© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Deutschland ist wettbewerbsfähig
von Volker Biek

Globale Wettbewerbsprobleme und deflationäre Weltmärkte sind nichts Neues. Schon das deutsche Kaiserreich hatte nach dem Gründerboom in den 1870er und 80er Jahren ähnliche Probleme. Aber man antwortete darauf nicht wie heute mit Standardantworten. Anstatt Dampfmaschinen noch kostengünstiger als Großbritannien oder die USA zu produzieren, reagierte man mit dem innovativen, vorsorgend aufgebauten deutschen Kopfkapital, mit unseren Wissenschaftstechnologien: organische Chemie, Elektrotechnik, Verbrennungsmotorenbau, Feinmechanik und Optik. Welle auf Welle kassierte Deutschland mit diesen Werkzeugen unsere Wertschöpfungen ein, so daß bald viele meinten, dahinter könne nur der preußische Generalstab stecken. Damals verstand man sich noch auf etwas, was man heute verlernt hat: absolute globale Leistungsüberlegenheiten aufzubauen, über die nur Deutschland verfügt, bei gleichzeitiger Beherrschung von Produkt- und Produktionstechnologien, wie es damals der junge Mannesmann konnte und was uns heute von Intel und Kyocera laufend vorgemacht wird – mit den 80-Prozent-Weltmarktanteilen, die auch für deutsche Firmen bis 1914 typisch
waren.

Der Harvard-Business Coach Michael E. Porter, der bereits 1990 seine Studie "The Competetive Advantage of Nations" veröffentlicht hat (vgl. Michael Wiesberg, JF 45/97), gibt in der Tat Hinweise, wie man konkret die Herausforderung der Globalisierung mit dem Aufbau nationaler Wettbewerbsvorteile beantworten kann. Bemerkenswert ist, daß Porter nicht wieder neoliberale, losgelöste Kostenökonomie predigt, sondern die richtige Spur aufnimmt, die der "empirisch-realistischen Theorie" von Wirtschaftswissenschaftlern wie Spiethoff und Schumpeter, der kontinentalen Nationalökonomie Frankreichs und Deutschlands, für die Wirtschaftswissenschaft noch Geistes- und Kulturwissenschaft war. Was Porter in seinem "Economics"-Umfeld aber fehlt, ist der entsprechende geistige Hintergrund, die Theorie und die Faktensammlung unserer Nationalökonomie. Diese große Geistestradition wurde nach dem Krieg durch eine primitive, quasi naturwissenschaftliche Adaption angelsächsischer Wirtschaftstheorie abgelöst. Die heutige Studentengeneration kennt nur noch "Kieler Ökonomie" und ihren Erich Schneider als Lehrbuch.

Die deutschen und europäischen Wettbewerbsprobleme sind auch die Wirkungsfolge eines geistigen Abstiegs unserer Wirtschaftswissenschaften; hier wird nicht mehr die einzigartige, enorme, auch anstrengende Breite deutscher Ökonomie gelehrt, sondern "höhere Schmalspur". Auch die große Leistungstradition deutscher Betriebswirtschaftslehre mit Weltgeltung von Eugen Schmalenbach und seinen Schülern ist vergessen. Statt dessen wird jeder neuen US-Business Mode naiv nachgelaufen, als ob mit Anglizismen die Leistungsstrukturen aufgebaut werden könnten, die wir einmal hatten.

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber fragte zu Recht, warum wir das nicht mehr können, was noch unsere Väter und Vorväter konnten. Die Antwort: Damals gab es noch die überlegenen nationalen, volkswirtschaftlichen Leistungsstrukturen, die stützend und katalysierend unserem Volk globale Höchstleistungen möglich machten. Diese sind nach zwanzig Jahren Verantwortungslosigkeit und Verwahrlosung unserer "produktiven Kräfte" (Friedrich List) und ihrer "inneren Leistungsquellen" (Adam Müller) nicht mehr. Es ist eingetreten, wovor zum Beispiel Hermann Josef Abs, Jürgen Ponto und Alfred Herrhausen, warnten, nämlich vor dem Fehlen und der Selbstaufgabe kongruenter Leistungsgenerationen im Drei-Generationen Leistungsvertrag. Eine Industrienation, die sich ohne Mitgift vom Armenhaus Europas, das es noch 1840 war, zur reichsten Nation Europas im Jahre 1913 hochkämpfte, die kann nicht für das 21. Jahrhundert einfach nolens volens Händlermentalitäten entwickeln.

Wir sind und bleiben, das ist unsere Leistungstradition, Industrienation, die endlich wieder begreifen und lernen muß, mit einer Leistungsrevolution an Haupt und Gliedern aus Häckerling Gold zu machen. Einen anderen Ausweg aus dem selbstgemachten Sumpf gibt es nicht.

Für unsere Nationalökonomie in der deutschen Leistungstradition sind globale Wettbewerbsvorteile – und damit volkswirtschaftliche Spitzenleistungen, Beschäftigung und Höchstwertschöpfungen für alle – immer das Leistungsprodukt von Menschen, von ziehendem Geist, Werten und Kultur. Ohne eine humane, soziale Hochzivilisation gibt es auch keine Höchstleistungen der Wissenschaft und ihre Umsetzungen in Beschäftigung und Wohlstand. Die große "Selbsttäuschung" (John M. Keynes) ist heute, daß man glaubt, dies sei einfach eine platonistisch-legalistische Neanderthaler-Sollfunktion von Währung, Geld und Kredit. Das aber ist Primitivökonomie der liberalen Banking-School, der Economics des 19. Jahrhunderts. Wir sind also nicht einmal auf dem Stand des 20. Jahrhunderts. Und damit wollen wir das 21. Jahrhundert bestehen? Um das 21. Jahrhundert zu bestehen, brauchen wir nur wieder zu unseren eigentlichen Leistungswurzeln zurückzukehren: reale, überlegene und wertschöpfende Leistungsstrukturen auf allen Ebenen. Das heißt, wir müssen zurück zur strukturell-institutionellen Lehre der kontinentalen Nationalökonomie eines J. B. Say, Friedrich List, eines Max Weber, A. Fanfani, der Cambridge-Schule eines A. Marshall, John M. Keynes und der großen Dame, Joan Robinson.

Ludwig Erhard, Franz-Josef Strauß und Karl Schiller könnten uns heute wieder Nachhilfeunterricht erteilen, man muß sie nur lesen. Da gibt es nicht nur die Ökonomie des Papageien, die da heißt, man gebrauche einfach die Worte Angebot, Nachfrage, Geld und Zins und schon sei man ein hochgelehrter Ökonom, wie dies der Nobelpreisträger Paul Samuelson allen ins Stammbuch geschrieben hat. Die Katechetensprüche eines Westerwelle oder Rexrodt: "Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt" sind unangebracht.

Sir Josuah Child, Generaldirektor der East Indian Company und weiland der reichste Mann Englands, hatte eine einfache Quantitäts- und Zinstheorie des Geldes. Und diese ist noch heute der geistige Stand der meisten Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion: Wenn genügend Geld in den Kassen ist und der Zins niedrig, dann wird auch automatisch real und national investiert. Wenn nicht, dann kommen die allgemein bekannten Unternehmerbeschimpfungen von Kohl, Blüm, Waigel und Schäuble. Franz Josef Strauß nannte dies schon vor 20 Jahren "childish" – naiv, kindisch –, dabei einen Ausdruck von Keynes verwendend.

Daher auch frei nach Keynes und Strauß: Wenn man gar nichts mehr erwartet, dann kommt auch nichts mehr – nur noch Casino-Geldkapital und die Reise nach Jerusalem einer absteigenden Wirtschaft, in der es immer weniger reale Stühle für das Investmentkapital gibt. Und man erwartet in diesem Land nur dann etwas, investiert real nur dann etwas, verwandelt nur dann Geldkapital in Realkapital, wenn hier endlich wieder feste Stühle als Leistungsstrukturen der Zukunftsfähigkeit gebaut und aufgestellt werden.

Statt dessen beobachtet man aber nur Dummheiten, Führungslosigkeit, Mangel an Verantwortungsbewußtsein und Verwahrlosungen am laufenden Band. Der Grund dafür ist im wesentlichen die fehlende Leistungs- und Verantwortungsqualität der Bonner "Classe politique". Daher hat das Weltgläubigerkapital Deutschland schon längst abgeschrieben, was unseren Niedergang in die Zweitklassigkeit beschleunigt.

Auch der Euro ist wieder eine typisch kontinentale Bürokratenlösung, die uns Adam Smith bei im Niedergang begriffenen, bankrotten Ancien Régimes schon vorausgesagt hätte, die aber aus ihm die angelsächsische Banken- und Finanzwelt schon längst abgeleitet hat. Wie damals John Law und sein Papiergeld, so verordnen sich heute die kontinentalen Machtpolitiker und ihre Eurokraten ihr fehlendes Geld einfach selbst, wenn das Weltgläubigerkapital zunehmend vorsichtiger wird und Bedingungen stellt. Besonders die Schatzhöhlenwächter der Investment-Banken für ihre Herren, die Mega-Pensionsfonds, die nicht in zehn oder zwanzig Jahren auf entwertetem, bunten Papier sitzen bleiben wollen.

Statt wie damals, als aus Papiergeld Mätressen und Luxusschlösser finanziert werden mußten, so werden heute – Adam Smith weitergedacht – die Machtpfründe und Subventionsmätressen der Machtpolitiker und ihrer Europa-AG finanziert, die aber bei Prüfung keine bankmäßigen Sicherheiten mit Zukunftsfähigkeiten mehr darstellen.

Im "Wirtschaftskrieg der Köpfe", so der Politische Ökonom Franz Josef Strauß, besteht nicht der, der im "Konsensmanagement" von Roland Berger und der Deutschen Bank das größere Sitzfleisch hat, sondern nur der, der Köpfe zu globalen Spitzenleistungen motivieren und mobilisieren kann. Und unsere Probleme werden so groß sein, daß sie allein durch Konsensgerede nicht mehr gelöst werden können.

 

Mens agitat molem. Das ist der Wahlspruch der Führungsakademie der Bundeswehr, der bei ihrer Gründung durch den damaligen Verteidigungsminister Strauß ausgewählt wurde: Ziehen-
der Geist und klare Führung – das bewegt die volkswirtschaftlichen Massen, aber nicht Geld, Zins und Kredit. Und das ist wieder deutsche Nationalökonomie. Das sind die "nackten Wahrheiten" des Horaz, die alle treffen, selbst wenn sie sich davor eingraben und verstecken.


 
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