© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Frankreich: Bürgerliche Gedankenspiele um den rechten Nebenbuhler
Kein Konzept gegen Le Pen
von Nicolaus Rubeck

Noch sind nach den französischen Regionalwahlen vom März nicht alle Regionalratspräsidenten in Amt und Würden, schon läuft innerhalb der bürgerlichen Parteien, dem gaullistischen RPR und der liberalen UDF, die Debatte über die Strategie gegenüber dem Front National (FN) wieder auf Hochtouren. Die Frage, wie der Konkurrenz von rechts zu begegnen sei, rückt, dem Verlauf einer Sinuskurve gleich, nach jeder Wahl mehr oder weniger stark ins Blickfeld.

Im einzelnen lassen sich sieben strategische Ansätze ausmachen:

1.) Indifferenz:

Ein gleichgültiges bzw. unentschiedenes Verhalten gegenüber dem Front National läßt sich allenfalls in der Frühphase des Aufstieges der Le Pen-Partei feststellen. Spätestens seit den FN-Erfolgen bei den Europawahlen 1984 müssen sich die gemäßigt rechten Politiker über ihre Haltung klar werden.

2.) Verbales Überbieten:

Immer wieder haben Politiker der bürgerlichen Parteien versucht, durch verbales Überbieten des Front National Wähler zu gewinnen bzw. zurückzugewinnen. Mit Blick auf die Einwanderung warnte der damalige RPR-Präsident Chirac, daß die Menschen jenseits des Mittelmeeres aufgrund der Bevölkerungsexplosion in dreißig Jahren nicht mehr gehindert werden könnten, nach Norden zu wandern, und beklagte sich im Regionalwahlkampf 1991 über die durch Zuwanderer verursachten störenden "Gerüche".

3.) Stärkung des rechten Flügels:

Von Teilen der UDF und des RPR, so u. a. dem ehemaligen Innenminister Pasqua, wurden Anstrengungen etwa des kleinen national-konservativen CNI ("Nationales Zentrum der Unabhängigen") unterstützt, sich als dritte gleichgewichtige Komponente der bürgerlichen Parteien zu etablieren. Erklärtes Ziel war die Schwächung des Front National. Neben Wählern sollten auch Mandatsträger von Le Pens Partei zurückgewonnen und ins bürgerliche Lager integriert werden. Einige Zeit waren diese Bemühungen erfolgreich. Der frühere Regionalratspräsident von Provence-Alpes-Côte d’Azur, Gaudin, konnte ab 1989 auf die Unterstützung des FN verzichten und sich auf eine Mehrheit von UDF/RPR-Abgeordneten und zum CNI übergewechselten FN-Regionalratsmitgliedern stützen.

An die Stelle des bedeutungslos gewordenen CNI ist inzwischen das Mouvement pour la France (MPF; "Bewegung für Frankreich") von Philippe de Villiers getreten, das zum Teil ähnliche Themenschwerpunkte wie der FN setzt (Ablehnung von Maastricht, Korruptions-Bekämpfung, Innere Sicherheit).

4.) Aufbau eines "Front Républicain":

Die Konzeption eines "Front Républicain" zur Abwehr des Front National, das heißt ein Bündnis aller Parteien von rechts und links – einschließlich der Kommunisten – schon bei der Kandidatenwahl, tauchte bereits sehr früh nach den ersten Wahlerfolgen des FN auf. Sie wurde aber bis Anfang der 90er Jahre ausschließlich von Vertretern der Linken propagiert. Der RPR ließ seinen Mitgliedern zumindest auf lokaler Ebene einen relativ großen Entscheidungsspielraum. Lediglich offene Bündnisse mit dem FN und Aufrufe zu einem Front Républicain wurden untersagt.

Die linken und rechten Parteien setzten den Front Républicain in seiner Grundidee niemals um. Man darf dieses Modell nicht mit der bisweilen praktizierten Zusammenarbeit einzelner bürgerlicher Politiker oder Komponenten der gemäßigten Rechten (etwa der Zentristen) mit der Linken verwechseln. Auch der "désistement républicain" (siehe unten) wird manchmal als "Front Républicain" bezeichnet, ist in Wirklichkeit jedoch nur eine indirekte Wahlhilfe für den linken Bewerber. Dennoch wird die Idee des Front Républicain auch heute noch mit schöner Regelmäßigkeit in die Debatte geworfen, meist jedoch von Journalisten.

5.) "Republikanischer Verzicht":

Auch Charles Millon, eben erst mit den Stimmen des FN zum Präsidenten des Regionalrates Rhône-Alpes gewählt, stand als Vorsitzender der UDF-Fraktion in der Nationalversammlung im Jahre 1990 einem Front Républicain ablehnend gegenüber. Er glaubte, dieses Gegenrezept würde vor allem dem Front National nützen. Millon trat für einen "désistement républicain" ("republikanischen Verzicht") des schlechter plazierten linken oder gemäßigt rechten Kandidaten in der Stichwahl ein.

Die unterschiedlichsten Formen des in Frankreich angewendeten Mehrheitswahlrechtes in zwei Wahlgängen erlauben ein Aufrechterhalten der Bewerbung, wenn im ersten Wahlgang die Sperrklausel von 10 oder 12,5 Prozent der abgegebenen Stimmen überwunden wird. Bei drei, vier oder mehr Rivalen ist dann der Kandidat oder die Liste gewählt, die im zweiten Durchgang die relative Stimmenmehrheit erhält.

Das Konzept des republikanischen Verzichtes wurde mehrfach und mit zunehmendem Stimmengewinn des Front National häufiger umgesetzt, beispielsweise bei den Kommunalwahlen 1995 in Dreux, Mülhausen, Vitrolles – dort auch 1997 – und in Noyon. Gerade am Beispiel der Kommunalwahlen wird allerdings die Schwäche dieser Strategie deutlich. Durch die Preisgabe einer weiteren Kandidatur für die Stichwahl erhält die verzichtende Partei keine Mandate. Sollte der FN die Wahl durch den Rückzieher der Bürgerlichen gegen den linken Gegner verlieren, ist er dennoch für sechs Jahre die einzig wahrnehmbare Oppositionskraft und kann sich als solche verstärkt profilieren.

6.) Vereinigung von UDF und RPR:

Anfang der 90er Jahre fanden sich mehrere Politiker sowohl aus der UDF (u. a. François Léotard) als auch aus dem RPR (Noir, Barzach, Carignon) unter der Bezeichnung "Force Unie" zusammen und strebten die Gründung einer einheitlichen Partei der gemäßigten Rechten an. Léotard und seine Mitstreiter gingen davon aus, daß die Parteienvielfalt der traditionellen Rechten (die UDF ist, wie man dieser Tage sehr deutlich sehen kann, ein ziemlich heterogenes Parteienbündnis) nur den durch ihre Geschlossenheit stark gewordenen Sozialisten und dem Front National nützt. Die Force Unie zerfiel jedoch schon innerhalb eines Jahres.

In eine ähnliche Richtung strebten diejenigen, die eine Konföderation von RPR und UDF forderten. Jede einzelne Komponente der geplanten Parteiformation sollte ihre Eigenständigkeit, ihr eigenes Erkennungszeichen und ihren Parteisitz behalten. Alle Entscheidungen wollte man jedoch durch ein gemeinsames "bureau politique" in Einklang bringen, um so der Öffentlichkeit ein Bild der Geschlossenheit zu vermitteln.

Das wichtigste jedoch war eine Übereinkunft bei den Kandidaturen. Eine für beide Parteien verlustbringende Rivalität galt es zu vermeiden. Bei den Parlamentswahlen 1993 wurde die Zahl der sogenannten "offiziellen Vorwahlen", das heißt die der Kampfkandidaturen eines Kandidaten der UDF gegen einen der RPR, im ersten Wahlgang auf 66 begrenzt. Dadurch konnten die Chancen des FN, in vielen Stichwahlen präsent zu sein, erheblich eingeschränkt werden. Die bürgerlichen Parteien erhielten über 80 Prozent der Mandate.

Trotz dieses Erfolges wurde, wohl auch wegen der Unmöglichkeit, eine derart große Parlamentsfraktion effizient zu führen, von einer Fraktionsgemeinschaft Abstand genommen. Das Projekt einer Konföderation war vorerst vom Tisch.

Zwar konnten RPR und UDF bei den Parlamentswahlen 1997 weitgehende Übereinkünfte erzielen und Gegenkandidaturen von Bewerbern aus ihren Reihen im ersten Wahlgang auf ein Minimum begrenzen, jedoch führte die erhöhte Anzahl von Bewerbungen bürgerlicher Klein-und Kleinstparteien zu spürbaren Stimmenverlusten.

Nach den jüngsten Regionalwahlen vom März erhoben sich im bürgerlichen Lager erneut Stimmen, beide Parteien zusammenzuführen. Sowohl die inhaltliche Spannbreite als auch die persönlichen Ambitionen führender Parteifunktionäre dürften eine Vereinigung aber auch zukünftig verhindern.

7.) Lavieren zwischen Bündnis und Ausgrenzung:

Betrachtet man die aktuelle Aufregung um die Wahl einiger bürgerlich-rechter Politiker mit Hilfe des Front National zu Regionalratspräsidenten, könnte man glauben, daß es niemals zuvor Bündnisse oder Wahlabsprachen mit dem FN gegeben hätte. Dies ist allerdings keineswegs der Fall. Auch bei den vorherigen Regionalwahlen von 1986 und 1992 arbeiteten RPR/UDF und Front National in einzelnen Regionen mehr oder weniger offen zusammen.

Untersucht man die Mehrheitsbildungen in den französischen Regionen, so lassen sich in einem groben Raster vier unterschiedliche Fälle ausmachen:

  • Eine Unterstützung durch den FN ist nicht nötig, da es eine absolute linke oder rechtsbürgerliche Mehrheit gibt.
  • Hilfe seitens des FN ist unerwünscht oder wird von diesem verweigert.
  • Eine partielle Unterstützung des FN zur Wahl des Regionalratspräsidenten wird gewünscht und auch erhalten. Dies ist 1988 in der Region Champagne-Ardennes der Fall gewesen.
  • Der FN wird in ein Bündnis mit den Bürgerlichen eingebunden. Offizielle Bündnisse gab es in den Regionen Provence-Alpes-Côte d’Azur sowie Languedoc-Roussillon. In der Haute-Normandie und der Picardie bestanden geheime Absprachen, die zu einer Beteiligung des FN an der Exekutive führten.

1998 hält die gemäßigte Rechte (RPR, UDF, Divers droites) nur noch in der Region Korsika eine absolute Mehrheit. In zwei Regionen (Nord-Pas-de-Calais und Limousin) verfügt die Linke alleine bzw. zusammen mit den ökologischen Parteien oder Gruppierungen der extremen Linken über die absolute Majorität der Mandate.

In den Regionen Picardie, Haute-Normandie, Île-de-France, Centre Bourgogne, Franche-Comté, Midi-Pyrénées, Aquitaine, Languedoc-Roussillon und Provence-Alpes-Côte d’Azur ist die "pluralistische Linke" stärker als die bürgerliche Rechte. In Poitou-Charente und Rhône-Alpes liegen die beiden Lager gleichauf. – Insgesamt hätten RPR, UDF und rechte Kleingruppen zusammen mit dem Front National in 20 von 22 Regionen rein rechnerisch eine absolute Mehrheit.

Zwischen 1986 und 1997 hat sich das Verhalten der gemäßigten Rechten gegenüber dem Front National in den Regionalräten sehr verändert. Obwohl die rechtspopulistische Partei bei den Regionalratswahlen 1992 in fast allen Regionen stärker geworden ist und in manchen sogar zur zweiten Kraft avancierte, ist ihr Einfluß danach faktisch zurückgegangen. Dies vor allem, weil der FN infolge der bis auf wenige Ausnahmen durchgehaltenen RPR/UDF-Verweigerungshaltung bei Sachentscheidungen nirgendwo mehr als Partner einer Verwaltungsmehrheit fungieren konnte.

Dennoch ist es den etablierten rechtsbürgerlichen Kräften nicht gelungen, die Partei Le Pens entscheidend zu schwächen. Im Gegenteil: Die Ausgrenzung von der Regierungsverantwortung, sei es auch nur regional, scheint dem FN eher zu nützen, da er sich als die Opposition darstellen kann, die in keine Affären verstrickt ist oder unpopuläre Entscheidungen zu verantworten hat.

Das Ansinnen der Parteileitungen von UDF und RPR, den rechten Nebenbuhler dauerhaft von der politischen Macht auszuschließen, wird langfristig schon deshalb scheitern, weil diese Ausgrenzung einer in Teilen programmatisch verwandten Partei, die in einigen Regionen die 30-Prozent-Marke erreicht hat, von der dortigen RPR- bzw. UDF-Basis einfach nicht mehr umgesetzt wird. Etwaige Änderungen des Wahlrechts könnten in diesen Regionen den politischen Selbstmord der bürgerlichen Parte


 
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