© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Hinter den Kulissen der US-Politik: Clintons Israel-Schelte aktiviert jüdische Interessengruppen
Die hohe Schule des Lobbyismus
von Ivan Denes

Die amerikanisch-israelischen Beziehungen haben einen seit geraumer Zeit nicht mehr gekannten Tiefpunkt erreicht. US-Präsident Bill Clinton und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verfolgen grundverschiedene Visionen von den Sicherheitsbedürfnissen Israels bzw. dem zukünftigen Verlauf der Friedensverhandlungen mit den Palästinensern. Die beiden Politiker konnten auch persönlich nie so recht zusammenfinden, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil vor zwei Jahren, während Israels erster Kampagne zur Direktwahl des Ministerpräsidenten, Clinton offen die Partei des damaligen Ministerpräsidenten und Netanjahu-Gegenspielers Shimon Peres (Arbeitspartei) ergriffen hatte.

Im Hinblick auf den Friedensprozeß muß eine Vorstellung zurechtgerückt werden, die sich in den bundesdeutschen Medien – ganz besonders den elektronischen – weitgehend eingenistet hat, nämlich daß der Likud-Politiker Netanjahu persönlich die "Schuld" an der gegenwärtigen Stagnation trage und daß er dabei gegen den Willen der Mehrheit der Israelis agiere. Tatsache ist, daß der israelische Regierungschef zur Zeit die Zustimmung von weit mehr als 60 Prozent der jüdischen Wähler hat, besonders seitdem er kürzlich in London anläßlich der Verhandlungsrunde mit der amerikanischen Außenministerin Albright gegenüber deren ultimativen Forderungen standhaft geblieben ist.

Wirksame Wahlhilfe für alle pro-israelischen Kandidaten

Die sich jetzt abzeichnende Macht- und Kraftprobe zwischen dem Weißen Haus und Benjamin Netanjahu hat einen sehr komplexen Hintergrund, der ebenso vielschichtig ist wie die Beziehungen Israels zu den amerikanischen Juden. Die jetzige israelische Regierung wird vielfach von den US-Juden hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber den Palästinensern akzeptiert, gleichzeitig aber wegen ihrer Unterstützung der jüdischen Orthodoxie in dem sich abzeichnenden "Kulturkampf" vehement abgelehnt. Die Mehrheit der amerikanischen Juden gehört zur konservativen oder zur Reform-Bewegung, während in Israel die Orthodoxen nicht zuletzt auf Regierungsebene maßgeblich an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligt sind.

Wenn keine unvorhergesehene Wende eintreten sollte, wird es in Kürze zu einem dramatischen Bruch zwischen Jerusalem und Washington kommen. Die ersten Alarmsignale konnten bereits direkt aus dem Weißen Haus vernommen werden: Bill Clinton sagte als erster amerikanischer Präsident überhaupt seine Teilnahme an einer arabisch-amerikanischen Veranstaltung zu, und seine Frau Hillary richtete eine Botschaft an eine israelisch-palästinensische Jugendveranstaltung in Genf, in der sie sich – in glattem Widerspruch zur traditionellen Nahostpolitik ihres Landes – für die Schaffung eines Palästinenserstaates aussprach. Der Sprecher des Weißen Hauses distanzierte sich zwar von dieser Solidaritätsnote, aber es gilt als sicher, daß die First Lady mit Zustimmung ihres Mannes agierte.

Die sich abzeichnende Konfrontation lenkt den Blick auf verschiedene Änderungen aber auch auf wichtige Konstanten im Verhältnis beider Länder. Die Zeiten, in denen Israel vollständig von der finanziellen Unterstützung der US-Regierung und des amerikanischen Judentums abhängig war, sind längst vorbei, und erst vor wenigen Wochen hat die Regierung Netanjahu von sich aus einen schrittweisen Abbau der jährlichen nicht-militärischen Hilfen der Vereinigten Staaten in Höhe von 1,2 Milliarden Dollars vorgeschlagen. Für das amerikanische Militär ist das strategische Bündnis mit den Israelis jedoch auch weiterhin von größter Bedeutung – nicht nur wegen der zwischengelagerten Waffenbestände. Gleiches gilt angesichts der prekären Sicherheitslage natürlich auch für die israelischen Streitkräfte.

Auf heftige Widerstände wird die Clinton-Regierung mit ihren offensichtlichen Bestrebungen zur Verbesserung der Beziehungen zu den arabischen Staaten und dem Iran bei den großen jüdischen Organisationen stoßen. Daß die Mehrheit der Juden in den USA die Demokratische Partei unterstützt und – wie es heißt – 40 Prozent von deren Wahlkampfkosten deckt, wird daran nichts ändern.

Die amerikanischen Juden sind eine straff durchorganisierte Gemeinschaft wie keine andere. Die größte Organisation sind die B‘nai Brith-Logen mit ihrer politischen Speerspitze, der AntiDefamation League. Die älteste Vereinigung ist das American Jewish Committee (das neuerdings auch eine Vertretung in Berlin besitzt), welches nicht zu verwechseln ist mit dem American Jewish Congress, der wiederum nicht identisch ist mit dem World Jewish Congress.

Der Kongreß sieht Arafat bis heute als "Terroristen"

Die mächtigste und meistgeachtete Organisation von allen ist aber sicherlich das American-Israeli Public Action Committee, kurz AIPAC genannt, bei dem es sich um die einzige amtlich registrierte Lobby der amerikanischen Juden handelt. AIPAC hat erst im vergangenen Monat seinen Einfluß unter Beweis stellen können, als infolge einer Aktion des Komitees 81 von insgesamt 100 Senatoren einen Brief an den Präsidenten unterschrieben, in dem Bill Clinton aufgefordert wird, Israel nicht unter Druck zu setzen. Das Staatsoberhaupt solle, wie es in dem Schreiben weiter heißt, keinen eigenen Friedensplan veröffentlichen, der einer im Jahre 1997 anläßlich des Rückzugs aus Hebron gegebenen schriftlichen Versicherung widerspreche, daß Israel allein die militärischen Kriterien zukünftiger Rückzüge zu bestimmen habe. Zwischenzeitlich haben auch mehr als die Hälfte der Mitglieder des Repräsentantenhauses auf die Initiative von AIPAC hin ihre Unterschrift unter einen Brief ähnlichen Inhalts gesetzt. Newt Gingrich, der Sprecher des Repräsentantenhauses, erklärte gar, Clinton versuche, im Interesse Jassir Arafats – den der Kongreß weiterhin als "Terroristen" betrachtet – Israel zu erpressen.

Angesichts der bevorstehenden Kraftprobe auf internationaler wie in-neramerikanischer Ebene scheint es angebracht, sich zu fragen, woher dieser große Einfluß von AIPAC stammt – einer Interessenvertretung, welche die Zeitschrift Fortune unlängst als die zweitwichtigste in Washington überhaupt (nach dem Rentnerverband) einstufte. Gegründet wurde AIPAC 1951, drei Jahre nach der Entstehung des Staates Israel. Die Organisation hat mittlerweile 55.000 eingeschriebene Mitglieder, einen Stab von 115 hauptamtlichen Mitarbeitern und einen Etat von lediglich 14,2 Millionen Dollars. – All dies sind statistische Angaben, die als solche nur wenig Aussagekraft besitzen.

AIPAC als Organisation vergibt auch keine Wahlspenden, wohl aber die einzelnen AIPAC-Mitglieder. Sie ist – beginnend an der Basis – perfekt durchorganisiert: Die Vereinigung verfügt über Stützpunkte an rund 200 Universitäten, die eine praktisch unerschöpfliche Reserve von Wahlhelfern (für beide großen Parteien) liefern. AIPAC-Mitarbeiter dienen als freiwillige Wahlhelfer, sie organisieren Diskussionsabende oder sogenannte fund-raising-Festessen mit bekannten Persönlichkeiten, sie schreiben Plakate und geben Zeitungsanzeigen zugunsten bestimmter Kandidaten auf. Bedingung: Diese zeigen sich damit einverstanden, im Kongreß gegebenenfalls stets im Sinne der israelischen Interessen abzustimmen. Das öffentlichkeitswirksamste Instrument der mächtigen jüdischen Lobby-Organisation ist, daß ihre engagierten Mitglieder immer dann zum Telefonhörer greifen und den jeweiligen parlamentarischen Vertreter anrufen, so oft AIPAC sie dazu auffordert.

Große Wirkung entfaltet AIPAC allerdings vor allem durch seine personellen Verbindungen zum politischen Establishment. Der neuste "Hauptlobbyist" ist ein ehemaliger Unterstaatssekretär im Außenministerium: David Gillette. Der Exekutivdirektor Howard Kohr, Sohn eines Dachau-Überlebenden, gilt in Washington als der beste Kenner der aktuellen Szenerie auf dem Capitol. Er redet gern und mit sichtlichem Stolz über die Vielfalt der Talente in der Organisation und über das große politische Gewicht seiner ehemaligen Mitarbeiter.

Ein früherer AIPAC-Präsident, Steve Grossman, ist beispielsweise zur Zeit Vorsitzender des nationalen Ausschusses der Demokratischen Partei, Mel Sembler, ein anderer ehemaliger AIPAC-Mann, leitet die Finanzabteilung des Nationalen Republikanischen Komitees, der ehemalige AIPAC-Direktor für legislative Fragen Arne Christenson ist derzeit Stabschef von Newt Gingrich, und einer der bekanntesten CNN-Korrespondenten, Wolf Blitzer, schrieb ehedem Pressemitteilungen für das AIPAC.

Steve Rosen, einst Direktor der Vereinigung für außenpolitische Fragen, lehrte als Professor für internationale Beziehungen an der Nationalen Universität von Australien und war dort Doktorvater Martin Indyks, des späteren amerikanischen Botschafters in Israel und jetzigen Unterstaatsekretärs für den Mittleren Osten. Indyk arbeitete mit Rosen auch während dessen Zeit bei der Rank Corporation zusammen. Dort tauchte ein anderer Student zum Praktikum bei Rosen auf: Dennis Ross – zur Zeit Sonderbotschafter des amerikanischen Präsidenten und Vermittler bei den israelisch-palästinensischen Verhandlungen.

Offene Konfrontation Clintons mit Israel möglich

Das hier nur in kleinen Ausschnitten aufgezeigte Netz der Verbindungen des American-Israeli Public Action Commitees mit der hohen Politik ermöglichte es der Organisation unabhängig von der Position der jeweiligen US-Regierung und auch weitgehend unabhängig von der Haltung anderer jüdischer Interessenvertretungen, im Verlauf der letzten Jahrzehnte mit großem Erfolg die politischen Anliegen Israels auf einer konservativ-nationalen Linie zu vertreten. – Präsident Clinton, der jetzt möglicherweise den Weg der offenen Konfrontation antritt, wird es auch vor diesem Hintergrund sicherlich nicht leicht haben, den Israelis Bedingungen aufzuoktroyieren, die ihrer Überzeugung nach den eigenen Staat physisch gefährden.


 
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