© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Forschung: EU-Parlament gibt Patentschutz für biotechnologische Erfindungen frei
Genetisches Rohstofflager
von Michael de Wet

Leben ist künftig patentierbar. Am 12. Mai wurde im Europaparlament gegen die Stimmen der Grünen und einiger anderer Abgeordneter mit großer Mehrheit die EU-Richtlinie "Patente auf Leben" verabschiedet. Mehr als zehn Jahre lang wurde darüber auf europäischer Ebene gestritten. Die Abgeordneten folgten damit der Empfehlung des deutschen SPD-Politikers Willi Rothley, der für die Verabschiedung plädiert hatte. Damit fand ein jahrelanges erbittertes Ringen um die brisante Thematik der rechtlichen Verwertbarkeit bio- und gentechnologischer Forschungsergebnisse sein Ende.

Der Europäische Verband der Pharma-Industrie begrüßte erwartungsgemäß die Entscheidung. Nie zuvor hatten die Lobbyisten der Pharmabranche und Genforschung mit einem solchen Aufwand auf das Parlament eingewirkt wie im Vorfeld dieser Entscheidung. Schließlich steht ein Jahrtausendgeschäft auf dem Spiel, geht es doch um die möglichst lukrative Verwertung und Monopolisierung ihrer Forschungsergebnisse.

Konkret sieht die Richtlinie vor, daß Wissenschaftler bzw. Konzerne das Recht erwerben können, durch ein Patent auf ein Gen bis zu 20 Jahre lang unter Ausschluß jedweder Konkurrenz ihre Entdeckung oder Erfindung wirtschaftlich zu nutzen. Dies gilt nicht nur für Tiere und Pflanzen, auch menschliche Gene, Zellen und ihre Wirkungsweisen können patentiert werden. Verboten sind nach der Richtlinie lediglich das Klonen von Menschen, die Manipulation der Erbsubstanz und die Forschung an Embryonen zu kommerziellen Zwecken.

Bis zum heutigen Zeitpunkt hat das Europäische Patentamt (EPA) in München bereits vorsorglich rund 1.700 Patente auf gentechnische und biomedizinische Erfindungen erteilt. Des weiteren wurden rund 400 genmanipulierte Tiere ("Krebsmaus"), 1.000 Pflanzenzüchtungen ("Gen-Mais") und mehrere hundert Patente auf Teile des menschlichen Erbgutes genehmigt. Nach der Entscheidung von Straßburg erhalten diese Patente in Kürze Gesetzeskraft.

Die Gegner der Gen-Patentierung, vor allem die Grünen, bedauerten, daß das Parlament vor der Gentechnikindustrie "eingeknickt" sei. Sie argumentierten, daß Patente auf Leben die Natur und den Menschen zu "ausschlachtbaren genetischen Rohstofflagern" degradiere. Der Beschluß sei "ein Freibrief zur Kommerzialisierung des menschlichen Körpers", so die bündnisgrüne Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer. Auch einige konservative Abgeordnete, die der Paneuropa-Union verpflichtet sind, äußerten ihre Bedenken über derartige Eingriffe in die Würde des Menschen. Und selbst aus Kreisen der Forschung gab es skeptische Stimmen. So könnten Biopatente Forschungsvorhaben der Konkurrenz verhindern, indem Wissenschaftlern der Zugriff auf bestimmte Gen-Informationen vom jeweiligen Patent-Inhaber verwehrt werde.

1995 hatte das Parlament einen Vorschlag, der kaum von der nun verabschiedeten Fassung abweicht, abgelehnt. Im Juli 1997 lag dann dem Parlament eine bereits verwässerte Neufassung der Patentierungsrichtlinie vor. Nun sollten gentechnisch veränderte Tiere nur dann nicht patentierbar sein, wenn durch die Genmanipulation Leiden oder körperliche Beeinträchtigungen hervorgerufen werden, ohne daß ein "wesentlicher medizinischer Nutzen" entstünde. "Doch nicht einmal das wurde von der Europäischen Kommission und dem Ministerrat akzeptiert. Mit der heutigen Abstimmung nimmt das Parlament hin, daß Kommission und Ministerrat auch diese Entscheidung abgeschwächt haben", bedauert Marion Selig, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Tierversuchsgegner. Somit können Tiere selbst dann patentiert werden, wenn sie als krank oder mißgebildet angesehen werden müssen. Und Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, formulierte bitter: "Die Verantwortlichen in der EU degradieren Tiere vom Mitgeschöpf zur Produktionseinheit, so als könne man Leben in Tüten verpacken. Dieses Europa ist kein ‘Europa der Bürger’, dieses Europa ist eine Schande."


 
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