© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Nachlese zum DVU-Erfolg: Doc Frey und sein Kompagnon Helmut Wolf machen angst
"Ich finde das klasse!"
von Manuel Ochsenreiter

Sonntag, 26. April 1998. Wahlen im Bundesland Sachsen-Anhalt, ein Land, dem gemeinen Bundesbürger (West) fast so unbekannt wie Mecklenburg-Vorpommern oder die äußere Mongolei. Wir wissen, es ist das Homeland von Genscher, den wir seit der Wiedervereinigung alle ziemlich klasse finden. In Halle, da macht er richtig Punkte für seine gelben Jungs, so heißt es. Sachsen-Anhalt ist auch das Land, wo so wohlklingende Örtchen wie Bitterfeld liegen und noch zu seligen SED-Zeiten Plattenbauten für die nächsten tausend Jahre entstanden. Dieses nette Stück Deutschland rückte plötzlich in den Mittelpunkt medialer Berichterstattung.

Aber wieso? Wahlen haben stattgefunden. Ein Ereignis, das normalerweise keinen Deutschen mehr vom Hocker reißt. Wählen geht man ohnehin nur bei schlechtem Wetter; bei Sonne fährt man in den nächsten Vergnügungspark oder einfach zum Angeln. Am Abend folgt das Wochen vorher bekannte Ergebnis.

Doch diesmal war es anders. "Wir wollen keine Nazis im Landtag!" ruft ein Student in die Kamera. Er protestiert gegen das unvorhergesehen gute Abschneiden der Deutschen Volksunion. "Ich habe Angst", sagt eine 16jährige. Vorauseilender Gehorsam in der Industrie: Ein Unternehmenschef einer deutsch-amerikanischen Firma äußert Betroffenheit: "Die Rechtsextremisten", so der Mann hinterm Schreibtisch, würden den amerikanischen Investoren wohl angst machen. Man müsse sich erklären, wie das passiert sei. Kein Problem für die US-Investoren ist dagegen das gute Abschneiden der PDS. Weil: Die sind doch okay und auch echt nicht gefährlich für die Wirtschaft.

Einen Sender weiter boxt sich Gerhard Frey durch einen Pulk von Journalisten. Wir erfahren einiges über ihn. Seine Villa sei eine "Festung", und er sei Busenfreund des trinkfreudigen "Russen-Hitlers" Schirinowsky. Doc Freys Mann vor Ort, Helmut Wolf, wirkt nervös. Unsicher kraftmeiert er in die Kameras – Endlich mal im Fernsehen.

Weitergezappt.

Wir erblicken aus einem Bitterfelder Plattenbau eine Mutter mit ihren beiden wahlberechtigten Söhnen. "Natürlich" hätten sie DVU gewählt. Die Journalisten fragen nach, wieso. Um Kohl "in seinen fetten Arsch zu treten".

Natürlich schlägt auch die Stunde der Experten. Michel Friedmann darf auch mal wieder ins Fernsehen. Der von Kohl aus dem CDU-Vorstand gemobbte Geißler-Enkel doziert in gewohnter Rhetorikkurslehrer-Manier. "Beschämend, beängstigend…", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Keine Frage, das Vokabular sitzt. Auch die Warnung, sich nicht auf "rechte Themen" einlassen zu dürfen, darf nicht fehlen.

Ein Rechtsruck wird auch in Berlin befürchtet. Junge Leute aus der Hauptstadt und dem Umland nehmen in der B.Z. zum Wahlergebnis Stellung: "Ich finde das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt klasse. Ich habe bei der letzten Wahl Reps gewählt, und dazu stehe ich auch. Die Rechten sind die einzigen, die was ändern wollen", meint dort Andreas Balzer, 25jähriger Wirt aus dem Bezirk Hohenschönhausen.

"Nur die DVU, vielleicht auch die PDS, könnten was ändern", äußert eine Arbeitslose aus Eberswalde. Von insgesamt zehn Befragten finden fünf das Ergebnis gut. Nur eine Lehrerin aus Lichtenberg hat der "DVU-Sieg" "tief getroffen". "Sachsen-Anhalt schockt Europa", heißt es auf Seite zwei der Bild-Zeitung. Dort erfährt der Leser von Professor Rolf Reißig, daß es für viele Jugendliche "schick" sei, rechts zu sein. Darüber ein Bild von Parteichef Frey, wie er seinen Spitzenkandidaten Wolf umarmt. Frey freut sich und lächelt vergnügt, während Wolf versucht, gefährlich zu schauen.

Die Sachsen-Anhaltiner Wahl läßt endlich mal auf spannende Bundestags-Wahlen hoffen. Wer weiß, vielleicht wird Wählen bald doch unterhaltsamer als Angeln oder Achterbahnfahren.


 
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