Volksbundes?

KIRCHMEIER: Überwiegend positiv, auch in Rußland. Die Leute interessieren sich sehr für unsere Arbeit. Aber gerade dort rufen wir oft eine Frage hervor: Wenn die Deutschen sich so um ihre Gefallenen tausende Kilometer von der Heimat entfernt kümmern, wo sind die Friedhöfe für die eigenen Soldaten? Die Rote Armee ist ja mit ihren Gefallenen anders umgegangen als wir, es gibt in Rußland wenige Soldatenfriedhöfe.

In einer Veranstaltung des Volksbundes habe ich kürzlich Bilder gesehen, die offen herumliegende Gebeine deutscher Soldaten in Rußland zeigen...

KIRCHMEIER: Auf so etwas treffen unsere Umbetter nicht selten. Das liegt zum Teil an den Grabplünderern, die Gräber aufbrechen, um Ausrüstungsgegenstände der Gefallenen zu rauben. Die Gräber blieben danach offen. Ein weiterer Grund für diese Zustände ist die Erosion. Wenn in den Kriegswirren keine ordentliche Bestattung möglich war, dann wurden die Gebeine nicht tief genug begraben und liegen nun offen. Unsere Umbetter, die mit der systematischen Suche nach alten Grabanlagen der Wehrmacht in Rußland beauftragt sind, bergen diese Gebeine und bestatten sie auf zentralen Sammelfriedhöfen.

Wie ist die Arbeit in anderen Ländern Ost-und Mitteleuropas?

KIRCHMEIER: Polen ist ein Schwerpunkt, da kommen wir gut voran. Wir weihen dort jedes Jahr einen Friedhof ein, in diesem Jahr bei Kattowitz in Oberschlesien. In Ungarn haben wir sehr früh beginnen können, dort stehen wir vor dem Abschluß unserer Arbeiten. In Kroatien werden wird in diesem Jahr den dritten Friedhof einweihen: in Split. Auch in Slowenien und der Slowakei laufen die Arbeiten gut; in Tschechien geht es langsamer.

Und in Serbien?

KIRCHMEIER: In Serbien sind wir noch nicht entscheidend vorangekommen, aber Kontakte bestehen bereits. Zur Zeit ist ein Friedhof bei Belgrad vorgesehen. Auch in der russischen Exklave Kaliningrad, dem früheren Königsberg, ist die Situation nicht so günstig für uns. Dennoch haben wir vor Jahren dort etliche Anlagen wiederhergerichtet.

Tragen die Umbettungen zur Aufklärung ungewisser Soldatenschicksale bei?

KIRCHMEIER: Ja. Wir suchen aufgrund aller möglichen anderen Unterlagen. Wir können ungefähr sagen: Wir finden etwa die Hälfte der Gebeine, die wir auf ehemaligen Friedhöfen der Wehrmacht suchen, und ungefähr die Hälfte davon können wir noch identifizieren. Wir haben dafür unsere besondere Abteilung Gräbernachweis, die mit der "Deutschen Dienststelle" (früher Wehrmachtauskunftsstelle) in Berlin und dem Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes auch per Datenabgleich zusammenarbeitet. Ein Viertel der Gesuchten können wir sogar namentlich identifizieren


 
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