© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/98 12. Juni 1998

 
 
Verteidiger Deutschlands
von Herbert Ammon

Mit der Verleihung des diesjährigen Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels an Martin Walser wird ein Autor geehrt, der den Namen eines Nonkonformisten tatsächlich verdient. Seit Jahrzehnten verweigert er sich den Zumutungen des Zeitgeistes. Der Einwand, Walsers frühe Werke spiegelten durchaus den Geist der Gruppe ’47, deren kollektives Unbehagen an der frühen Bundesrepublik, impliziert hier keine Widerlegung. Kennzeichnend für Autoren wie Walser war einerseits ihre Abneigung gegen die moralische Bequemlichkeit der Ära Adenauer im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit, andererseits ihr gesamtdeutsches Bekenntnis. Gewiß, Sozialismus lag im Trend, lange vor und noch lange nach ’68. Seinen Eintritt in die DKP mögen ihm hämische Kritiker unter die Nase reiben – unter Ehrenmännern gilt das Recht auf Irrtum jeweils nur für die eigene Crew! Anno 1977, als der Mainstream den Ewigkeitswert der deutschen Teilung zu preisen begann, provozierte Walser mit Worten über den "Vaterlandsleichnam, den schönen, den schmutzigen, den sie zerschnitten haben…" Vaterland, Geschichte, Volk, Nation – obsolete, obszöne Begriffe? Wenn Walser über Deutschland spricht, denkt auch er an "Auschwitz und kein Ende" (1979). Wenn es aber eine kollektive Verantwortung für Auschwitz gibt, dann betrifft sie die Deutschen als Volk, nicht als "Gesellschaft". Dem Gerede über das "Verdrängen" begegnet Walser mit einer unerhörten Provokation, mit der Rede von Gott: "Eine rein weltliche, eine liberale, eine vom Religiösen, eine überhaupt von allem Ich-Überschreitenden fliehende Gesellschaft kann Auschwitz nur verdrängen." ("Händedruck mit Gespenstern", 1979). Adnote: Eine post-nationale Gesellschaft, der nichts ferner liegt als der Gedanke an Gott, kann Auschwitz nur als ideologischen Überbau brauchen.

Im Herbst 1988, ein Jahr vor dem deutschen Mirakel, redete Walser erneut über Deutschland. An die Verteidigung seiner Kindheit ("Das erworbene Wissen über die mordende Diktatur ist eins, meine Erinnerung ist ein anderes.") knüpfte er die Verteidigung seiner Erinnerung an Reden über die "offene deutsche Frage". Er bekundete Verständnis für "Schlesierschmerz", mokierte sich über jene, die "Jahrzehnte nach Erledigung des Faschismus ihren Zorn und ihr gutes Gewissen lebenslänglich durch antifaschistische Regungen belebten". Als "Populist" werde geschimpft, wer nach dem Willen des Volkes frage. Als die Deutschen 1989 ihren Willen als ein Volk kundtaten, hatte der Dichter recht behalten. Dies haben ihm die Auguren der medial mediatisierten Öffentlichkeit nie verziehen. Walsers Nonkonformismus wurzelt in einer Moralität, die der verordneten Moral entgegensteht.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen