© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
Energiepolitik: Der europäische Strommarkt wird liberalisiert
Kernkraft verliert Anteile
von Roland Schroeder

Die Kommunen in Deutschland wollen die Monopolgewinne ihrer Stadtwerke ins neue Jahrtausend retten. Zwar hat die Europäische Union (EU) im Februar 1997 beschlossen, daß der Strommarkt innerhalb von zwei Jahren liberalisiert werden solle. Doch das schert die Kommunen hierzulande wenig. Denn mit ihren Gewinnen wäre es vorbei, könnte sich der Verbraucher seinen Energielieferanten europaweit auswählen.

Verhindern können die Kommunen den gemeinsamen Strommarkt aber nicht. Die grundgesetzlich verankerte Selbstverwaltung der Gemeinden bei der Strom- und Gasversorgung kann nach Auffassung von Verfassungsrechtlern nicht als Verpflichtung zur Erhaltung von Energieversorgungsmonopolen instrumentalisiert werden. Der politische Druck aber ist enorm. Unterstützung erhalten die Gemeinden aus den Reihen der Opposition. Die SPD möchte mit dem Hinweis auf "gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen" die weitere Abschottung der Strommärkte ermöglichen. Ihr ist allein schon die mit der Liberalisierung einhergehende Senkung der Energiepreise um 10 bis 20 Prozent für Industriekunden ein Dorn im Auge. Eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erwartet sie vielmehr durch die Einführung von Ökosteuern.

Natürlich führt die Liberalisierung des Strommarktes zur Durchsetzung der wirtschaftlichsten Erzeugungsvarianten. Gerade für regenerative Energieträger (Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie) bestehen jedoch Kostennachteile. Auch die Kraft-Wärme-Kopplung könnte einem völlig freien Wettbewerb nicht standhalten. Andererseits findet in liberalisierten Märkten eine Umorientierung der Energieerzeugung statt. Besonders kapitalintensive Arten der Stromerzeugung mit sehr langen Amortisationsphasen werden perspektivisch Marktanteile verlieren. Das betrifft vor allem die Kernenergie und die Kohleverstromung. Wachsen wird die Bedeutung von Erdgas.

Doch so liberal, wie der erbitterte Widerstand verschiedener Lobbyistenverbände und der Anhänger eines eher dirigistischen Staates vermuten läßt, ist das im März diesen Jahres vom Bundestag verabschiedete Energiewirtschaftsgesetz längst nicht. Neben Sicherungen für regenerative Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung soll es befristet bis 2005 auch generelle Privilegien für die Kommunen geben. Schwachpunkt des Gesetzes ist zudem das Problem der Stromdurchleitung. Indem der Gesetzgeber entfernungsabhängige Durchleitungstarife favorisiert, bevorzugt er ortsansässige Anbieter. Wirklicher Wettbewerb könnte nur entstehen, wenn nach US-amerikanischem Vorbild unabhängige Netzbetreiber am Markt agieren würden. Zwar belegen Modellrechnungen, daß durch international wettbewerbsfähigere Energiekosten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung weit mehr Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden als im Rahmen der Liberalisierung des Strommarktes abgebaut werden, doch hinter diesen künftigen Arbeitsplätzen stehen im Moment noch keine realen Menschen. Hinter den von der Liberalisierung bedrohten rund 25.000 Arbeitsplätzen in der Stromwirtschaft aber verbergen sich schon heute reale Schicksale.

Erzwingt man in den neuen Ländern die weitere massive Verstromung der Braunkohle, verwehrt man der dort ohnehin schon gebeutelten Industrie die Preisvorteile durch die Marktliberalisierung. Zudem erfordert die Vielzahl von Ausnahme- und Sonderregelungen eine eigene Aufsichtsbehörde. Trotzdem dürfte insbesondere die Frage der Rechtmäßigkeit der Verweigerung von Stromdurchleitungen durch kommunale Unternehmen regelmäßig erst durch die Gerichte entschieden werden.

Zu allem Überfluß wird der nicht vorhandene energiepolitische Konsens der etablierten Parteien dafür sorgen, daß das ohnehin noch sehr interpretationsbedürftige Energiewirtschaftsgesetz noch längst nicht das letzte Wort ist. Um die Blockade der SPD im Bundesrat zu umgehen, mußte die Bundesregierung das Gesetz zur Liberalisierung so gestalten, daß es keiner Zustimmung des Bundestages bedurfte. Die SPD allerdings bezweifelt die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens und erwägt den Gang zum Bundesverfassungsgericht.

Ohnehin kann jede Landtagswahl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft dramatisch verändern. Für eine Branche mit jährlichen Milliardeninvestitionen und hunderttausenden Arbeitsplätzen ist ein Planungshorizont über Jahre und Jahrzehnte nötig. Das politische System in Deutschland kann diese Investitionssicherheit schon längst nicht mehr bieten. Ein Punkt mehr, in dem sich das Versagen der Politik, zum Standortrisiko entwickelt hat.


 
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