© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/98 22. Mai 1998

 
 
Extremismus: Autonome kritisieren die Auflösungserklärung der RAF
Option für Neuanfang
von Roland Heilmann

Nun löst sich also ein Verein auf, der eine Generation von Linken und Linksradikalen mitgeprägt hat. Ein Verein, der zu starkem Widerspruch immer wieder herausforderte, dessen Aktionen vielfach nur Kopfschütteln unter uns hervorriefen", heißt es in der Autonomen-Zeitschrift Interim zu der vor vier Wochen bekanntgewordenen Auflösung der Roten-Armee-Fraktion (RAF).

Mit der auf März datierten achtseitigen Erklärung gehört die "Stadtguerilla in Form der RAF" der Vergangenheit an. Entsprechend diesem Einleitungssatz gestalteten sich die Mediennachrufe weitgehend rückwärtsgewandt. Auch die im linksextremen Spektrum angesiedelte Wochenzeitung Jungle World, das zweiwöchig erscheinende Autonomen-Info Interim sowie die verbotene, inzwischen aber unter neuer Redaktion erscheinende radikal sind da keine Ausnahme.

Auf "geradezu peinlich flachem Niveau" beschreibe die RAF "historische Kontinuitäten vom Nationalsozialismus zur kapitalischen Demokratie", so Wolf-Dieter Vogel in Junge World. Bemängelt wird vor allem die lückenhafte und einseitige Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Nur bei dem Satz "Es war ein strategischer Fehler, neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation aufzubauen" kämen die RAFler "an einen Punkt, den es lohnen würde weiterzudiskutieren". Enttäuscht zeigt sich Vogel über die Erkenntnis, daß militante Angriffe nicht mehr als eine "taktische Option einer umfassenden Befreiungsstrategie" sein können. Mit derlei halbseidenen Erklärungen könne sich die Linke nicht zufrieden geben. Denn: "Um aus gemachten Fehlern für eine neue militante Organisierung zu lernen, braucht es eine andere Aufarbeituung, als sie die letzten Illegalen der RAF jetzt geboten haben", so der Jungle World-Kommentator.

Buchautor Oliver Tolmein ("Stammheim vergessen") wärmt in der gleichen Ausgabe seine schon mehrfach geäußerte Kritik an dem "als Antizionismus verkleideten Antisemitismus" in RAF-Bekennerscheiben erneut auf und bemängelt, daß "nie eine distanzierende Klarstellung" erfolgt sei, auch nicht in dem neuerlichen Schreiben der RAF. Im Gegenteil: Wie selbstverständlich werde noch heute der "GenossInnen" der palästinensichen PFLP gedacht, einer Organisation, deren Ziel die Zerstörung des Staates Israel gewesen sei. Auch in der Liste der Toten, der die RAF am Ende des Schreibens gedenke, seien Personen, die sich vor allem durch ihren Kampf gegen Israel hervorgetan hatten. Indem die RAF diesen gesamten "Komplex aus ihrer Abschiedserklärung ausblendet", so Tolmein, "leistet sie einer Sichtweise auf ihre eigene Geschichte Vorschub, die Heroismus und militärische Aspekte in den Vordergrund rückt".

Mit Genugtuung liest Interim-Autor "Helmut Heißenbüttel" in der Erklärung die Passagen der Selbstkritik, was in der Geschichte der RAF ein Novum sei. "All diejenigen, die die aktuelle Politik der RAF wagten zu kritisieren, waren in den Augen der RAF fast schon auf seiten der Schweine" und finden auch in dieser letzten Erklärung zu seinem Bedauern praktisch keine Erwähnung. Hätte die RAF früher auf die Kritik militanter Gruppen wie der Revolutionären Zellen (RZ) oder Strömungen wie die Anti-AKW-Bewegung gehört, "wäre ihr vielleicht ein solches Ende erspart geblieben". Die Erkenntnis, die RAF habe sich selbst isoliert, "kommt reichlich spät".

Die eigentlich spannende Frage bei der Betrachtung des Ablebens der RAF und die Reaktionen militanter Linksextremisten darauf ist die nach dem Danach, denn nach Ansicht der interim-Redaktion war "Euer politischer Kampf immer wichtig, als eine radikale Option politischen Handelns, die als Möglichkeit nicht verloren gehen darf".

Eine Antwort darauf liefert die soeben erschienene radikal-Ausgabe. "Revolutionäre Politik muß sich die Fähigkeit bewahren, staatlich und gesellschaftlich vorgegebene und oftmals repressiv abgesicherte Grenzen zu überschreiten", schreibt die neu konstituierte Redaktion in einem Vorspann. Deshalb gelte es, "verdeckte Strukturen weiter zu entwickeln". In diesem Sinne versteht das radikal-Umfeld die Auflösung der RAF durchaus als Chance, denn militanter Widerstand sei auch "wichtig und legitim!": "Angesichts der Verhältnisse muß die Option auf klandestine Organisierung und Aktionen weiterbestehen. Es muß nicht die RAF sein. Ein Projekt aufzugeben, welches in 21 Jahren nicht zu den gewünschten Veränderungen der Starre und Eingegrenztheit geführt hat, kann nicht verkehrt sein. Vielleicht ist ein Schlußstrich unter das Alte für einen Neuanfang förderlich." Denn die Option, "es mit Widerstand ernst zu meinen, könnte der zukünftigen Linken fehlen."

Wer angesichts der RAF-Auflösung von einem Ende des Terrorismus fabuliert, der übersieht erstens, daß die RAF und ähnliche Spittergruppen zum Erliegen gekommen waren und zweitens, daß im Untergrund arbeitende Gruppen wie die RAF längst von einem "Feierabendterrorismus" abgelöst wurden. Der Kampf militanter Autonomer gegen das verhaßte "System" ist keineswegs beendet. Die Auflösung macht lediglich den Weg frei für neue organisatorische Strukturen, frei nach dem radikal-Motto: "Die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waffen nicht ersetzen!"


 
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