© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/98 24. April 1998

 
 
Zu: "Zweite Steinzeit" von Horst Mahler und "Nachruf auf eine Revolte. Das Erbe von 1968"
von Werner Olles, JF 17/98

Enttäuschung und Protest

So sehr ich Ihre Zeitung zu schätzen weiß und Ihre Bemühungen seit längerem unterstütze, so sehr melde ich diesmal meine Enttäuschung, ja meinen Protest an. Dieser Artikel aus der Feder von Horst Mahler, er ist mir in seiner pauschalen Verurteilung wie im Grad seiner Gehässigkeit unerträglich.

Ewald Bauer, Nürnberg

 

Die Wurzeln der 68er sind faul

Mahler hat zwar versucht, die Beweggründe der 68er zu erklären, doch eine Rechtfertigung seiner ganz persönlichen Handlungsweise stellt dies in meinen Augen nicht dar. Damit kann er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Unrecht wird nicht zu Recht, indem von eigenem Mißverhalten mit dem Finger auf noch viel größere Schandtaten gedeutet wird.

Die Wurzeln, die die 68er unserer Demokratie gegeben haben wollen, sind faul. Das liegt nicht am Volk oder der Erlebnisgeneration, sondern daran, daß die Beweggründe und Absichten dieser "Revoluzzer" oberfaul waren.

Anneliese Thomas, Würzburg

 

Foltermaschine der 68er erlebt

Der im noch so vertrauten Ideologendeutsch abgefaßte Beitrag von Horst Mahler, der den Leser glauben machen will, die 68er "haben eine Leistung vorzuweisen, auf die wir stolz sein können", erinnert mich an die Französische Revolution, als der revolutionäre Pöbel Tausende unter der Guillotine für seine Ideale "opferte" – und zugleich "liberté, égalité, fraternité" brüllte. Die "geschichtliche Leistung" ist dem durchaus vergleichbar: Als einer, der am eigenen Leib die Foltermaschine der 68er erlebt und erlitten hat, gebe ich zu Protokoll: Allein in meiner Fakultät wurden durch physische Gewalt und Psychoterror der 68er drei Kollegen "zur Strecke gebracht" – darunter ein Philosoph von hohen Graden, der – was Mahler für die 68er als Zielsetzung angibt – "Bewegung im Denken" bewirkte. Mahler hat recht: "Die Wahrheit wird erst als Wissen zu der Macht, die das Grauen überwindet."

Prof. Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Tübingen

 

Ohne Marx kein Hitler

Die Geschichte hat den Beweis erbracht, daß der Marxismus eine Utopie war und daß die Verwirklichung ein Irrtum war, der Massenmord und Totschlag in nie gekanntem Ausmaß verursachte. Aus den Thesen mußte zwangsläufig nach dem Hegelschen Gesetz der dialektischen Entwicklung der Widerspruch in Form des Nationalsozialismus entstehen. Deshalb: Ohne Marx kein Hitler!

Das Verhalten der 68er Revoltierer und ihre damalige Hinwendung zum Marxismus kann man nur mit einem krassen Mangel an historischem und ideologischem Wissen erklären.

Wilhelm Volkmann, Wetzlar

 

Am Rand der Leistungsfähigkeit

Es ist eine wichtige Aufgabe, das Versagen der "68er" in der Gestaltung des Gemeinwesens und die ernsten Konsequenzen für unser Volk deutlich herauszustellen. Die von Konrad Lorenz bereits vor 25 Jahren konstatierten Todsünden, die Indoktrinierbarkeit, der Verlust der Leistungsbereitschaft und das Abreißen der Tradition, haben in Deutschland kulturelle Bedeutung erlangt. Das heutige Desaster ist das Ergebnis einer fast 30jährigen sozialdemokratischen Politik.

Die dabei maßgebende Lebensphilosophie des egoistischen Materialismus der "68er" hat die Ressourcen von Schaffensperioden vorangegangener Generationen aufgebraucht und unsere Gesellschaft an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit gebracht. Welch ein Trugschluß: Man brauche nur genug Geld in die Bildung zu stecken und schon habe man eine Generation hochqualifizierter Spezialisten. Man brauche nur genug Kindergartenplätze und ein höheres Kindergeld und schon steige die Geburtenrate. Man brauche nur genügend Unterkünfte und Sozialleistungen und schon funktioniere die multikulturelle Gesellschaft. Nichts von dem hat sich bewahrheitet, weil die geistig-moralischen, ethischen und kulturellen Grundlagen fehlen.

Besonders die Zerstörung positiver Struktureigenschaften wie Familienbindung, Traditionspflege und Opferbereitschaft hat dabei fatale Folgen. Heute rächt sich das Ausbleiben der 1982 propagierten geistig-moralischen Wende. Nur von einer nationalen Opposition kann diese Wende heute glaubwürdig vertreten werden.

Roland Wuttke, Mering

 

Ihr Bestien der Intelligenz

Herr Mahler wähnt sich in einem geistigen Vakuum, einem Zustand absoluter Negativität. Warum so reaktionär, Herr Mahler? Alte in Sterbeanstalten zu entsorgen ist nicht inhuman, sondern die Lösung des Generationenkonfliktes. Habt Ihr nicht die geballte Macht Eurer Dialektik und des ökonomischen Prinzips angewandt, um dies herbeizuführen, um die Alten von den Familien zu trennen, damit sie nicht die falschen Werte tradieren? Die Entsorgung eines nicht geringen Teils unseres Nachwuchses via Saugpumpen und Abfalleimer ist nicht länger Mord, man nennt es auch nicht Selbstbestimmung, es ist Selbstbestimmung.

Ihr Bestien der Intelligenz habt gesiegt. Ihr habt nicht die alten Werte durch Uminterpretierung zerschlagen, sondern Ihr habt sie uminterpretiert, Punkt. Ihr habt Bewußtsein produziert. Und das aus diesem Bewußtsein resultierende Fühlen und Denken konstituiert das gesellschaftliche Sein in Eurer gegenwärtigen BRD. Ihr sitzt also nicht in einer kulturellen und moralischen Trümmerlandschaft, vor den Kratern und Bombentrichtern Eurer Psychologie und Dialektik. Ihr sitzt bereits mitten in der schönen, neuen Welt, die Ihr Euch gebastelt habt.

Rudolf Schmid, Dachau

 

Jedem Absatz widersprechen

Erstaunlich, daß Horst Mahler einen Beitrag für die JF schreibt, und vielleicht noch erstaunlicher, daß die JF den Beitrag abdruckt. Ich bin so etwas noch selten begegnet, fast jedem Absatz möchte ich widersprechen: "Nach Auschwitz konnten wir keine Gedichte mehr schreiben" – der Ausspruch von Adorno, den Mahler hier variiert, ist Unsinn und war es immer, aber ein Unsinn, der in einer speziellen Situation geeignet war, unbegrenzt von Mund zu Mund zu gehen und rasch zur abgedroschenen Redensart zu werden, und das Talent Adornos bewährte sich gerade darin, daß er treffsicher ein Dictum, das diese Wirkung hatte, zu formulieren verstand.

"Die Töchter und Söhne jener deutschen Eltern, die … nebenbei das grauenhafteste Verbrechen gegen die Menschheit verübt hatten, das je geschehen ist, konnten kein normales Leben führen." Es gibt in der Geschichte viele "grauenhafteste Verbrechen, die je geschehen sind", und es gibt kein Maß, mit dem man bestimmen könnte, welches nun wirklich das allergrauenhafteste ist, weshalb der Superlativ eine bloße Gedankenlosigkeit darstellt, die man sich in einer solchen Situation besser nicht leisten sollte. Der springende Punkt ist jedoch dies: daß die allerwenigsten von denen, die in den Vollzug des Hitler-Unglücks involviert waren, die Weichen so gestellt hatten, daß dieses Unglück geschehen konnte und geschah.

"Für uns 68er war ‘die Gnade der späten Geburt’ die lebhaft gefühlte Verpflichtung, sich der Verantwortung zu stellen, die mit dieser Geschichte auf dem deutschen Volk lastet". Ich kann mich irren, aber ich hatte einen ganz anderen Eindruck: Daß die "68er" eine sträflich überhebliche Menschensorte waren, die nur entdeckt hatte, daß man das Hitler-Unglück instrumentalisieren kann, um die Generation der eigenen Eltern töricht herabzuwürdigen (nebenbei: mein Schicksal war es nicht, mich so behandeln lassen zu müssen, aber ich habe die Sache beobachtet).

Ich habe nicht den Eindruck, daß wir den "68ern" viele Erkenntnisse bezüglich der Ursachen des Hitler-Unglücks verdanken, im Gegenteil, diese Generation hat aus dieser bewegenden Sache einen schwarzen Mythos gemacht, der die Tragik verdeckt und einen umfassenden Verdrängungsprozeß bewirkt hat. Wir haben heute das Problem, die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt, wiederzuentdecken.

Doch muß man den 68ern zugute halten, daß es ihnen an guten Lehrern fehlte. Adorno und Horkheimer hätten solche Lehrer sein können und waren es nicht. Sie haben, ohne es zu beabsichtigen, einen bestimmten Teil einer jungen Generation auf einen falschen Weg gelockt, und als dies geschehen war, waren sie entsetzt, ohne das Unglück noch verhindern zu können.

Herrn Mahler jedoch Dank für seine Offenheit und seinen Mut.

Hans Hirzel, Wiesbaden

 

Zwangsläufige Normalität

Bevor die 68er "kein normales Leben" mehr führen konnten, schwebte auch anderen bereits ein völlig neues Leben vor, hatten auch sie die Nase voll vom Alten und den Alten. Nicht nur den "Blumenkindern", auch den Beatles ging es so, und so schockierten alle auf ihre Weise die Alten. Auf der intellektuellen Ebene gelang das bereits geraume Zeit früher den "Beatniks" – amerikanische Schriftsteller um A. Ginsberg – durch ihre radikale Ablehnung aller Formen und Werte der amerikanischen Gesellschaft.

Von diesen und vielen weiteren Tendenzen, die später die 68er mitprägten, ist bei Mahler jedoch nicht die Rede, erinnert sei nur an den Vietnam-Krieg mit seinen Auswirkungen auch für die BRD, und die breite westdeutsche Abrüstungs- und Ostermarschbewegung.

Die Lobhudeleien auf die vermeintlichen Eigenleistungen und das Verdonnern der elterlichen "Fehlleistungen" erscheinen heute noch so frisch wie vor 30 Jahren – ohne nennenswerten Verlust ihres infantilen Aromas: "Wir haben, als unser Volk zur Normalität übergehen wollte, als sei nichts gewesen, der Demokratie … Wurzeln gegeben."

Noch im Kindesalter der späteren 68er wurden von den gleichen Deutschen, die Mahler niedermacht, wieder die gleichen "Tugenden" eingefordert, die sie soeben erst zum "Gehorsam im Völkermord tauglich gemacht hatten". Normalität? Selbst mit "bester Ausstattung im Kopf" hätte kein 68er sich eine brauchbare Vorstellung davon machen können, was dies in den Seelen ihrer Eltern individuell auslöste:

Obgleich damals – im Gegensatz zu heute – gerechterweise nur die wenigsten ehemaligen Soldaten in die Nähe von Völkermord und Kriegsverbrechen gerückt wurden, so galten die meisten aber doch als etwas hirnlose Trottel, die einfach "mitmarschierten", nach dem Motto "Führer befiehl …" Es gab zwar Literatur über den Krieg, aber so gut wie keine, die das persönliche Verarbeiten schwerster Erlebnisse erleichtert hätte – wenn man von den massenhaft erschienenen Groschenheften absieht. Millionen Deutsche wurden so davon abgehalten, mit den schweren Schäden und Verlusten fertig zu werden, die der Krieg ja auch ihnen zugefügt hatte.

So blieb diesen armen Teufeln quasi nichts anderes, als sich in die Arbeit zu stürzen, unversehens ein "Wirtschaftswunder" hervorzubringen und von einem VW zu träumen, ohne sich je wirklich zu "besinnen" – wie das bis heute in allen Völkern, die je an Kriegen beteiligt waren, oft mit Pomp, üblich ist.

Vor der "Kulturrevolution" gab es keinerlei "Fremdenfeindlichkeit"; mal angenommen, es stimmte, daß "viele in unserer Mitte" Nichtdeutsche "als hassenswert" ansehen und beim Anblick "andersfarbiger Mordgelüste erwachen". Woran könnte das dann wohl liegen? Die Generation der "Richter und Henker" ist so gut wie ausgestorben, die 68er sitzen hingegen längst in der Verantwortung.

Willi Mehrfeld, Saarbrücken

 

Notwendige Liberalisierung

Als bleibendes Verdienst, das sahen auch viele Ältere so, können sich die 68er anrechnen, zu der damals längst überfälligen Liberalisierung der klerikal-reaktionär-autoritär erstarrten BRD-Gesellschaft beigetragen zu haben. Die im Gefolge dieser Liberalisierung eingetretenen Fehler, Übertreibungen, Pervertierungen sind zu bedauern und zu bekämpfen, damit kann aber die damalige Notwendigkeit einer Liberalisierung nicht nachträglich für falsch erklärt werden. Die Freiheit wird nicht dadurch falsch, daß sie – wie fast alles – auch mißbraucht werden kann!

Insbesondere ist eine heute – auch in national-reaktionären Kreisen – anzutreffende einseitige Schuldzuweisung an "die 68er" als Alleinverantwortliche für die heutigen politischen Mißstände nicht richtig, denn der Anteil der Nicht-68er-Politiker an der heutigen Misere ist ganz erheblich. Kohl ist schließlich kein 68er…

Horst Jürgen Schäfer, Frankfurt am Main

 

Man muß "taz" und JF lesen

Früher war alles ganz einfach: Da gab es die guten Linken und die bösen Rechten; aber heute stimmen die alten Rollenklischees nicht mehr so ganz. Horst Mahler und zahlreiche andere Ex-Linke schreiben für die junge freiheit, während Peter Gauweiler und bald vermutlich weitere (Ex-?)Rechte mit Gastbeiträgen in der taz auftauchen.

68er und 89er, die politisch umfassend informiert sein wollen, werden langfristig wohl nicht daran vorbeikommen, beide Blätter regelmäßig zu lesen.

Michael Krämer, Miesbach


 
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