© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
Wahlkampf: Auf den Spuren von Kohls neuem Medienberater Hans-Hermann Tiedje
Erst in die Beine, dann in den Kopf
von Andreas Wildt

Der Mann ist ein Prolet", sagen seine Gegner und Neider. Aber ist er nicht vielmehr ein Erzkapitalist von der eher dubiosen Sorte, ein Abzocker, der den Proleten nur spielt? Seine Allüren eines Neureichen, die dicke Zigarre, das laute, joviale Gehabe, die affenartige Geschwindigkeit, mit der er von einem Tag auf den anderen die Überzeugungen wechselt: Hans-Hermann Tiedje (49), Helmut Kohls neuer Wahlkampfberater, verkörpert geradezu in Reinkultur, was man einmal "den typischen Westdeutschen" nannte, ein Produkt der Schwarzmarktzeit und der Umerziehung, des Sichanpassens um jeden Preis.

Seine Laufbahn begann Tiedje 1973 im Springer-Konzern, beim Hamburger Abendblatt und in der Welt, wo er als abgebrochener Politik- und Jura-Student ein Zeitungsvolontariat absolvierte und durch drastische Meinungsäußerung auffiel. Er wirkte da gar nicht so uneben, schließlich gehörte damals, in den siebziger Jahren, ein gewisser Mut dazu, offen für die Wiedervereinigung einzutreten oder sich auf der Fernsehseite mit ätzendem Spott über die grassierende Linkskultur lustig zu machen.

Will Tremper holte ihn zur Bunten, und von da an ging es mit seiner Karriere steil bergauf, im selben Takt, wie es niveaumäßig steil nach unten ging. Noch heute erzählen sich Kollegen aus dieser Zeit gern Geschichten, in denen Tiedje wahlweise als "Trüffelschwein" oder "Witwentröster" eine Rolle spielt. Seine Witze und Pointen wurden immer gröber und flachsinniger, der Krawall um des Krawalls willen sein Geschäftsprinzip. Er lernte, wie man Leute fertigmacht, sie vom Unterleib her in trübe Beleuchtung bringt. "Beinschuß, Bauchschuß, Kopfschuß" – das wurde nun seine Devise. Und er hatte Erfolg damit, stieg binnen kurzem zum Chefredakteur auf und fand Zugang zur sogenannten Prominenz, auf deren Partys er Anekdoten zum Besten gab und Beziehungen knüpfte.

Unter Peter Tamm wurde er 1989 Chef der Bild-Zeitung und hatte das unwahrscheinliche Glück, daß kurz darauf der Zusammenbruch des Kommunismus und die deutsche Wiederverenigung erfolgte. Wie Helmut Kohl in Bonn, ergriff Tiedje in Hamburg die einmalige Chance und stellte sich rechtzeitig an die Spitze der Bewegung. In dieser Phase schrieb er Zeitungsgeschichte, brachte viele folgenreiche Exklusiv- bzw. Vorabstorys aus den inneren SED- und KPdSU-Zirkeln, umrandete sein Blatt mit schwarz-rot-goldenen Rautenkränzen: "Deutschland freue dich!" Die Seite eins der Bild-Zeitung gestaltete Tiedje zum Wohlgefallen des Bonner Kanzlers "so national, daß in den Springer-Druckereien die Farben Rot und Gold knapp wurden", wie der Rheinische Merkur rückblickend vermerkt.

Dieses Wohlgefallen Helmut Kohls endete schlagartig am 27. Februar 1991. An diesem Tag legte Tiedje ein Foto von Helmut Kohl quer über die Seite eins der Bild-Zeitung und formulierte dazu die Schlagzeile: "Der Umfaller". In seinem Kommentar ("Erklären Sie uns das, Herr Bundeskanzler!") rempelte der Blattmacher den Bonner Regierungschef rüde an: "Jetzt haben wir die Steuerlüge, und der Kanzler hat dafür geradezustehen."

Zweimal kassierte Tiedje eine Millionen-Abfindung

Fortan waren die Tage des Bild-Chefs gezählt. Als Tiedje bald nach der Wende merkte, wie der Hase lief, daß in der Branche – und nun sogar im Hause Springer – weiterhin die linke Masche gestrickt wurde, war es für ihn schon zu spät, um noch die Kurve zu kriegen. Im Mai 1992 wurde Tiedje als Chefredakteur der Bild-Zeitung geschaßt; mit einer satten Abfindung von knapp drei Millionen Mark verließ er den Konzern, kam aber schon bald bei der Konkurrenz unter, im Hause Bertelsmann. Dort wurde er beauftragt, für den Gruner+Jahr-Verlag einen "Stern für Analphabeten" auf die Beine zu stellen, gewissermaßen eine Produkterweiterung nach unten.

Als die von Tiedje als "neue Info-Illustrierte" angepriesene Zeitschrift unter dem Titel Tango erstmals Ende September 1994 erschien, erlitten selbst Tiedje-Freunde einen mittelschweren Schock. Das Produkt war noch schlimmer, als Pessimisten befürchtet hatten; es stank geradezu nach der neuen "Political Correctness". Hinterhältige Fußtritte gegen die junge freiheit ("Ultrarechte auf dubioser Geldsuche") verbanden sich mit ungenierter PR-Arbeit für abgedankte Kommunistengrößen wie den Ex-Devisenbeschaffer der DDR, Stasi-Oberst Alexander Schalck-Golodkowski ("Ich war der Mann des Westens!"), der den Tango-Schreibern in den Block diktieren durfte, "wie er der deutschen Einheit den Weg bereitete". Tiedje hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht und verkaufte diesen Dreh auch noch in seiner großmäuligen Art als allerletzten Schrei eines modernen Journalismus.

Doch nur acht Monate später war Schluß mit lustig. Ende Mai 1995 wurde Tango wieder eingestellt, und Tiedje verbreitete, die Bertelsmänner hätten ihn absichtlich und sehenden Auges ins Verderben laufen lassen, um ihren Stern zu disziplinieren. Er erlitt einen Karriereknick und verzog sich mit einer neuerlich satten Abfindung von diesmal rund 3,3 Millionen Mark nach Oberbayern, wo er die PR-Agentur "TV Media" gründete und als einen der ersten Klienten Schalck-Golodkowski unter seine Fittiche nahm. Weitere Kunden der Agentur wurden Popsänger (Dieter Bohlen), Schauspieler (Rolf Zacher), Boxer (Darius Michalczewski) oder auch Journalistenkollegen (Hellmuth Karasek), für die Tiedje Auftritte in diversen Talkshows organsierte. Auch dem SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder soll er seine Dienste angeboten haben, doch der habe ihn höflich abblitzen lassen.

Nun betreut Hans-Hermann Tiedje also den amtierenden Kanzler. Die Nachricht dieser Personalentscheidung Kohls schlug in Bonn Anfang voriger Woche wie eine Bombe ein. Seither fragt sich jedermann, was Tiedje eigentlich machen will, um Kohl in letzter Minute noch aufzupeppen. Die meisten Beobachter tippen auf "Schlammschlacht", Tiedje sei, wie seinerzeit Rainer Pfeiffer in Kiel, "der Mann fürs Grobe". Aber wie soll ausgerechnet ein Schalck-Golodkowski-Berater einigermaßen glaubhaft "Rote-Socken"- bzw. "Rote-Hände"-Kampagnen organisieren?

Für die Wähler im Osten ist Tiedje ein "Besserwessi"

Zudem soll Tiedje dem Vernehmen nach von Kohl dazu ausersehen sein, alles Aufgetakelt-Intellektuelle aus dem Wahlkampf der CDU/CSU zu verbannen, dem der Sachlichkeit verdächtigen Wolfgang Schäuble kräftig in die Parade zu fahren und die vielzitierte Luftherrschaft über die Stammtische zu erringen. Aber auch das hat seine Schwierigkeiten, denn Tiedje ist kein "Mann des Volkes", sondern ein Exponent des Schickimicki-Milieus. Vor allem für die Wähler im Osten ist er sofort als prahlerischer "Besserwessi" erkennbar.

Für Tiedje selbst allerdings hat sich seine Berufung ins Bonner Adenauer-Haus bereits jetzt gelohnt, auch wenn er angeblich kein Honorar für die Kohl-Beratung erhalten sollte. (Nach Informationen des Spiegel bekommt Tiedje rund 200.000 Mark plus Spesen, der Rheinische Merkur spricht sogar von 500.000 Mark). Bei einem für den Kanzler erfolgreichen Wahlausgang stünden Tiedje buchstäblich alle Türen offen – bis hin zu Kohls Medienberater im Kanzleramt, wenn Andreas Fritzenkötter wie angekündigt nach der Wahl ausscheidet. Und selbst Regierungssprecher könnte Tiedje werden.

Geht die Wahl für Kohl verloren, stünde Tiedje immer noch als ein Mann des politischen Mittelpunkts da, aus der bayerischen Provinz zurück ins gleißende Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit katapultiert, ein Tausendsassa und Nothelfer. Der Neid der Kollegen, der ihm derzeit in Bonn entgegenschlägt, ist denn auch beträchtlich.


 
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