© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Pankraz, König Lear und der Kanzler in der Soap Opera

Für originell und ausbaufähig hält Pankraz die Neigung des präsumptiven Bundeskanzlers Gerhard Schröder, gelegentlich in populären Unterhaltungs-Serien, sogenannten "Soap Operas", mitzuwirken. Schröder spielt dabei zwar "sich selbst", aber er läßt sich dennoch nicht einfach im Stile der Tagesschau in seinem Büro abfotografieren, wie er etwa Verträge unterschreibt oder Besuchern die Hand schüttelt. Vielmehr unterwirft er sich, wie jeder andere Schauspieler auch, den Anweisungen und Zwängen eines fremden Drehbuchs, wird zum Element einer fiktiven Handlung, lernt Texte auswendig und wiederholt, wenn der Regisseur es will, unzählige Male ein und dieselbe Szene. Er absolviert also mit vollem Einsatz "anstrengende Drehtage" und kriegt dafür ein Honorar, das er anschließend wohltätigen Organisationen stiftet.

Ein (nicht allzu bekannter) Berufsmime, mit dem Pankraz über die Sache sprach, hatte Einwände. "Sich selbst spielen kann jeder", meinte er herablassend, "dafür braucht Schröder an sich gar kein Drehbuch, das macht er doch jeden Tag von ganz allein, wenn er seine aktuellen Statements in die Kamera spricht. Wir Schauspieler müssen dagegen ununterbrochen in jeweils völlig verschiedene Rollen schlüpfen, müssen in solchen Rollen mit jeder unserer Fasern aufgehen. Das soll er uns erst einmal nachmachen!"

Es klang ein bißchen nach Kulissenneid und ignorierte geflissentlich, daß ja auch Schauspieler für diese oder jene Rolle sorgfältig ausgesucht und immer öfter auf bestimmte Rollen "festgelegt" werden. Wer im Fernsehzeitalter einmal als "Kommissar" oder als komische Knallcharge erfolgreich gewsen ist, der wird in Nullkommanichts auf diese Rolle festgelegt und kommt faktisch nicht mehr von ihr herunter.

Je berühmter einer "als" Kommissar, "als" Knallcharge wird, um so mehr schränken sich seine mimetischen Möglichkeiten ein, ja, es passiert sogar, daß er sich am Ende selbst als Kommissar sieht, sich auf der Straße nicht ungern als "Herr Kommissar" anreden läßt und die eingeschliffenen, immer wieder gleichen Gesten, Rituale und Redewendungen des medialen Kommissarseins in sein "wirkliches", bürgerliches Leben herübernimmt. Möglicherweise plagt ihn hin und wieder noch die Sehnsucht, auch einmal den Hamlet oder den König Lear zu spielen, aber im Grunde ist er dazu schon nicht mehr in der Lage. Er hat sich mit seiner Rolle identifiziert, nicht anders als ein Politiker mit der seinen.

Gute, also auffällige und einflußreiche, Politiker sind "geborene" Schauspieler. Sie schauspielern noch, wenn sie sich – scheinbar – gehen lassen, greifen unentwegt in die Kostümkiste vorgefertigter Gesten und Rituale, sprechen Rollenprosa, verheiraten sich mit bestimmten Erkennungsmerkmalen (Zigarre, Saumagen, Waldlauf in der Morgenstunde) und haben unentwegt Auf- und Abgänge, "treten vor die Kamera", "ziehen eine Schau ab", "verschwinden" schließlich "in der Versenkung".

Daß sie neuerdings (siehe Schröder) "vom Fach" als ebenbürtig anerkannt, zur Mitwirkung in Soap Operas eingeladen und als Markenzeichen ihrer selbst in Unterhaltungssendungen eingebaut werden, schmeichelt zweifellos ihrer Eitelkeit, liefert ihnen hohe Selbstbestätigung. Und es wirft selbstverständlich auch politischen Gewinn ab.

Der "sich selbst" spielende Politiker in der Soap Opera oder in der "Comedy Show" nimmt zunächst einmal Karikaturisten und Imitatoren den Wind aus den Segeln. Indem er fremde Texte mit dem Markenzeichen seiner originalen Gestalt und Rhetorik überzieht, entgiftet er sie gewissermaßen, raubt ihnen jedwede eventuelle Häme, unterwirft sie der politischen Kontrolle. Alles wird gemütlicher und unverbindlicher.

Zweitens aber und vor allem vermischen sich in bisher kaum für möglich gehaltenem Umfang Fiktion und sogenannte Wirklichkeit, Unterhaltung und Politik. Man könnte vom "gelungensten Infotainment aller Zeiten" sprechen, wüßte man nicht, daß die Spiele der Politiker wenig oder gar nichts mit echter Information zu tun haben. Der Original-Politiker als Mitspieler in der Soap Opera durchbricht alle Grenzen, die der traditionelle Politikbetrieb noch aufrechterhielt. Er rückt uns jetzt wirklich hautnah auf die Pelle, besetzt die Sofaecke, wo sie am kuschligsten ist.

Wenn in früheren Infotainment-Sendungen Helmut Schmidt Orgel spielte oder Heiner Geißler sich Sahnetorten auf die Nase setzen ließ, so konnten wir immer noch innere Distanz zu diesen Vorgängen halten, konnten sagen: "Nun, der blamiert sich nicht schlecht, und das auch noch auf eigene Kosten." Gerhard Schröder hingegen als ernsthafter Mitspieler in "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" gerinnt schlicht zur Unentrinnbarkeit, wird zum integralen Bestandteil unserer Lebenswelt. Wir müssen mit ihm rechnen, ob wir wollen oder nicht.

Natürlich werden wir ihn deshalb nicht automatisch wählen. doch als Stofftier und Stammtischmitglied ist er nun sogar erklärten Gegnern ein ganzes Stück vertrauter und somit sympathischer geworden. Gut möglich, daß bald auch andere Politiker die Fruchtbarkeit des Drehs bemerken und mit Macht in die Soaps und Comedys drängen. Die seit Platos "Nomoi" geläufige Redeweise, daß Politik nichts weiter sei als schlechtes Theater, würde dann buchstäblich Wirklichkeit. Denn daß sich die Qualität der Stücke durch den Auftritt von Politikern verbessern könnte, glauben nicht einmal deren Verfasser. Allenfalls die Quote würde zeitweise erhöht.

Wenn sich Pankraz übrigens richtig erinnert, war Gerhard Schröders erster Auftritt als Darsteller seiner selbst im Fernsehspiel, in Dieter Wedels "Der große Bellheim", nicht unbedingt ein Knüller. Es fehlte die Kompatibilität mit den "richtigen" Schauspielern. Hier muß noch viel geprobt werden.


 
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