© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
PDS und deutsche Linke: Gedanken zu einem Buch von Christian von Ditfurth
Der Tragödie letzter Akt
von Eberhard Stein

Ein Buch geht um in interessierten Kreisen: Christian von Ditfurths Buch über die PDS "Ostalgie oder linke Alternative. Meine Reise durch die PDS" (Köln 1998). Eine bemerkenswerte Literatur. Der Autor ist ein scharfsinniger Analytiker und im Politischen ein redlicher und tiefgründiger Denker mit wissendem Blick auf Schichten und Strukturen. Er besitzt ein feines Gespür für das Atmosphärische, für die Stimmungen, aus denen politische Argumentationen entstehen.

Es ist das Wissen eines Insiders der linken Bewegung, der Jahre in der DKP verbrachte und nun in der PDS seine zweite Enttäuschung erlebt hat. Er kennt die kaschierte peinliche Differenz zwischen dem Medientanz der "Reformer" um Gysi und der Wirklichkeit an der Basis. Er weiß, daß die "Kommunistische Plattform" in der Partei zwar eine Ungeheuerlichkeit darstellt, aber er sieht ebenso, daß sie politisch von beschränkter Bedeutung ist. Ditfurth ist klar, daß die PDS nicht nur der Zufluchtsort für die alten Stützpfeiler der zusammengebrochenen DDR, sondern für viele andere die letzte Verteidigungslinie der eigenen Biographie bildet. Ihm entgeht aber die Tatsache, daß es in der PDS eine Art Beharrungsvermögen gibt, in dem sich Reserviertheit gegenüber mancher Tollheit altbundesdeutscher Linker äußert.

Dagegen gewinnt in der PDS seit 1995 ein "Marxistisches Forum" an Macht. Hinter dem Manifest "In tiefer Sorge" versammeln sich frühere Ideologie-Produzenten der SED wie Gottfried Stiehler, einer der "ML-Philosophen-Päpste" der DDR, und Ernst Engelberg, renommierter Historiker und Verfasser einer Bismarck-Biographie. Engelberg schneiderte einst sowohl Ulbricht als auch Honecker die Geschichte auf den Leib. Diese Unverbesserlichen sind zum Kampf um die Rückgewinnung der Herrschaft über die Geschichte und ihre Deutung angetreten. Zu ihnen gesellte sich bizarrerweise auch Winfried Wolf, einer der Führer der "IV. Internationale" und Ghostwriter des Trotzkisten Ernest Mandel. Auch sonst hat die PDS unter Intellektuellen nicht wenig Verbündete.

Ditfurth erkennt wohl die Gefahr, die einer demokratischen Gesellschaft von der äußeren Linken droht. Fatalerweise teilt er aber deren ideologische Grundüberzeugungen. Am marxistischen Aberglauben partizipieren überzeugte Stalinisten und eher unorthodoxe Linke. Ungezählte Opfer haben daran nichts geändert. Woran liegt das? Es sind zum großen Teil Erkenntnissperren, mentale Blockaden. Nichts darf die "Frohe Botschaft" linker Politik in Frage stellen. (Es fällt im übrigen auf, wie viele säkularisierte evangelische Pastoren sich von dieser Botschaft beseelen lassen. Ganz offenbar zählt dies zu den tief existentiellen Bedürfnissen einer in den Grundfesten ihres Daseins irritierten Kaste von Intellektuellen.)

Die Ignoranz ist groß. Es ist offenbar gleichgültig, daß sich in dem vielbändigen halbphilosophischen Feuilleton von Karl Marx eine verquaste Gesellschaftsutopie mit einer gewaltigen Eruption aus Niedertracht, Aufrufen zum Völkerhaß (wie im kürzlich erneut gefeierten "Kommunistischen Manifest") und schlimmen antisemitischen Ausfällen mischt. Oder hat die ideologische Wirklichkeit noch einen anderen Aspekt? Haben nicht die allermeisten der neuen Linken ihre Säulenheiligen nur in sorgsam filtrierten Kurzfassungen, wenn überhaupt, zur Kenntnis genommen. Die Konjunktur des Maoismus bei den 68ern hatte offensichtlich die in kurze Sprüche gebrachte "Lehre" zur Voraussetzung. All das sind deutliche Zeichen des kulturellen Niedergangs.

Die Generation der Phrasendrescher und die Anhänger eines endlos-fruchtlosen Diskurses hatten es zumindest erreicht, über die Vätergeneration den Generalverdacht politischen Verbrechertums zu verhängen. Wenn Christian von Ditfurth beklagt, daß die Stasi im Westen Politik gemacht hätte, etwa dem Bundespräsidenten Heinrich Lübke eine Vergangenheit als KZ-Baumeister unterschob, so vergißt er zu sagen, wie viele nach den Fälschungen der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (HVA) gelechzt haben und sie um so dankbarer als Wahrheit zur Kenntnis nahmen.

Und trotzdem, Ditfurth ist auf seine Weise ein redlicher Autor. Er bemüht sich, Legenden zu zerstören, die das Geschichtsbild vieler wie ein Krebsgeschwür überwuchern. Fast keinem der Bürger der DDR war es etwa aufgefallen, daß Reden von Ernst Thälmann, dem Götzen der deutschen kommunistischen Bewegung, nur in zwei kleinen Bändchen in den fünfziger Jahren veröffentlicht worden waren, darüber hinaus kein einziges originales Wort. Das hatte seinen guten Grund: Dann wäre die Lüge von dem Bemühen der KPD um eine "antifaschistische Einheitsfront" wie eine Seifenblase zerplatzt. Für Thälmann und sein gepriesenes Zentralkomitee war der Hauptfeind stets die Sozialdemokratie gewesen. Bereits 1927 hatte der Kommunistenchef auf einem Parteitag in Essen erklärt: "Wenn ich heute nicht spreche von einer Vernichtung der SPD, so deswegen, weil die SPD erst dann vernichtet wird, wenn die Arbeiterklasse den Kampf um die politische Macht aufnimmt und durchführt." Das war zumindest für die Sowjetische Besatzungszone und die DDR ein prophetisches Wort.

Christian von Ditfurth hat etwas von einem "Fliegenden Holländer" unter den Linken. Sein Buch ist von einer vornehmen Trauer umwebt. Zuletzt sucht er Trost bei Rosa Luxemburg, jener hoffnungsüberfrachteten Ikaridin der Bewegung. Mörderhand verhalf ihr zur Legende und bewahrte sie zwar nicht vor Fehlern, wohl aber davor, Täterin zu werden oder das Opfer der eigenen Genossen. Am Ende fällt von Ditfurth ein hartes Urteil über die Partei des Demokratischen Sozialismus: "Das ist der letzte Akt der Tragödie der deutschen Linken." Vielleicht, man sollte nie ohne Hoffnung sein, kann Christian von Ditfurth einen Beitrag leisten, solche Tragödien künftig vom Spielplan zu nehmen.


 
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