© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/98 29. Mai 1998

 
 
Potsdam: Ein Kulturbanause geht. Ein Buch zum abgerissenen Stadtschloß erscheint
Die Rache des verschmähten Erbes
von Elvira Seidel

Nicht nur in Potsdam wurde nach dem Bürgerentscheid vom 17. Mai gegen den seit 1990 amtierenden Oberbürgermeister der brandenburgischen Landeshauptstadt, Horst Gramlich (früher SPD, seit seiner Abwahl parteilos) aufgeatmet. Im Vorfeld war es unerwartet schwierig, das allgemein greifbare Unbehagen an Gramlich mit Fakten zu untermauern, denn die sozialen und anderen Parameter Potsdam sind gar nicht so schlecht. Ausschlaggebend war schließlich seine Unfähigkeit zur Kommunikation und zur Außendarstellung. Schaut man genauer hin, hängt dieses Manko eng mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem reichen Potsdamer Kulturerbe zusammen. Seine Art und Weise, mit den berühmten Schlösser- und Parkanlagen und einer trotz Kriegszerstörungen und sozialistischer Bausünden immer noch bemerkenswerten Altstadt umzugehen, hat Potsdam im In- und Ausland den Ruf als Hort der Kulturbanausen eingebracht.

Erst wurde das Glienicker Horn, ein bewaldeter, zur Babelsberger Parkanlage gehörender Landzipfel an der Havel gegenüber dem Glienicker Jagdschloß mit Stadtvillen für Gutbetuchte verbaut und so eine der reizvollsten Havelansichten zerstört. Noch schlimmer war die Planung eines großdimensionierten, zentral gelegenen "Potsdam-Centers" mit Büro-, Gewerbe- und Wohnflächen, das die Maßstäbe der kleinteilig angelegten preußischen Residenzstadt völlig aus dem Gleichgewicht bringen und Sichtachsen verstellen würde. Bund, Land und die Unesco intervenierten. Letztere drohte, Potsdam auf ihre "rote Liste" des bedrohten Weltkulturerbes zu setzen. Unreflektierte Anti-Preußen-Ressentiments aus sozialistischen Zeiten (die sich bevorzugt an preußischer Baukunst austobte) und krude Profitgier gingen unter Gramlich Hand in Hand. Seine Unfähigkeit, die daraus entstehenden Probleme für das Image der Stadt auch nur zu erkennen, machte ihn untragbar, das mißachtete Kulturerbe rächte sich. Eine der ersten Meldungen nach der Abwahl betraf das "Potsdam-Center", dessen Umfang gegenüber den ursprünglichen Planungen um zwei Drittel reduziert werden soll.

Die aufgebrochenen Konflikte haben historische Tiefendimensionen, die sofort die Erinnerung an die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und die ideologisch motivierten Abriß- und Bausünden aus DDR-Zeiten hervorrufen. Am 14. April 1945 legte ein englischer Bombenangriff das Gebäudeensemble am Alten Markt samt Stadtschloß und Schinkels Nikolai-Kirche in Trümmer. Die Kirche wurde 1981 wiedereröffnet, die rekonstruierbare Schloßruine aber und weitere kulturhistorisch wichtige Bauten der Umgebung wurden 1959/60 auf Anweisung Walter Ulbrichts gesprengt. Damit verlor Potsdam nach Ansicht des Generaldirektors der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Hans-Joachim Giersberg, sein "Herz", das heißt sein administratives, geistiges, künstlerisches Zentrum. Heute rollt über den Schloßgrundriß der Verkehr, in einem Allerweltshochhaus ist ein Hotel untergebracht, das Gelände um die Nikolai-Kirche ist kahl. In der Nähe wird am "Potsdam-Center" gebaut. "Potsdam steht noch immer vor der Frage, wie es mit seiner Mitte umgehen soll. Stünde das Schloß noch, gäbe es keine Diskussion", so Giersberg.

Als eigenen Diskussionsbeitrag hat er gerade den gewichtigen, ja kostbaren Bildband "Das Potsdamer Stadtschloß" vorgelegt, der die architektonische und geschichtliche Bedeutung dieses Baus, dessen Anfänge in das 13. Jahrhundert zurückreichen und der unter Friedrich II. seine weitgehende Vollendung erfuhr, erinnert. Friedrich II. bevorzugte Potsdam gegenüber Berlin als Residenz, im Stadtschloß nahm er sein Winter- und in Sanssouci sein Sommerquartier. In das städtebauliche Gesamtkunstwerk war die Flußlandschaft miteinbezogen; Kolonnaden verbanden das Schloß mit der Havel und schirmten die königlichen Gärten diskret ab. Zu Beginn des 20. Jahrunderts hatte es seine Residenzfunktion verloren und wurde museal. In den 20er Jahren wurde es der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten unterstellt; in seinen Räume waren auch profane Einrichtungen wie Arbeitsamt, Magistratssitzungssaal und das Arbeitszimmer des Stadthistoriographen untergebracht. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, den kriegszerstörten Bau für vergleichbare Zwecke wiederzuerrichten, doch verfügte das SED-Politbüro 1959: "Über den Abriß des Schlosses ist in der Stadtverordnetenversammlung ein Beschluß herbeizuführen und mit dem Abriß zu beginnen."

Diese Zerstörung einer städtebaulichen Idee hat geistig-kulturelle Langzeitfolgen für die Stadt, die der stocksteife, stets trottelig wirkende Bürokrat Gramlich bis vor wenigen Tagen perfekt repräsentierte, ja personifizierte. Seine Abwahl könnte ein Indiz für einen neu entstehenden Bürgergeist sein. Es ist denkbar, daß mit der fälligen städtebaulichen Diskussion auch der Wiederaufbau des Schloßkörpers stärker ins Blickfeld kommt. Allerdings wäre dieser Bau nur in privater Finanzierung möglich.

 

 

Literaturhinweis: Hans-Joachim Giersberg: "Das Potsdamer Stadtschloß", Potsdamer Verlagsbuchhandlung, 330 Seiten, mit zahlr. Abb., 98 DM


 
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