© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/98 15. Mai 1998

 
 
Nachruf II: Theodor Oberländer, verdienter Vertriebenen-Politiker im Kabinett Adenauer
Von Himmler und Ulbricht gejagt
von Götz Kubitschek

Ich tue, was ich für richtig halte, und nicht das, was gerade Mode ist". Sätze wie dieser klingen bedeutungsvoll und sind zugleich bliebig interpretierbar. Sie laufen deshalb ständig Gefahr, ihr Gewicht zu verlieren, weil jeder sie in den Mund nehmen und im günstigen Fall als taktische Losung ausgeben kann. Mit Adenauer läßt sich dann jederzeit sagen: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?"

Einer mußte sich intensiv und bis zu seinem Tode für das interessieren, was er an irgendeinem "gestern" gesagt und getan hatte und haben sollte. Von ihm stammte die zitierte Lebensmaxime, die den geradlinigen Kurs dem Wechselspiel der Moden vorzieht. Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer starb an seinem 93. Geburtstag, dam 4. Mai 1998 in Bonn. Er hat sich in den 50er Jahren als Bundesminister für Vertriebene große Verdienste erworben. Berühmt aber wurde er durch den "Fall Oberländer": In groß angelegten Kampagnen wurden Oberländer von Ost-Berlin und Moskau vorgeworfen, Kriegsverbrechen in Lemberg begangen zu haben. Als Bundesminister war er schließlich für Adenauer im Jahre 1960 nicht mehr haltbar. Seine Rehabilitation hat Theodor Oberländer jedoch in unzähligen Prozessen vor Gericht erfolgreich be-
trieben.

Oberländer wurde 1905 in Meiningen (thüringische Rhön) geboren. Sein Elternhaus vermittelte ihm christliche Ethik und eine deutsch-nationale Grundeinstellung; als Oberprimaner zog er von Dorf zu Dorf und hielt Vorträge gegen den Versailler Vertrag. Die Wandervogelbewegung weckte Naturverbundenheit und führte zu einer kernigen Lebensführung. So pflegte er als Bundesminister dem Dienst einen morgendlichen Dauerlauf voranzustellen. Auch sprang er hin und wieder in den Rhein, um ein paar Runden zu schwimmen. Das Studium führte ihn nach München und Königsberg. Er widmete sich als Wissenschaftler den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Bereichen der Ostforschung und lehrte bis 1934 an der Albertina in Königsberg, engagierte sich dabei in leitender Funktion für den Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA). 1933 trat er in die NSDAP ein. Wegen Differenzen mit dem Gauleiter von Ostpreußen, Erich Koch, wurde ihm nahegelgt, sich nach Greifswald versetzen zu lassen. Das wiederum machte ihn für den Chef der Militärischen Abwehr, Admiral Wilhelm Canaris, interessant, bei dem in der Folgezeit eine Vielzahl von Fäden des militärischen Widerstandes zusammenliefen. Hauptmann Oberländer verfaßte sechs Denkschriften, in denen er immer unverhohlener seine Kritik an der Ostpolitik des Dritten Reiches formulierte. 1943 war das Maß voll: Oberländer wurde aus der Wehrmacht entlassen und saß in Prag in Hausarrest, während Himmler seine Liquidierung anordnete. Sie wurde nicht vollzogen.

Nach dem Krieg und kurzer Gefangenschaft leitete Oberländer den "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE), der in Bund und Ländern vor allem in Koalitionen mit der CDU zusammenarbeitete. 1953 berief ihn Adenauer als Bundesminister für Vertriebene in sein zweites Kabinett. Oberländer stand vor der Aufgabe, über zwölf Millionen Vertriebene in ein wirtschaftlich schwaches, in seiner Bausubstanz zerstörtes, um ein Drittel verkleinertes Deutschland einzugliedern, und zwar ausschließlich in den Westteil, über den sich seine Kompetenz erstreckte. Mit einer gewaltigen Arbeitskraft verbesserte der Minister die Situation der Vertriebenen: Er stieß Wohnungsbauprogramme an, sorgte für Soforthilfe in Flüchtlingslagern und förderte Existenzgründungen. Dies alles leistete er in dem Zwiespalt, Eingliederungen der Vertriebenen zu betreiben, wo er doch die Vertreibung und den Verlust der Ostgebiete nicht hinnehmen wollte.

Eben als Dauerprediger der Wiedervereinigung stieg er für die DDR zum Staatsfeind ersten Ranges auf. Auslöser für die Kampagne war wohl ein Plan Oberländers, entlang der innerdeutschen Grenze Rundfunksender aufstellen zu lassen, die als "Stimme der Freiheit" Gegenaufklärung abstrahlen sollten. So wurden ab 1959 Vorwürfe laut, die Oberländer eines schweren Kriegsverbrechens im galizischen Lemberg beschuldigten. Tatsächlich waren in der Stadt noch vor dem Einmarsch der Deutschen etwa 6000 polnische und ukrainische Nationalisten einer sowjetischen Säuberung zum Opfer gefallen. Der Befehl kam vom damaligen Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei der Ukraine, Chruschtschow. Als Staatschef der Sowjetunion hatte er später großes Interesse daran, einen Deutschen für das Verbrechen verantwortlich machen zu können. In einem großen Schauprozeß in Pankow wurde Oberländer in Abwesenheit zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Prozeß geriet zur Farce. Bundeskanzler Adenauer machte deutlich, was ihn an der Kampagne am meisten bedrückte: Ein Großteil der bundesdeutschen Intellektuellen und der Presse hatten kritiklos die Anschuldigungen und die Agitationen der SED-Propaganda übernommen. Dazu gehörten selbst Leute aus den Reihen der CDU, etwa Gerd Bucerius, Begründer der Wochenzeitung Die Zeit. Sie hatte sich inzwischen vom konservativen zum linksliberalen Blatt gewandelt.

Im Frühsommer des Jahres 1960 wich Adenauer dem Druck: Oberländer trat zurück. Er behielt sein Bundestagsmandat und widmete sich mit großer Ausdauer seiner Rehabilitation. Das Ehrengericht der CDU sprach ihn frei, ebenso ein Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestag. Auch in seinen über 80 Prozessen wurde Oberländer rehabilitiert.

1989 starb seine Frau Erika. Aus der Ehe sind drei Söhne hervorgegangen. Bis zuletzt widmete sich der erblindete Greis politischen Fragen, beschäftigte sich mit dem weltweiten Problem der Vertreibung. Er starb unerwartet und erlebt so den Ausgang des letzten laufenden Verfahrens nicht mehr mit.


 
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