© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Pankraz, Big Blue und die Vorteile des Sichwegmanagens

 

Neulich hörte Pankraz wieder einmal bei den Betriebswirten hinein. Eine Vorlesungsankündigung hatte es ihm angetan; sie lautete: "Statt Made in Germany jetzt Managed in Germany". Gleich zu Beginn schärfte der Professor seinen Studenten ein, daß "Outsourcing" das Gebot der Stunde sei. "Viel Outsourcing, mehr Rendite!" Früher habe "Outsourcing" nur die Auslagerung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) aus einem Betrieb in ein speziell für Fragen der EDV geschaffenes Fremdunternehmen bedeutet, inzwischen werde aber alles und jedes "outgesourct" (er meinte: aus dem Stammbetrieb ausgelagert): die Versandtätigkeit, der LKW-Fuhrpark, die Stabsabteilung für "aktive Kreierung neuer Kundenbedürfnisse".

Je weiter die Sitzung fortschritt, umso deutlicher wurde, daß es hier in dieser Vorlesung gar nicht mehr um den simplen Abbau innerdeutscher Arbeitsplätze durch Fertigungsexport in billigere Länder ging, sondern daß das einheimische Management selbst zur Disposition gestellt wurde. Mit ätzendem Humor sprach der Professor von gewissen mittleren Unternehmen, die "im Zeitalter der breiten Spitze" immer noch nicht kapiert hätten, daß ein gnadenloser Kampf um die "Kostenführerschaft" entbrannt sei, den nur derjenige bestehen könne, der "auch im Bereich der Auftragsabwicklung, im Service und in der Administration konsequent jede Verschwendung und Blindleistung aufspürt und eliminiert".

Dann bat er einen etwas verschüchtert wirkenden, wenn auch sehr gut gekleideten Herrn aufs Podium, den er als Besitzer eines typischen mittleren Unternehmens, eines Verlags- und Druckereibetriebes, vorstellte und mit dem er eine Art Interview veranstaltete. "Herr Sowieso", fragte er, "Sie haben Ihren Betrieb in wichtigen Teilen outgesourct. Resultierte Ihre Entscheidung in erster Linie aus wirtschaftlichen Überlegungen oder daraus, daß Sie jene Teile nicht als Ihre Kernkompetenz definierten?"

Herr Sowieso antwortete beredt und elegant: "Es standen natürlich wirtschaftliche Überlegungen im Mittelpunkt für die Outsourcing-Entscheidung. Gleichwohl ist es aber so, daß wir Kompetenzen behalten werden und in erster Linie Rechnerleistungen einkaufen."

Der Professor fragte weiter: "Wie haben Ihre Mitarbeiter auf Ihre Outsourcing-Entscheidung reagiert?" Herr Sowieso: "Wir hatten die Maßnahmen früh angekündigt, trotzdem gab es bei langjährigen Mitarbeitern Enttäuschung und Zurückhaltung. Allerdings konnten ihnen in einer Informationsveranstaltung und weiteren Gesprächen gemeinsam mit der IBB Vertrauen aufgebaut und neue Perspektiven eröffnet werden."

Und Herr Sowieso echauffierte sich fast ein wenig und fuhr fort: "Zweifellos verbergen sich hinter den gesamten Auslagerungs-Strategien primär wirtschaftliche Überlegungen. Sie haben aber zu einem Umdenken geführt, denn in der Vergangenheit bestand bei uns wie in anderen Unternehmen vermutlich auch keine große Neigung zum Outsourcing. Doch die Möglichkeiten, sich von bestimmten Nebenleistungen trennen zu können, sind bei pragmatischer Betrachtung ein Vorteil, den man heute nicht mehr verweigern darf."

Das Interview mit Herrn Sowieso war der Höhepunkt der Vorlesung. Der Professor erzählte anschließend noch einiges über "schlankere Strukturen", über "modulare Organisationsstrukturen" und darüber, daß in den Unternehmen "durch ein beharrliches Einwirken von Meinungsführern und Promotoren auf die Mitarbeiter dafür zu sorgen ist, daß der Veränderungsprozeß aus der Haftreibung in die Gleitreibung überführt wird und nicht zurückfällt". Aber bei Pankraz war der Groschen schon gefallen. Es gab bei ihm keine mentale Haftreibung mehr.

Wie hatte Herr Sowieso gesagt? "Gespräche mit den Mitarbeitern gemeinsam mit der IBB". Also war es die IBB, die in seinem Betrieb die EDV übernahm. Und wer ist die IBB? Ist sie nicht ein Tochterunternehmen des amerikanischen Riesenkonzerns IBM, jenes legendären "Big Blue", der als Computerhersteller begann, längst jedoch überall als der größte Outsourcing-Vertragspartner agiert, mit einem geschätzten Vertragsvolumen von gut sechzig Milliarden Dollar?

Sieh einmal an, sagte sich Pankraz, da machen Professoren in deutschen Betriebswirtschafts-Seminaren ganz ungeniert Reklame für IBM, fördern den Abbau oder zumindest die radikale "Verschlankung" des einheimischen Managements, und das Ganze läuft unter dem Titel "Managed in Germany statt Made in Germany". Die armen deutschen Manager! Wenn sie sich nicht ganz schnell bei IBM bewerben, wird es bei ihnen (Originalton Herr Sowieso) "Enttäuschungen" geben, die Gleitreibung wird sie möglicherweise ins Nichts abrutschen lassen.

Und Herr Sowieso selbst? Droht nicht auch ihm, als typischem Vertreter des deutschen Mittelstands, die Gleitreibung? Seine pragmatischen Betrachtungen über die Vorteile des Outsourcings klangen, wenn man genau hinhörte, nicht unbedingt fröhlich. Gut möglich, daß er außer den "bestimmten Nebenleistungen" demnächst seinen ganzen Betrieb wird outsourcen müssen.

Und die Studenten, die so fleißig mitschrieben? Pankraz mußte daran denken, wie ihm kürzlich der Prorektor einer Ingenieurfachhochschule sein Leid geklagt hatte. "Unsere Ingenieurklassen sterben aus", barmte der Prorektor, "kein Schulabgänger will mehr Ingenieur studieren, nicht einmal mehr Volkswirtschaft. Alle drängen in die Betriebswirtschaft, alle wollen die schnelle Mark, beziehungsweise den schnellen Euro oder Dollar. Wo soll das hinführen?"

Ja, wo soll das hinführen. Vielleicht führt es dazu, daß sich demnächst das deutsche Management erfolgreich selber wegmanagt. Dann wird wenigstens Platz für neue, unverquaste Generationen, deren Träume gar nicht unbedingt immer nur Dollar heißen müssen.


 
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