© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/98 05. Juni 1998

 
 
50 Jahre Luftbrücke: Der erste und aktivste Pilot erinnert sich an die Versorgung Berlins
"Die Aktion war ein teurer Fehler"
von Kai Guleikoff/Georg Willig

Herr Bennett, Sie haben als Pilot die Luftbrücke eröffnet. Wie kamen Sie zu diesem Auftrag?

Bennett: Zu Beginn des Jahres 1946 wurde ich Europadirektor der privaten Fluglinie American Overseas Airlines (AOA). Mit sechs zweimotorigen DC-3 baute ich in Frankfurt am Main die deutsche Filiale auf. Die Zusammenarbeit mit der US Air Force war dabei zwangsläufig sehr eng, weil Treibstoff und Bodenausrüstungen oft nur mittels Bestechung "organisiert" werden konnten. Am späten Nachmitttag des 23. Juni 1948 rief mich die Air Force an: "Können Sie heute abend Kohlen nach Berlin fliegen?" Im Verlauf des Gesprächs wurde angedeutet, daß es Hinweise gäbe für eine längere Unterbrechung der Zufahrtswege nach Berlin durch die Sowjets. Nach 20 Uhr startete ich dann mit einer schnell zusammengestellten Crew und brachte zuerst acht Tonnen Kartoffeln nach Berlin.

Offensichtlich traf die Blockade der Landwege die Westalliierten überraschend. Wie lange dauerte es, bis die Militärs die Versorgung aus der Luft übernehmen konnten?

Bennett: Obwohl bereits seit Monaten die Sowjets immer wieder Katz’ und Maus mit den Westalliierten wegen der Zufahrtswege gespielt hatten, standen der Air Force nur zwei DC-4 als große Transporter in Europa zur Verfügung – und die waren nicht in Deutschland. Auch die Briten hatten nur DC-3-Maschinen. Bis zum 26. Juli 1948 flog ich allabendlich allein für die Luftbrücke, danach mit der US Air Force. Die Briten beteiligten sich vom 30. Juni an, die Franzosen gar nicht, angeblich wegen des Indochina-Krieges. Die DC-4, mit der ich am 23. Juni nach Berlin flog, erwies sich als als wesentlich geeigneter als die zweimotorige und viel langsamere DC-3, die nur fünf Tonnen Nutzlast aufnehmen konnte. Alle verfügbaren DC-4 aus Texas, Japan, Alaska wurden nach Frankfurt am Main beordert und dort umgebaut, um Transportraum zu gewinnen. Am vierten Tag konnten schon 384 Tonnen Versorgungsgüter eingeflogen werden, Mitte Juli 1948 waren es bereits täglich 1.500 Tonnen. Innerhalb weniger Wochen hatten wir 224 DC-4 im Einsatz.

Wie haben Sie als Pilot diese Zeit erlebt?

Bennett: Mir hat es großen Spaß bereitet! Wer bereits als Junge in einem Flugzeug saß und es heute noch immer mit einem Glücksgefühl tut, kann einfach nicht anders antworten. Wir zivilen Piloten hatten es einfacher als die meisten Air Force-Leute. Heute scheint es kriminell, im Blindflug unerfahrene Militärpiloten für eine solche Rund-um-die-Uhr-Aktion bei jedem Wetter einzusetzen. Von Wiesbaden oder Frankfurt aus flogen 70 Flugzeuge jeweils im Block: von 6 bis 12 Uhr, von 12 bis 18 Uhr und so weiter. Geschwindigkeit war 272 Kilometer pro Stunde in 1700 bis 2300 Meter Höhe. Mit der Genauigkeit eines Metronoms bewegten wir uns auf Berlin zu. Wer seinen Landeanflug nicht schaffte, mußte durchstarten und beladen durch den mittleren Korridor zurückfliegen. Das schlechte Winterwetter über Europa und das stundenlange Fliegen nach Instrumenten brachten viele Piloten häufig genug an den Rand der völligen Erschöpfung. Die Toten und Verwundeten der Luftbrücke sprechen eine deutliche Sprache.

Wie schätzen Sie den Zustand der damaligen Berliner Flughäfen ein?

Bennett: Schwierig bis miserabel. Tempelhof kannte ich aus der Zeit vor dem Krieg. Für unerfahrene Piloten, überhaupt für Massenverkehr war er denkbar ungeeignet. Die angrenzenden Wohnhäuser mußten ganz niedrig überflogen werden, und ein hoher Brauerei-Schornstein stellte eine zusätzliche Gefahr dar. Gatow konnte auch nicht ausgebaut werden, obwohl hier die Amerikaner anfänglich über den südlichen Korridor einflogen, und die Briten den nördlichen Korridor aus Richtung Hannover benutzten. Zur Entlastung errichteten die Briten den Wasserlandeplatz Wannsee. Ende Juli 1948 übernahm US-General Tunner die Gesamtaufsicht über die Luftbrücke. Der ehemalige deutsche Übungsplatz Tegel wurde zum Bau eines zusätzlichen Flughafens bestimmt. Die Arbeiten begannen am 5. September, und am 5. November 1948 landeten hier bereits die ersten Flugzeuge. Zehn Millionen Ziegelsteine aus dem Bauschutt zerstörter Häuser waren in nur zwei Monaten verbaut worden. 17.000 Berliner, davon weit mehr als ein Drittel Frauen, bauten hier – ähnlich wie in Tempelhof – Rollbahnen für die Sicherstellung ihrer eigenen Versorgung. Eine großartige Leistung!

Sie sind mit einer Deutschen verheiratet und leben in Berlin. Was verbindet Sie mit unserem Land?

Bennett: Mein Leben. Das können Sie am besten nachlesen in meiner Biographie "40.000 Stunden am Himmel: 24.000 Flüge nach Berlin". Ohne die Luftbrücke wäre ich nicht ein so erfolgreicher Pilot gworden. Ich liebe an Deutschland die Kultur, den Fleiß der Bürger und die Präzision der Menschen in ihren Tätigkeiten. Ich hätte als Pilot nie deutsche Städte bombardieren können. Das habe ich in Amerika bei Kriegsausbruch auch so gesagt. Gut, ich war damals schon als Flieger prominent und bekam deshalb keinen Ärger. Gemustert wurde ich für die Marine und zum Leutnant der Reserve ernannt. Die Uniform der US Air Force habe ich nie tragen brauchen. Während des Kriegs war ich mit Triebwerksforschung und Testflügen beschäftigt. 1946 zog es mich sofort wieder nach Deutschland.

Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht das Ereignis Luftbrücke nach Berlin?

Bennett: Heute sage ich, die Aktion war ein teurer Fehler. Nach heutigem Wert hat sie uns etwa zwei Milliarden Mark gekostet – und 78 Tote. General Clay als Militärgouverneur war für den Einsatz von Panzern zur Öffnung der Landwege. Das wäre billiger und wirksamer gewesen. Die Russen haben unsere unbewaffneten Flugzeuge nicht abgeschossen, warum hätten sie sich dann bewaffneten Fahrzeugen entgegenstellen sollen? Diese Chance wurde in Washington verspielt. Die Russen konnten uns ihren Willen aufzwingen. Vielleicht ist dadurch auch Korea und Vietnam eher möglich geworden – und der Bau der Berliner Mauer. Ich habe 35 Jahre in der Nähe der Sowjets gelebt. Leider gibt es wenig Experten für Rußland, und diese Tatsache ist uns teuer zu stehen gekommen, bis heute.

Würden Sie das bitte genauer erklären? Welche Erfahrungen haben Sie mit den Sowjets gemacht?

Bennett: Wenig gute und schlechte. Wie die russischen Besatzungssoldaten sich in Berlin benommen haben, habe ich ohne Rücksichtnahme in meinem genannten Buch geschildert. Auch ich hätte durchaus zu den Nachkriegsopfern zählen können, hätte ich meinen Vorsatz nicht beachtet: Es ist ratsam, nicht gegen den Wind zu spucken, und es ist angebracht, mit Gott auf gutem Fuß zu stehen. – Für die Firma Rockefeller testete ich Anfang der siebziger Jahre in Moskau JAK 40-Flugzeuge, die für Einsätze in Mittel- und Südamerika erwogen wurden. Hier erlebte ich die Mentalität der Russen. Mitten im Flugbetrieb des belebten Zivilflughafens Scheremetjewo mußte ich die Testflüge im Schneegestöber nach Instrumenten absolvieren. Laut Schreiben des sowjetischen Luftfahrtministeriums war mir die Geamtverantwortung übertragen worden. Während des Abschlußfluges wurden mir von der russischen Besatzung zwei der drei Triebwerke abgeschaltet, um die Flugeigenschaften der JAK unter Extrembedingungen zu testen. Kurz vor dem Aufschlag wurden die stillgelegten Triebwerke wieder zugeschaltet: 30 Meter über der Betonpiste. Trotz zahlloser Abschiedsgeschenke habe ich auf ein Wiedersehen mit Rußland verzichtet.

Hatte die Berliner Luftbrücke eine unmittelbare Auswirkung auf die Beziehungen der Deutschen zu den Aliierten?

Bennett: Ganz gewiß. Drei Jahre nach dem Krieg herrschte noch ein sehr gespanntes Verhältnis zwischen den Deutschen und den Besatzungsmächten. Es gab noch aktiven Widerstand. Ich erinnere mich an nachts gespannte dünne Stahlseile, die für Jeep-Besatzungen und Motorradfahrer tödlich sein konnten. Es gab aber auch Annäherungen zum gegenseitigen Vorteil. Die Luftbrücke erzielte einen emotionalen Durchbruch. Die Westberliner Bevölkerung hat sich auch heldenhaft verhalten. Es bestand ja durchaus die Möglichkeit, in Ostberlin nach Registrierung einzukaufen. Genutzt haben diese Möglichkeit nur etwa 100.000 von zwei Millionen Einwohnern der Westsektoren. Gerade die Energieknappheit konnte nie behoben werden, Licht und Heizmaterial gab es nur für Stunden. Die Angst vor der Vereinnahmung durch die Russen schuf ein Bündnis zwischen den Westberlinern und ihren, nun im wahren Sinne des Wortes, Schutzmächten. Auf Dauer war die Luftbrücke nicht aufrecht zu erhalten, und Erleichterung trat ein, als die Russen am 12. Mai 1949 die Landwege von und nach Berlin wieder freigaben. In mehr als 200.000 Flügen waren fast 1,8 Millionen Tonnen Güter eingeflogen worden. Ich war fast täglich dabei gewesen, vom ersten bis zum 462. Tag, und hatte als Pilot mit 1.000 Starts von und nach Berlin bei weitem die meisten Flüge absolviert. Und welch eine Wandlung der Beziehungen zu Deutschland: aus Flugzeugen, die Phosphorbomben geworfen hatten, wurden "Rosinenbomber", aus Besatzern Schutzmächte. Es war die befriedigendste Aufgabe, die ich jemals gehabt habe.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen