© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/98  01. Mai 1998

 
 
Sachsen-Anhalt: Die Parteienlandschaft ist in Bewegung geraten
Diesmal wurde protestiert
von Thorsten Thaler

Der Wahlerfolg der Deutschen Volksunion (DVU) bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Politiker aller Parteien, Leitartikler, Wahlforscher, Kirchenvertreter, Verfassungsschützer und "Extremismusexperten" – sie alle fühlten sich berufen, den Einzug der DVU in den Magdeburger Landtag zu kommentieren.

Mit 12, 9 Prozent der Stimmen hatte die Rechtsaußen-Partei des millionenschweren Münchner Immobilienbesitzers und Zeitungsverlegers (National-Zeitung, Deutsche Wochenzeitung) Gerhard Frey vergangenen Sonntag auf Anhieb 16 Mandate im Landtag von Sachsen-Anhalt gewonnen. Der Absturz der CDU auf 22 Prozent sowie das Scheitern der Grünen und der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde fiel da in der öffentlichen Wahrnehmung kaum mehr ins Gewicht. Die Wähler in Sachsen-Anhalt hätten "kräftig gegen das Gehäuse der politischen Weisheit getreten", wertete Wolf von Lojewski Dienstagabend im ZDF-"heute journal" das Wahlergebnis.

Besonders erschrocken zeigten sich die Kommentatoren, daß die DVU von rund 30 Prozent der unter 30jährigen gewählt wurde – und zur mit Abstand stärksten Partei in dieser Altersgruppe avancierte. Zugleich sorgte die DVU für eine hohe Wahlbeteiligung, indem sie rund 103.000 bisherige Nichtwähler für sich mobilisieren konnte (siehe Graphik "Wählerwanderung").

Einig sind sich die meisten Wahlbeobachter über die Motivation der DVU-Wähler. Sachsen-Anhalt weist mit rund 25 Prozent die höchste Arbeitslosenquote aller Bundesländer auf, Ausbildungsplätze für Jugendliche sind Mangelware. Vor diesem Hintergrund führte der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Hermann von Loewenich, das erfolgreiche Abschneiden der DVU auf ein "Orientierungsdefizit" bei jungen Erwachsenen zurück. Bei den Wählern der DVU handele es sich um reine Protestwähler, nicht um "ideologische Rechtswähler", erklärte auch der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse. Die DVU selbst hatte im Wahlkampf mit dem Slogan geworben "Diesmal Protest wählen".

In etablierten politischen Kreisen fielen die Reaktionen auf das erfolgreiche Abschneiden der DVU unterschiedlich aus. Führende CSU-Politiker forderten, sich im Wahlkampf stärker auf das rechte Spektrum zu konzentrieren. "Nationale Interessen" im Bereich der Inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik müßten in den Mittelpunkt rücken. Der frühere sächsische Inninminister Heinz Eggert (CDU) verlegte sich hingegen auf Wählerschelte. Für viele DVU-Wähler sei es eine "hohe intellektuelle Leistung" gewesen, sich auf dem Wahlzettel überhaupt zurechtzufinden, sagte er in einem Fernsehinterview.

Mit Stellungnahmen warteten auch die Republikaner und der Bund Freier Bürger auf. Die DVU werde in den nächsten Wochen und Monaten beweisen müssen, ob ihre Kandidaten den Anforderungen eines Landesparlamentes gewachsen seien, oder ob sie wie in Schleswig-Holstein scheitern werden, kommentierte der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im baden-württembergischen Landtag, Rolf Schlierer, das DVU-Wahlergebnis. Für das schlechte Abschneiden der Republikaner machte Schlierer, der seit 1994 auch Bundesvorsitzender seiner Partei ist, die Ablehnung der Listenverbindung mit der Deutschen Sozialen Union (DSU) und der Demokratischen Erneuerung (DE) durch den Landeswahlleiter verantwortlich. Schlierer bekräftigte den Kurs seiner Partei, sich bei der kommenden Bundestagswahl und der Landtagswahl zwei Wochen vorher in Bayern den Wählern als "einzige demokratische Alternative auf der Rechten" zu präsentieren.

Als "Motivationsschub" für seine Partei, bei der Landtagswahl am 27. September in den Schweriner Landtag einzuziehen, hat der Landesvorsitzende der Republikaner in Mecklenburg-Vorpommern, Bernd Bernhard, den Wahlerfolg der DVU gewertet. Gleichzeitig warnte er vor "den NS-Nostalgikern" von NPD und DVU, die bisher in jedem Parlament "wegen Unfähigkeit gescheitert" seien und aus Sicht der etablierten Parteien "die nützliche Idioten darstellen, um der Rechten insgesamt Unsolidität zu unterstellen".

Für den Bund Freier Bürger (BFB) erklärte deren Generalsekretär Heiner Kappel, immer mehr Bürger seien über die derzeitige Politik in Bund und Ländern "so zornig", daß sie ihre Stimme den etablierten Parteien nicht mehr geben wollten. "Dies war nicht die Wahl der DVU, sondern im Grunde genommen die Abwahl der Etablierten", sagte der frühere FDP-Politiker und hessische Landtagsabgeordnete. Knapp 13 Prozent der Bürger in Sachsen-Anhalt hätten sich nicht gescheut, eine Partei zu wählen, die allein "mit dumpfen Parolen und ohne jede überzeugende Persönlichkeit" bei der Landtagswahl angetreten sei, erklärte Kappel.

Unterdessen kündigte DVU-Chef Frey in München an, seine Partei wolle in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie auch zur Bundestagswahl antreten werde. Mit dem früheren Vorsitzenden der Republikaner, Franz Schönhuber, will sich Frey zudem über eine Kandidatur der DVU bei der bayerischen Landtagswahl beraten. Frey schloß nicht aus, daß Schönhuber, der die Verhältnisse in Bayern am besten kenne, auch für die DVU kandidieren könne.

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT erklärte der ehemalige Republikaner-Chef zu den Äußerungen von Frey: "Ich werde in keine Partei mehr eintreten und mich um keine Posten bemühen. Sollte ich für eine Gruppierung kandidieren, dann nur als Unabhängiger." Zugleich appellierte Schönhuber erneut an die DVU und die Republikaner, den "mörderischen Bruderkampf" einzustellen.


 
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