© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Politische Prozesse: Der Verteidiger der Republikaner hat ein Buch geschrieben
Mal mehr, mal weniger lustig
von Martin Otto

Deutschland im Jahre 1989. Hundertköpfige Demonstrationszüge marschieren durch das Ruhrgebiet, singen lautstark das "Horst-Wessel-Lied". Eine Verletzung von Sicherheit und Ordnung, zweifelsohne. Doch hat dieser Spuk tatsächlich stattgefunden? Ist der Schoß fruchtbar noch? Laut Aussage von drei Polizeibeamten soll es so gewesen sein. Vor dem Landgericht Bochum sagten sie übereinstimmend aus, das inkriminierte SA-Lied gehört zu haben, und zwar im Rahmen einer Veranstaltung der Partei Die Republikaner. Ist diese also doch verfassungsfeindlich? Doch Glück für die Verdächtigten und Angeklagten: Das verbotene Lied (das die drei Polizisten vorher nachweislich gar nicht gekannt hatten) war bei der fraglichen Demonstration niemals angestimmt worden. Der sicher nicht im Verdacht großer Sympathien für die Republikaner stehende WDR hatte bei der besagten Veranstaltung Filmaufnahmen gemacht. Auf Antrag der Verteidigung wurden diese vor Gericht als Beweismaterial zugelassen; und siehe da: nicht das "Horst-Wessel-Lied", sondern das alte und keineswegs inkriminierte Arbeiterlied "Einst kommt der Tag der Rache" war gesungen worden, und zwar nach der Melodie der SPD-Parteihymne "Brüder zur Sonne, zur Freiheit". "Auf den Plätzen der Verteidigung, der Anklage und der Zuhörer und Zeugen war man teils mehr, teils weniger belustigt", endet Klaus Kunze seinen Bericht über diesen Prozeß. Gegen die drei Polizeibeamten übrigens wurde später wegen Verdachts auf Meineid ermittelt.

Von solchen Jusitzfällen weiß Klaus Kunze ausführlich zu berichten. Als langjähriger Prozeßbevollmächtigter der Republikaner verfügt der Rechtsanwalt aus dem westfälischen Uslar mittlerweile über einen reichen Erfahrungsschatz an derartigen Fällen. In seinem neuesten Buch "Geheimsache Politprozesse" (HeiKun Verlag, 1998, 29,50 DM) hat er nun eine Dokumentation seiner Tätigkeit vorgelegt.

Der Titel erweckt freilich Vorahnungen. "Geheimsache": klingt das nicht alles nach der rechten Wagenburg? Droht dem Leser der -zigtausendste Bericht über die Gängelung des Wahren, Guten, Rechten durch den Staat? Gleich auf der ersten Seite wählt Kunze auch den suggestiven Begriff "Republikanerverfolgung"; er wolle, schreibt er, mit seiner Dokumentation den Leser in "das Innenleben des totalen Parteistaates" führen. Eine markige Wortwahl!

Von Sumpfblüten und Kettenreaktionen

Die Bedenken werden zerstreut. Kunze, dem selbst der linksliberale Extremismusforscher Armin Pfahl-Traughber "geschickte Argumentation auf einem hohen Niveau" bescheinigt hat, spielt in einer hohen Klasse. Rechtes Selbstmitleid sucht man (fast) vergeblich. Den Floskeln der Verfassungsschützer wird nicht mit den Floskeln des beleidigten Rechten begegnet. Stattdessen findet man Fakten, Belege und stringente Argumentation. Gerichtsurteile werden korrekt zitiert; sogar als Sammlung von Fundstellen ließe sich das überdies unterhaltsam geschriebene Buch problemlos verwenden. Kunze schreibt für ein Publikum, bei dem eine juristische Bildung nicht vorausgesetzt werden kann. Und entgegen seinem Berufsbild als "Verteidiger" bleibt er nicht in der Defensive, sondern schreibt in einem frischen, jeder Weinerlichkeit entbehrenden Stil. Er zitiert dabei aus einem reichen Literaturapparat, der Günter Maschke und Jürgen Habermas gleichermaßen einschließt.

Im ersten Kapitel führt der Rechtspraktiker in das Wesen des Verwaltungsprozesses und die Praxis des Verfassungsschutzes ein. Das geschieht sachlich und ohne Polemik. Für eine Abschaffung des Verfassungsschutzes plädiert Kunze nicht, obwohl das bei seiner starken Betonung der Individualgrundrechte erwartet werden könnte. Kritisiert wird die sogenannte Sumpfblütentheorie, die seit einiger Zeit Maßstab des Verfassungsschutzes für die Beobachtung "rechter" Gruppierungen ist. Diese Theorie besagt: Aus "hunderten, ja tausenden von seriösen Büchern, Zeitungen, anspruchsvollen Druckschriften und Flugblättern wird ein halbes Dutzend Sumpfblüten" willkürlich herausgegriffen und kompiliert, und schon hat man seine Verfassungsfeinde. Im sauerländischen Plettenberg etwa verbreitete die Ortsgruppe der Republikaner ein "Neues Deutschlandlied" mit einem offen rassistischen Inhalt (von der Verunglimpfung der Nationalhymne und dem dürftigen Niveau ganz zu schweigen). Für den Verfassungsschutz war das ein gefundenes Fressen; bis heute taucht das "Neue Deutschlandlied" als Schlüsseltext in dem gängigen Schrifttum zum Rechtsradikalismus und zu dem, was dafür gehalten werden soll, auf. Eine solche Sumpfblüte löst eine staatliche Kettenreaktion aus: Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, Beobachtung der jeweils verantwortlichen Partei durch den Verfassungsschutz unter Zuhilfenahme nachrichtendienstlicher Mittel, schließlich oft Gängelung von Mitgliedern der Partei im Öffentlichen Dienst etc. Kunze berichtet von mehreren solchen Fällen im nüchternen Ton. Jedem "Einzelvorwurf des VS" geht er detailliert nach.

Oft aber sind es nicht ein arbeitsloser sauerländerischer Handwerker, der Verfasser des "Neuen Deutschlandliedes" nämlich, oder andere unbedarfte Biertischpolitiker, die das Mißtrauen der Verfassungsschützer erwecken. Wie Kunze in dem Kapitel "Die Einzelvorwürfe des Verfassungsschutzes" darlegt, sorgen selbst Begriffe wie "Gemeinwohl" für erhebliche Irritationen. Auch eine gut organisierte Republikaner-Fraktion wie die im Stuttgarter Landtag ist trotz anerkannter Beherrschung der parlamentarischen Spielregeln vor solchen Nachforschungen nicht sicher. Der Autor ist bemüht, die Arbeit der Stuttgarter Fraktion als positives Gegenbild zu manchen unüberlegten Parolen aus Republikaner-Kreisen darzustellen.

Milieustudie aus dem Alltag des Geheimdienstes

Der vielleicht stärkste Teil des Buches liegt aber in dem sich thematisch hier anschließenden Abschnitt "Horcher und Gucker in Aktion". "VEB Horch und Guck", das war der Spitzname für die DDR-Staatssicherheit – und sicher, man kann in solchen Vergleichen eine Verharmlosung des real existierenden Überwachungsstaates DDR erblicken. Natürlich ist die Bundesrepublik ein Rechtsstaat, woran Kunze nicht zweifelt. Was aber der Autor über Aktionen von Verfassungsschützern oder, noch schlimmer, von der zweifelhaften Rolle einzelner Verfassungsschützer als agents provocateurs zu berichten weiß, ist eine nachdenklich machende Milieustudie aus der Alltagsarbeit eines deutschen Geheimdienstes.

Kunze legt Fakten auf den Tisch, bringt Beispiele. "Je nach Bedeutung ihrer Information verdienen V-Leute monatlich bis zu 1.500 DM steuerfrei. Der V-Mann konnte noch nicht einmal den Namen Oberlercher richtig schreiben. Hier belauschte offenbar ein recht schlichtes Gemüt einen Vortrag, bei dem es hoffnungslos überfordert war", liest man etwa zu den Protokollen des Verfassungsschutzes bei einer Veranstaltung.

Erfreulicherweise verfällt Kunze nicht dem Fehler, die VS-Überwachung von links und rechts mit zweierlei Maß zu messen; die Observierung einer Person, "bei der es 1980 tatsächlich Anhaltspunkte für die Zuordnung des Klägers zum Umfeld linksextremistischen Terrors gegegeben" habe, findet ebenfalls seine Mißbilligung. Auch wenn gelegentlich vom Stilmittel der Redundanz Gebrauch gemacht wird, so lesen sich diese Passagen zu den deutschen Nachrichtendiensten doch spannend und unterhaltsam.

Ein flammendes Plädoyer findet sich am Ende des Buches nicht. Unter Berufung auf Kronzeugen wie Martin Kriele, Steffen Heitmann und Walter Schmitt Glaeser stellt Kunze eine faktische Einengung der Meinungsfreiheit fest. Der Schlußsatz gerät ihm beinahe kabarettistisch: "Und bevor sie es tun, werde ich dann selbst dieses Buch in Scham und Reue verbrennen." Wen meint Kunze mit sie ? Das seien diejenigen Kräfte, "die uns zur dauerhaften Absicherung ihrer Herrschaft auferlegen, nur noch ihre Worte zu benutzen, damit wir nur noch ihre Gedanken denken können". Da endet das Buch dann doch zu abrupt im Verweis auf einen Verschwörungssumpf. Die "Republikanerverfolgung" – ist sie ein Werk dunkler Mächte?

Die Lektüre des sonst überaus faktenreichen Buches läßt andere Schlüsse zu; ja, sie versetzt den Leser in die Lage, sich ein eigenes Urteil zu den von Kunze angeprangerten Zuständen zu bilden. Da verzeiht man auch den Kurzschluß am Ende gern. Der interessierte Leser findet hier eine gelungene Darstellung der staatlichen Überwachung der Republikaner und einen Einblick in die Welt des deutschen Verfassungsschutzes.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen