© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Kernenergie: Das Kieler Energieministerium über die "Gefahren der Atomkraft"
Rot-Grünes Ausstiegsszenario
von Gerhard Quast

Eine SPD-geführte Bundesregierung "wird die energiepolitischen Weichen für den Ausstieg aus der Atomkraft stellen" und die finanzielle Förderung für die Atom- und Kernfusionsforschung einstellen: "Wir werden den Forschungsetat von Grund auf umgestalten und die Mittel auf die Erforschung zukunftsträchtiger Energien konzentrieren", so der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine in einem Interview für die Mai-Ausgabe des Greenpeace Magazins. Unmißverständlich stellte er klar, daß für seine Partei – "unabhängig von Koalitionsspekulationen" – die bisherige Förderung der Atomenergie "ein Irrweg" gewesen sei. In welchem Zeitraum "eine sichere Energieversorgung ohne Atomkraft" seiner Ansicht nach zu realisieren sei, darüber wollte der saarländische Ministerpräsident nicht spekulieren. "Da eine ganze Reihe juristischer und finanzieller Fragen geklärt werden müssen, ist es nicht möglich, einen exakten Zeitplan zu nennen." Auch eine Antwort auf die Frage, wieviel Atomkraftwerke nach vier Jahren SPD-geführter Bundesregierung vom Netz genommen sein würden, blieb er schuldig.

Wie diese "energiepolitischen Weichen" einer möglichen rot-grünen Bundesregierung aussehen könnten und welche juristischen Hürden beim Einstieg in den Ausstieg genommen werden müssen, das hat die Kieler Landesregierung in einem kürzlich veröffentlichten Bericht "Gefahren der Atomkraft" ausgiebig dargestellt. Auf diese Ausarbeitung könnte die Bundes-SPD im Falle einer Regierungsübernahme zurückgreifen.

Vorgestellt worden war die umstrittene Broschüre am 26. März von Energieminister Claus Möller (SPD) und Staatssekretär Wilfried Voigt (Grüne). Möller betonte, es sei darum gegangen, in die Kontroverse um die Atomenergie einzugreifen, weil mit dem "zweifelhaften Argument des Klimaschutzes" wieder verstärkt Werbung für neue Atomreaktoren betrieben werde. Der Minister betonte, daß eine Technologie, die niemals versagen dürfe und der gegenüber Menschen niemals versagen dürfen, nicht verantwortet werden könne.

In der Studie, an deren Zustandekommen u.a. Experten des Darmstädter Öko-Instituts sowie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie beteiligt waren, geht es in erster Linie um Sicherheits- und Strahlenschutzrisiken, die ungelöste Entsorgung (einschließlich der "Castor-Problematik") und um die umweltgefährdende Wiederaufbereitung abgebrannter Brenn-elemente. Jeder dieses Bereiche sei Argument genug, den Ausstieg aus der Atomenergie nahezulegen. Statt wieder verstärkt in diese Technologie einzusteigen, sei es vielmehr dringend erforderlich, bundesweit auf eine neue Energiepolitik umzusteigen. Als Alternativen zur Atomenergie nannte Voigt die Kraft-Wärme-Kopplung, den Bereich der Stromeinsparung aber auch die im nördlichsten Bundesland nicht unumstrittene Förderung der Windenergie.

Daß eine Änderung der Energiepolitik allein auf Landesebene aufgrund der Sachkompetenz des Bundes in Sachen Atomrecht nur bedingt möglich ist, ist den Verfassern durchaus bewußt. Wie eine Handlungsanweisung an die eigene Landesregierung und an eine zukünftige SPD-geführte Bundesregierung liest sich denn auch das Kapitel über die Möglichkeiten einer "Reaktorsicherheitsbehörde", insbesondere über die Rücknahme und den Widerruf atomrechtlicher Genehmigungen, wie sie insbesondere in Paragraph 17 Absatz 2 bis 5 des Atomgesetzes vorgesehen sind.

Als energiepolitische Kahlschlagpolitik von verheerendem Ausmaß und vorsätzliche Vernichtung von Arbeitsplätzen wertet der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates des RWE-Energiekonzerns, Alwin Fitting, dieses von der schleswig-holsteinischen Landesregierung vorgestellte Ausstiegsszenario. Die rot-grünen Ausstiegspläne seien eine "bedenkenlose Kaltschnäuzigkeit", so der Arbeitnehmervertreter. Angesichts der Tatsache, daß die 19 deutschen Atomkraftwerke mehr als ein Drittel des deutschen Energiebedarfs deckten, müsse das Szenario für den Ausstieg aus der Atomkraft als unverantwortlich gewertet werden.

Auch die Opposition im Kieler Landtag kritisierte den Sammelband. Der CDU-Energieexperte Reinhard Sager hob besonders den weltweit anerkannt hohen Sicherheitsstandard deutscher Atomkraftwerke hervor und mißbilligte, daß die erst neu eingerichtete und dem Energieministerium unterstellte "Informationsstelle zu Gefahren der Atomenergie" im laufenden Jahr über einen Etat von einer halben Million Mark verfüge.

Doch ohne Widersprüche ist das Verhalten der schleswig-holsteinischen Landesregierung auch nicht, wie selbst Kraftwerksbetreiber feststellen konnten: Einerseits werde der bundesweite Einstieg in den Ausstieg propagiert, andererseits erteile die Aufsichtsbehörde in Kiel – wie jetzt im Fall Brunsbüttel – Genehmigung für umfangreiche Nachrüstungen.


 
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