© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Kolumne
Wozu Feinde?
Von Hans-Helmuth Knütter

Was man sich sehr wünscht, das bekommt man auch, aber dann ist’s eine Nummer zu klein und paßt nicht, hat Tucholsky mal gesagt, und so ist’s auch mit dem Ruck, der durchs Land gehen müsse. Der Bundespräsident hat ihn beschworen und Spott geerntet, weil er kommen sollte, der Ruck, aber nicht kommen wollte. Jetzt hat er ihn. Aber nun ist’s auch wieder nicht recht. Knapp 13 Prozent der Wähler haben in Sachsen-Anhalt das Establishment mit dem Wahlzettel abgestraft, und schon tut man, als lebten wir im Jahre 1932 und morgen dräue eine neue Machtergreifung.

Immerhin ist die DVU bei den Erstwählern Primus geworden, und DVU und PDS repräsentieren zusammen ein Drittel der Wähler. Diese beiden Parteien sollen nicht in bekannter Manier gleichgesetzt werden. Aber ein französischer Deutschlandkenner, Joseph Rovan, ist kürzlich mit der Weisheit niedergekommen, es sei ein Verdienst der PDS, jene Unzufriedenheit der Bevölkerung an sich zu binden, die sonst vielleicht den Rechtsextremen zugute käme. Wer die Linksextremen in dieser Weise hoffähig redet, dem geschieht es ganz recht, daß er jetzt beide am Hals hat – bei allen politischen, moralischen und sonstigen Unterschieden. Und Rovan ist ja durchaus typisch. Keifend fallen die Etablierten übereinander her: Der DVU-Erfolg sei Schuld der CDU, weil sie Ausländerhetze betrieben habe, blökt es von links. Die SPD sei schuld. Wer die PDS salonfähig mache, verschulde die rechte Gegenaktion, blödelte die CDU zurück.

Ein Ruck ist durch Deutschland gegangen? Jawohl, denn die DVU erweist sich schon kurz nach der Wahl als ein Katalysator. Sie bewirkt durch ihre bloße Existenz wundersame Wandlungen bei den anderen. "Inpuncto innere Sicherheit ist man im bevölkerungsreichsten Bundesland mittlerweile so weit, daß Rechtsbrecher für Helden und Polizisten für Schurken gehalten werden". Sagt die CDU in Nordrhein-Westfalen auf ihrem Parteitag am 25. April 1998. Und auch Herrn Glos, dem CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, kommt jetzt die Erkenntnis, "eine echte Volkspartei muß sich mit den Themen befassen, die das Volk tatsächlich interessieren". Geradezu tollkühn! Ein Ruck ist durch Deutschland gegangen? Nur keine Übertreibung. Die DVU hat einen Erfolg erzielt, wie früher schon in Norddeutschland, wie die Republikaner zweimal in Baden-Württemberg und früher die NPD. Verändert hat sich dadurch trotz der jeweiligen Hysterie nichts. Dies Wahlergebnis soll ein Aufbruch sein? Jawohl, ein Aufbruch typisch deutscher Art. Einem kurzen Auf folgt ein nachhaltiger Bruch. Bisher hat die deutsche Rechte es noch immer verstanden, sich selbst zu erledigen. Wozu braucht man dafür noch Feinde?


 
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