© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Präsidentschaftswahl: Die Österreicher sind konservativer, als die Meinungsforscher glauben
Triumph des kleinsten Übels
von Andreas Mölzer

Die da erklärten, es sei in erster Linie Parteienverdrossenheit, welche sich im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf artikuliert habe, dürften wohl recht haben. Thomas Klestil triumphierte nicht so sehr, weil er das politische Handwerk so gut beherrscht, sondern weil er es klug vermied, mit den politischen Parteien allzu augenscheinlich im Bett zu liegen und sich als deklarierter "Bürgerkandidat" somit als kleineres Übel erwies. Quer durch Österreich in den kleinen Landgemeinden hat Klestil jene Stimmen zu sammeln vermocht, die das von den Meinungsforschern vorhergesagte Ergebnis ermöglicht haben. Tatsächlich hat in diesen Landgemeinden die Wahlbeteiligung noch immer stattliche Höhen erreicht. Dadurch wurde Klestils Sieg – zumindest rein numerisch – zu einem Triumph. Dies scheint zu bedeuten, daß die Leute auf dem flachen Land den Bundespräsidenten genau in der Rolle haben will, wie Klestil sie vorgibt: Ein wenig Monarchie, ein wenig "einer von uns", ein bißchen Diplomat mit passablen Kenntnissen im Verzehr von Spargel und der englischen Sprache, ein bißchen politische Moral als sonntägliche Mahnung an die Parteien – Haltung, Fassung, Würde eben. Daneben aber darf nicht vergessen werden, daß bei den kaum 74 Prozent Wahlbeteiligung mehr als ein Viertel der Österreicher sich bereits verweigert. In Relation zur Gesamtwählerzahl hat das Lager der Konformisten, unterstützt von allen drei größeren Parteien, in der Person Klestils kaum mehr die Hälfte der wahlberechtigten Bürger erreicht. Nicht gerade ein Triumph des politischen Establishments.

Die politischen Analytiker behaupten nunmehr, daß die städtischen Wähler, die Gebildeten, sich dem Konformitäts-Kandidaten Klestil eher verweigern. Das schwache Abschneiden des amtierenden Präsidenten in Wien verdeutliche dies. Hier haben einerseits Frau Knoll und Frau Schmidt stärker abgeschnitten, andererseits aber der Protest-Kandidat Richard Lugner. Quer durch die Republik hingegen hat sich gezeigt, daß nur mehr ein Viertel der Wähler politisch korrekt agieren und für die Ausgrenzung Jörg Haiders und der Freiheitlichen zu haben sind.

Zwar hat Frau Knoll ihr Wahlergebnis als Triumph der "zivilen Gesellschaft" hingestellt, daß dieser Triumph aber trotz der Unterstützung der Kronenzeitung eine Minderheitenfeststellung geblieben ist, sagt einiges aus. Bei der von Gertraud Knoll beschworenen zivilen Gesellschaft handelt es sich offenbar um eine Selbstdefinition des neulinken Spießertums, das sich zwischen Kirchenvolksbegehrern und SOS-Mitmensch angesiedelt hat. Auch Heide Schmidts Aussage, daß immerhin gut 20 Prozent der Österreicher für eine Frau im höchsten Staatsamt votiert hätten, ist mehr als fragwürdig. Ihr Kalkül, mit ihrer Kandidatur das Überleben des Liberalen Forums zu sichern, dürfte jedenfalls daneben gegangen sein. Nachdem sie mit dem Protestkandidaten Richard Lugner um den dritten Platz kämpfen mußte, steht sie als klare Verliererin der Präsidentschaftswahl da und hat dem Liberalen Forum innerhalb kürzester Zeit nach der niederösterreichischen Landtagswahl eine weitere Wahlschlappe beschert.

Richard Lugners zehn Prozent ist neben Klestils überproportional starkem Abschneiden die eigentliche Überraschung der Wahl gewesen. Umso überraschender war daher seine offensichtliche Enttäuschung am Wahlabend. Damit zeigt sich, daß Lugner eben auch kein wirklich politischer Mensch sein kann, hatte er sich offenbar wirklich zwanzig Prozent erwartet. Seine Reaktion, daß die Meinungsforscher daran schuld seien, erweist ihn auch nicht gerade als politischen Profi. Es mag zwar stimmen, daß die Meinungsforschungsinstitute mit ihren veröffentlichten Ergebnissen weniger Tatsachendarstellung als vielmehr Wahlkampfmanipulation bieten. Sie aber pauschal zu Sündenböcken für ein Wahlergebnis zu stempeln, ist einfach unrichtig.

Insgesamt war das Wahlergebnis eine Absage an die Haider-Ausgrenzer. Die 64 Prozent für Klestil und die zehn Prozent für Lugner beweisen, daß drei Viertel der österreichischen Wähler gegen eine entsprechende politische Akzeptanz der Haider-FPÖ kaum mehr etwas einzuwenden haben. Die freiheitlichen Wähler selbst sind zum großen Teil der Wahlempfehlung ihres Parteioberen gefolgt. Etwa 64 Prozent von ihnen haben Klestil gewählt, kaum 20 Prozent Richard Lugner, zehn Prozent sind zu den Nichtwählern gegangen. Jene 20 Prozent der FPÖ-Wähler, die Lugner gewählt haben, dürften das harte Protest-Potential gegen das politische Establishment umfassen. Viele der gebildeteren FPÖ-Wähler wollten einerseits auf diese Art und Weise ihren Protest deponieren, andererseits deutlich machen, daß der self-made man, der nicht mittels Steuergeldern Politik macht, durchaus Respekt verdient. Bei den einfacheren Leuten könnte das, was man vor einem Dutzend Jahren über Haider gesagt hat, auch in Hinblick auf Lugner eine Rolle gespielt haben: Der ist schon reich, der muß nicht mehr stehlen. Daß Lugner in Wien nahezu 15 Prozent der Stimmen erhalten hat und in Tirol immerhin 13, darf durchaus als Sensation gewertet werden. Innenpolitisch bewirken wird es allerdings kaum etwas, da der rührige Baumeister selbst offenbar nicht in der Lage ist, diesen erstaunlichen Wahlerfolg für künftige politische Tätigkeiten umzumünzen. Sein Ergebnis war jedenfalls ein Beweis dafür, wie sehr die öffentliche von der veröffentlichten Meinung differiert.

Neben dem offensichtlichen Versagen der Meinungsforscher, die zwar in der Lage waren, den Wahlsieg Klestils im ersten Wahlgang vorauszusagen, warf das Wahlergebnis ein bezeichnendes Licht auf die Rolle der Medien: Die linken bis linksliberalen Medien vermögen zwar immer wieder den Eindruck zu vermitteln, als würden sie die breite Mehrheit im Lande vertreten, wenn dann aber der Wähler an der Urne spricht, zeigt sich, daß sie ein Minderheitenprogramm vermitteln. Aber auch Medien, die diesen mainstream nicht entsprechen, sind nicht allmächtig. Die Unterstützung der Kronenzeitung für Frau Knoll konnte offenbar den Eindruck bei den Wählern nicht verwischen, daß es sich hier um eine prononcierte Linke handelte. Der Nutzen für die politisch korrekte Predigerin war also gering. Überhaupt hat sich gezeigt, daß für den Linksliberalismus in Österreich kein wirklicher parteipolitischer Platz existiert. Dieser hat keine gesellschaftspolitische Gestaltungskraft und kann allenfalls als Modeerscheinung im linken Regenbogenrand der Gesellschaft reüssieren.

Bedenklich ist insgesamt, daß die Präsidentschaftswahl die niedrigste Wahlbeteiligung der Zweiten Republik bei Wahlen für das höchste Staatsamt zeitigte. Die Österreicher sind offenbar in immer höherem Maße der Meinung, daß Parteipolitik, Politik insgesamt, kaum von Nutzen ist. Wenn es so weitergeht, könnte es so weit kommen, daß der Spruch des Grazer Noch-immer-Bürgermeisters zur Devise wird: "Mehrheit ist Mehrheit" – auch wenn kaum mehr 50 Prozent an die Urne gehen. Dies wäre zweifellos eine Aushöhlung der Demokratie, die im Gegensatz zu den Schreckgespenstern des Extremismus wirklich gefährlich wäre. Demokratie, die nicht mehr gelebt wird, verliert ihre Funktion.

Der Bundespräsident, der erneut ankündigte, ein starker sein zu wollen, hat es in der Hand, zumindest dieses Demokratiebewußtsein zu stärken. Ob ausgerechnet Thomas Klestil, der ein Exponent des politischen Establishments mit geringem Charisma ist, dazu in der Lage sein wird, darf bezweifelt werden.


 
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