© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Die Union will´s wissen
von Hans-Georg Münster>

Mitten im Strom soll man bekanntlich die Pferde nicht wechseln. Von dieser alten Volksweisheit haben sich Funktionäre und Mandatsträger der Union leiten lassen und trotz des Desasters von Sachsen-Anhalt den Kanzler der Einheit nicht zur Schlachtbank geführt. Natürlich sind Abgeordnete und Funktionäre nervös. Aber nachdem Kronprinz Schäuble das Haupt gesenkt und sich untergeordnet hat, brachen alle Verschwörungen zusammen.

Kohl will es noch einmal wissen. Stolz verkündet das alte Schlachtroß, das Treffen Mitte Mai in Bremen werde zu "einem Parteitag des Aufbruchs der Union". Vielleicht hat er sogar recht.

Der Kanzler hat mehrere Qualitäten, die ihn von den Geißlers und Süssmuths unterscheiden. Sonst wäre längst Süssmuth Kanzlerin und Kohl keine 16 Jahre im Amt geblieben. Dazu gehört zunächst seine Fähigkeit zur guten Analyse. Und der Blick auf die Stimmentabellen von Sachsen-Anhalt sagt dem Kanzler, daß die CDU gerade rund 60.000 Stimmen verloren hat. Diesen Verlust glaubt Kohl wieder reinholen zu können. Kohls zweite Qualität heißt Geduld. Schlechte Umfragewerte und Wahlergebnisse konnten den Oggersheimer noch nie erschüttern. Das einzige, was für ihn wirklich zählt, ist das Ergebnis am Abend des 27. September.

Und selbst den Absturz von Sachsen-Anhalt kann die Union vielleicht noch in einen Gewinn ummünzen. Die Bonner SPD-Zentrale will keine von der PDS tolerierte Minderheitsregierung. Nur zu bequem könnte die Union mit dem Schreckgespenst des Kommunismus auf Stimmenjagd gehen. Die Große Koalition, die in Sachsen-Anhalt kommen könnte, neutralisiert hingegen die Stimmen im Bundesrat mit der Folge, daß die SPD ihre Einspruchsmehrheit verliert. Das psychologische Signal, daß die Blockade aufgebrochen werden konnte, ist wichtiger als alles andere.

Und längst hat die Union eine Strategie verabredet, wie Schröder sozusagen am innersten Befestigungsring doch noch gestoppt werden soll. Der Niedersachse soll im bayerischen Landtagswahlkampf gestellt werden. "An Bayern wird sich der Schröder-Effekt die Zähne ausbeißen", verspricht Ministerpräsident Stoiber.

Es bleibt das Phänomen am rechten Rand, was die Union bisher mit "Proteststimmen" abgetan hat. Trotzdem wird die Union reagieren und das "Zukunftsprogramm" der CDU "rechter" ausfallen. Kohl wird mehr innere Sicherheit versprechen, Maßnahmen gegen Asylmißbrauch ankündigen und zusichern, kriminelle Ausländer schneller abzuschieben. Und wenn der Wahlbürger dann ganz im Sinne Kohls gestimmt haben sollte, bleibt alles beim traditionellen "Weiter so". Dem Bürger ergeht es dann so wie dem Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat: Er kann gehen.


 
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