© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Polizeiskandal: Der Fall "Axel Reichert"
Mit der Lizenz zur Straftat
von Konrad Kritschen

Am 27. Mai soll sich vor dem Amtsgericht Karlsruhe der frühere baden-württembergische Landtagsabgeordnete Bernhard Amann wegen angeblichen Verrats eines Dienstgeheimnnisses verantworten. Als Mitglied des Innenausschusses des Stuttgarter Landtages hatte der heute 33jährige im Mai 1996 ein anderes Ausschußmitglied brieflich über die "geheime" Tatsache unterrichtet, daß der Karlsruher "Verdeckte Ermittler rechts" (VE-rechts) ein Polizist mit dem Decknamen "Axel Reichert" war.

Die Mitglieder des Innenausschusses haben die Aufgabe, die Polizei parlamentarisch zu kontrollieren. Der Amtsrichter soll jetzt entscheiden, ob es strafbarer Geheimnisverrat sein kann, wenn ein parlamentarischer "Kontrolleur" den anderen von einem "Dienstgeheimnis" unterrichtet, das im wesentlichen in der Identität eines mutmaßlichen Straftäters im Regierunsgauftrag besteht.

Der Kriminalbeamte und Landtagsabgeordnete Amann hatte in ein Wespennest aus Amtsmißbrauch, Rechtsbrüchen, geheimdienstlicher Manipulation und Parteienfilz gestochen. Heute liegen neue Beweismittel vor, die sowohl auf behördlicher als auch politischer Ebene den einen oder anderen die Stellung kosten könnten. Der Karlsruher VE-Skandal ist ein Lehrstück für das Zusammenwirken von Parteipolitik und Behörden, um rechte Oppositionsparteien zu kriminalisieren.

 

Zuhörer bestätigen die umstrittenen Passagen

Als der damalige Republikaner-Abgeordnete Amann im April 1996 auf einem Lehrgang in einer Polizeischule seinen Kollegen Reichert kennenlerente, staunte er nicht schlecht. Reaktionsschnell fotografierte er den mutmaßlichen Straftäter Reichert. Am 6. November 1995 hatte nämlich der Spiegel berichtet: "Der Vortrag, den Axel Reichert vor seinen Mitkämpfern der Kameradschaft Karlsruhe über den Nationalsozialismus in der heutigen Zeit hielt, wäre normalerweise ein Fall für den Staatsanwalt. Der Redner wetterte gegen den jüdischen und bolschewistischen Abschaum und rief auf zum Kampf gegen das Weltjudentum. (…) Doch der Hetzer wird straffrei ausgehen. Axel Reichert nämlich war nur der Deckname eines V-Mannes, den das Landeskriminalamt Baden-Württemberg bei den Rechtsextremisten eingeschleust hatte."

Verzweifelt versuchen Beamte, Landebehörden und Medien den Skandal zu vertuschen und von ihm abzulenken. Es begann mit einem Zeugenkomplott, als Reichert und zwei andere Polizeibeamte des Lehrgangs sich absprachen und falsch gegen Amann aussagten, wie das Foto Reicherts aufgenommen worden war und über welche Einzelheiten seiner VE-Arbeit Reichert in der Polizeikantine geprahlt hatte. Amann zufolge soll Reichert zugegeben haben, er habe den Auftrag, einen Kreis von Aktivisten um sich zu scharen, sie im Geiste des Nationalsozialismus zu schulen und später mit ihnen die Republikaner zu infiltrieren. Nicht nur das bestreitet Reichert.

Auch die strafbare NS-Hetzrede gegen das Weltjudentum will er so nicht gehalten haben. Sein VE-Führer habe ihn auf strafbare Passagen aufmerksam gemacht, und gemeinsam habe man die Rede auf dem Polizeicomputer geändert und "entschärft". Nur diese straflose Version habe er dann vorgetragen. Die strafbare Ursprungsfassung müsse ihm aus seiner Wohnung gestohlen worden sein.

Aufgrund dieser "unwiderlegten" Angaben stellte dieselbe Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Reichert ein, die Amann angklagte, weil er Reicherts Bild an den Innenausschuß des Landtages gab. Tatsächlich liegen detaillierte Aussagen von Zuhörern der Rede vor, die bestätigen, daß die als Manuskript vorliegende Rede doch wörtlich so gehalten wurde: Der Polizist Reichert habe die Antifa-Karlsruhe gegründet und glatzige Halbstarke ideologisch auf NS-Kurs gebracht. Nicht etwa verhindert habe er "schwere Straftaten", sondern begangen. Reichert hortete in seiner Wohnung 15 Exemplare "Mein Kampf". Bei einer Durchsuchung wurden sie beschlagnahmt; trotzdem wurde das Strafverfahren gegen ihn später eingestellt.

Nicht nur strafrechtlich soll Reicherts Verhalten zu beanstanden gewesen sein. Da gab es in der angeblichen Kameradschaft die Studentin Patrizia M., der er die große Liebe vorspielte, erst den Kopf verdrehte und später das Herz brach. Während Zeugen angeben, er sei meistens betrunken und hinter jedem Frauenrock her gewesen, setzen Medien im Interesse der Landesbehörden die Gegenpropaganda in Gang: In einem Artikel von Oliver Schröm und dem einschlägig bekannten Enthüllungsjournalisten Anton Maegerle alias Gernot Modery (siehe JF 28/96) sowie einem "Kennzeichen D"-Beitrag Schröms durfte Reichert nicht nur Brandanschläge und Friedhofsschändungen heldenhaft verhindern. Die Sex-Masche zieht immer, sie durfte nicht fehlen. Nach dem Vorbild erfundener Geschichten über den NS-Lebensborn, in dem blondbezopfte Frauen von SS-Männern reihenweise geschwängert worden sein sollen, schrieb der Stern über Reichert: "Nur beim Nahkampf mit den‘Glatzen-Weibern’ hielt er sich auffallend zurück: ‘War einfach nicht mein Geschmack’: In der rechten Szene werden Frauen reihenweise durchgereicht. Auf Feten sind sie Freiwild. Jeder, der nach ausgiebigem Kampfsaufen noch kann, schnappt sich eine ‘Gau-Schlampe’ – ob sie will oder nicht."

Jenseits solcher Illustriertengeschichten spielt sich die politische Auseinandersetzung ab zwischen der Republikaner-Fraktion im Stuttgarter Landtag und einer Regierung, in deren Auftrag ein beamteter "Verdeckter Ermittler" Neonazis rekrutierte, ausbildete – und mutmaßlich Straftaten beging. Dabei reicht die politische Dimension weit über die juristische hinaus. Die Berichterstattung der Medien und der Ausgang des Prozesses entscheiden darüber, ob der Skandal zuletzt als Affäre Amann/Republikaner oder als Affäre Reichert/SPD-Innenminister in die Annalen der Landesgeschichte eingehen wird.

Bisher ist die Rechnung der SPD aufgegangen

Während im Interesse der Sozialdemokraten Presseberichte über den "Helden" Reichert und den "Straftäter" Amann lanciert werden, will die Republikaner-Fraktion mit einem Entschließungsantrag an den Landtag zum "Beschaffungsextremismus" der Landesregierung kontern.

Bisher ist die SPD-Rechnung aufgegangen, denn was als Straftat verfolgt wird, entscheiden von ihrer Landesregierung weisungsabhängige Behörden. Und was ein Skandal ist, entscheiden Stern und Kennzeichen D.


 
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