© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/98  08. Mai 1998

 
 
Leipzig: NPD und Autonome marschieren - die Polizei muß schützen
Zustände wie in Belfast
von André Freudenberg

Gegen 22 Uhr am Abend des 30. April herrscht Erleichterung bei der NPD. Die für den 1. Mai geplante Kundgebung unter dem Motto "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" darf stattfinden. Der 3. Senat des sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat zugunsten der Veranstalter und gegen die Stadt Leipzig entschieden, die das Treffen mehrmals verboten hatte.

Bereits um fünf Uhr morgens beziehen mehrere Hundertschaften des Bundesgrenzschutzes Stellung. Die Stadt wird abgeriegelt, an 18 Kontrollstellen werden Fahrzeuge durchsucht, insgesamt 786 Autos und 69 Busse. Drei Stunden später befindet sich das Gelände rund um das Völkerschlachtdenkmal im Belagerungszustand. Hunderte von Polizeiwagen und einige Schützenpanzerwagen sind aufgefahren. Die Kundgebung der NPD muß von rund 5.000 Polizisten geschützt werden, die Stadt wird weiträumig abgesperrt. Mit dem Auto oder auch nur mit dem Fahrrad ist kein Durchkommen mehr möglich.

Kurz nach zehn Uhr der letzte Versuch einiger angereister Chaoten aus dem linksextremen Milieu, mit brutalen Mitteln bis auf das Kundgebungsgelände vorzudringen: Autonome stehen auf einem Hügel, es fliegen Pflastersteine, zwei Polizisten werden von Leuchtmunition getroffen und schwer verletzt. Eine britische Journalistin, die für BBC berichtet, fühlt sich an frühere Zustände in Belfast erinnert. Umstehende Passanten sind empört. Ein Rentner meint, er finde es "saumäßig, daß keine Ordnung und Sicherheit gewährleistet" sei. Mit dem Einsatz von Wasserwerfern gelingt es der Polizei schließlich, einen Durchbruch der autonomen Gewalttäter bis zum Völkerschlachtdenkmal zu verhindern. Besucher müssen Durchsuchungen über sich ergehen lassen, können die Absperrung aber passieren.

Auf dem Kundgebungsgelände ist die Atmosphäre erstaunlich friedlich. Die NPD-Anhänger wahren Disziplin, zumindest die meiste Zeit über. Aus den Lautsprechern ertönen Volkslieder: "Herrliche Berge, sonnige Höhen". Fahnen werden geschwenkt, die Handelsflagge der Reichsmarine zu Weimarer Zeiten ist ebenso zu sehen wie die schwarz-rot-goldene Fahne der 1848er-Revolution. Altbekannte Parolen der NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) werden skandiert: "Hier marschiert der nationale Widerstand" und "Hoch die nationale Solidarität". An dem tiefblauen Himmel kreisen den ganzen Tag über Polizeihubschrauber. Der NPD-Bundesvorsitzende empört sich, "auf eine Müllhalde" verlegt worden zu sein. Der Platz sah schließlich aus, als hätte am Tag zuvor eine "Mini-Love-Parade" stattgefunden. Tatsächlich wurde dort am Vorabend ein vom Deutschen Gewerkschaftsbund organsiertes "Konzert gegen rechts" veranstaltet. Während BAP und die Prinzen spielten, durften rund 10.000 Jugendliche "Courage" zeigen, ohne irgendein Risiko eingehen zu müssen.

Musikalische Einlagen gibt es auch bei der NPD, unter anderem von Liedermacher Frank Rennicke. Er ist wütend über "dieses Pack da draußen". Die NPDler bewegen sich immer wieder in Richtung der Polizei und der Linken. Zu einer befürchteten großen Eskalation kommt es aber nicht. Im Laufe des frühen Nachmittags treffen immer mehr Busse ein, so daß am Ende rund 6.000 "Kameraden" in Leipzig dabeisein werden. Enttäuschend für die Veranstalter, die für die seit einem Jahr geplante Veranstaltung mit bis zu 15.000 Teilnehmern gerechnet hatten.

Aber auch die Kundgebung des DGB, der sich nach Meinung von NPD-Kadern in "Multikulturellen Gewerkschaftsbund" umtaufen solle, war nicht gerade üppig besucht. Den meisten Leipzigern ist die Politik eben doch eher gleichgültig, sie zog es lieber ins Grüne als auf den Marktplatz. Dort wird das Pro-NPD-Urteil heftig kritisiert. Der neu gewählte Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee erklärte vor rund 8.000 Leipzigern: "Ich bin wütend, daß die NPD-Demonstration in unserer Stadt stattfinden darf."

Auch am Nachmittag kommt die Stadt nicht zur Ruhe. Tausende von Jugendlichen aus der linken Szene demonstrieren, teilen sich schließlich in kleinere Grüppchen auf. Rund um die Russische Kirche gehen Fensterscheiben zu Bruch, auf der Straße liegen Steine, ein altes Waschbecken und ein Bauwagen, der angezündet wird. Nach rund zehn Minuten ist das Feuer gelöscht. Auch an anderen Stellen der Stadt brennt die Luft. Die Schuld an der Randale gibt Ordnungsdezernent Holger Tschense, Mitunterzeichner des Aufrufs "Leipzig zeigt Courage", den Bautzener Richtern, die "eine krasse Fehlentscheidung" getroffen hätten.

Zur großen Enttäuschung der Berufschaoten werden die "Faschobusse" umgeleitet. Ein Polizeibeamter versucht, mit den Demonstranten ins Gespräch zu kommen. Man solle sich doch bei den Politikern beschweren, Gewalt und Revolten würden keinen Sinn machen. Eine Demonstrantin findet diesen Vorschlag wenig originell: "Die lachen sich doch tot", meint sie.

Auf die Busse der NPD-Kundgebungsteilnehmer wartet man vergeblich. Die "Antifaschisten" fühlen sich hinters Licht geführt. Am Ende versucht eine Demonstrantin sich und die anderen seelisch wieder aufzurichten. "Wenn wir nicht hiergewesen wären, wären die NPD-Leute in der Stadt spazierengegangen."

Eine junge Leipzigerin versucht, das beschädigte Image der Stadt wieder aufzupolieren. Einem zugereisten Demonstranten gegenüber meint sie: "In Leipzig ist es eigentlich ganz cool – wenn die Glatzen nicht hier sind."


 
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